Mittwoch, 2. Juli 2014

Unsere etwas andere Kreuzfahrt auf dem Amazonas

Ich hatte etwas Respekt vor dieser Bootsfahrt. Thorben und ich wollten den Amazonas sehen und von Kolumbien nach Brasilien kommen. Da Flüge zwischen den Ländern während der WM unverhältnismäßig teuer waren, beschlossen wir zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Wir flogen von Santa Marta in den kolumbianischen Amazonas-Außenposten Leticia, welcher nur per Flugzeug mit dem Rest von Kolumbien verbunden ist, so undurchdringbar ist der Dschungel. Von dort wollten wir per Boot nach Manaus in Brasilien reisen. Das Boot befährt 840km des Amazonas in drei Tagen und drei Nächten. Ich konnte mir nicht vorstellen so lang in einer Hängematte zu "leben", zusammen mit zig anderen Leuten, wahrscheinlich auch mit Hühnern und Ratten, das Essen würde wahrscheinlich aus Reis mit bakterienverseuchter Beilage bestehen, die Toiletten würden ihren Gestank auf dem ganzen Boot verteilen und zudem stellte ich mir vor wie mein Rucksack geklaut würde und die Moskitos mich auffräßen. Warum wollte ich diese Reise dann trotzdem machen? Nur um 500€ zu sparen? Nein, sondern weil mich die Aussicht auf ein solches Abenteuer zwar abschreckt aber noch mehr anzieht. Das einzige Gewisse im Ungewissen war, dass man auf einer solchen Bootsfahrt etwas erleben würde. Und wenn man sie nicht jetzt macht, wann dann?


Die Realität auf dem Boot übertraf meine positivsten Erwartungen. Anders als auf den peruanischen Schiffen von denen wir gehört hatten, bekamen wir keine Lebensmittelvergiftung und hatten immer reichlich zu essen. Die Toiletten waren ok, wurden täglich geputzt, und man konnte sogar duschen. Spätestens nach der ersten Nacht kannte man seine Hängemattennachbarn was einem ein Gefühl der Sicherheit gab. Mücken gab es dank des Fahrtwinds gar nicht und auch in den Häfen ließen sie uns halbwegs in Ruhe. Natürlich hat das Reisen mit so vielen Leuten auf so engem Raum dennoch seine Tücken. Auf unserem Deck schliefen ca. 80 Leute auf etwa 200m2. Zusätzlich gab es noch ein weiteres Deck mit der gleichen Anzahl an Passagieren sowie das Oberdeck mit etwa 20 Leuten. All diese Menschen teilten sich 8 Toiletten mit integrierter Dusche. Besonders schlecht hatte es diejenigen getroffen die direkt in der Nähe der Toiletten und/oder des Motors schliefen. Für die etwa 10 Nicht-Latinos (3 Deutsche, 1 Franzose, 1 Engländer, 1 US-Amerikaner, 3 Holländer, 1 Belgier) war die Enge wohl besonders ungewohnt. Beim Schlafen stießen man des öfteren mit den Hängemattennachbarn zusammen wenn sich jemand umdrehte oder die Hängematten vom Wind schaukelten.



Wir bemerkten kulturelle Unterschiede zwischen Suedamerikanern und Nordeuropäern an Bord. Die besonders stark vertretenen Peruaner, Kolumbianer und Brasilianer hatten ein etwas anderes Rücksichtnahme/Toleranz-Verhältnis als wir Nordeuropäer. So ist es kein Problem, wenn man sich auf die Hängematte des Nachbarns aufstützt oder mit Absicht heftig schaukelt - auch wenn der Nachbar schläft. Man kann auch nachts lautstark Musik hören oder sich unterhalten. Die Latinos sehen dies aber gar nicht als Affront und versuchen den grade unfreiwillig aufgewachten und etwas verstimmten Europäer in ihre Unterhaltung einzubinden. Auch in Sachen Umweltbewusstsein unterschieden wir uns. Wir Europäer liefen ständig mit unseren Flaschen umher, die wir brav am Wasserspender auffüllten und brachten unseren Müll zum Mülleimer. Unsere Mitpassagiere nutzten hingegen den Amazonas als Mülleimer und hatten kein Problem damit jedesmal einen neuen Plastikbecher zum Trinken zu benutzen und anschliessend beherzt über die Reling zu schmeißen. Als ein Kolumbianer höflich unseren Becher entsorgen wollte, den wir seit geraumer Zeit in der Hand hielten, sträubte sich unser französischer Freund Leo etwas zu sehr und nahm dem verdutzen Kolumbianer die Becher aus der Hand aus Sorge er würde sie in den Fluss schmeißen.


Was uns an der Bootsfahrt am meisten gefallen hat war die Entschleunigung und der intensiven Kontakt mit der lokalen Bevölkerung. Wir hatten Zeit. Zeit den Reiseführer zu studieren und einige Reiseziele auszuwählen ohne das Gefühl zu haben jetzt aber auch endlich mal losreisen zu müssen und nicht so viel Zeit mit dem Planen zu verschwenden. Zeit in der Hängematte zu liegen und zu lesen ohne das Gefühl etwas zu verpassen. Zugegeben, irgendwann kann Entspannung in Langeweile umschlagen. Was dem aber vorzüglich entgegenwirkte war der gleiche Grund weswegen wir überhaupt auf dem Boot waren: die WM. Das Boot verfügte über einen kleinen Fernseher mit einer verstellbaren Satelittenschüssel die ständig jemand adjustieren musste um ein einigermaßen gutes Bild zu produzieren. Nichtsdestotrotz waren wir diesem kleinen Fernseher dankbar. Er garantierte drei mal am Tag nicht nur Abwechslung sondern auch Gesprächsstoff und ein Gefühl der Verbundenheit unter den Passagieren. Wir schauten alle Vorrundenspiele und feuerten die Teams unserer grade frisch gewonnenen Freunde an: Kolumbien und Frankreich. Aus Sympathie freuten diese sich mit uns als Deutschland Tore schoss. Die Brasilianer waren jedoch fast ausnahmslos für Portugal. Dennoch gönnte uns jeder die Freude und wir hatten das Gefühl das Spiel unter Bekannten zu schauen. Nach dem Spiel klopften uns viele auf die Schulter oder sagten kurz etwas zum Spiel.


Alles in allem genossen wir die Zeit an Bord sehr. Es ist, wie ich finde, die perfekte Art in ein Land zu reisen. Man kann sich noch vom alten Land verabschieden, denn dank unserer Spanischkenntnisse lernten wir viele Kolumbianer näher kennen. Und man lernt bereits das neue Land kennen, inklusive ein Paar portugisischer Vokabeln. In manchen Momenten hatten wir das Gefühl auf einer Hippiekreuzfahrt zu sein. So konnten wir zahlreiche Flussdelfine beobachten. Sahen das Kreuz des Suedens, die Milchstraße und ein paar Sternschnuppen. Wir sahen wunderschöne Sonnenauf- und -untergänge (und sogar spektakuläre Mondaufgänge) und ließen diesen endlosen Dschungel an unseren Augen vorbeigleiten.


1 Kommentar:

  1. Das hört sich doch im großen und ganzen nach einer echt tollen Kreuzfahrt an.
    Ich würde mir auch mal gern den Amazonas angucken oder generell mal den Regenwald "besichtigen", wenn man das so sagen kann. Ich habe gehört es soll dort wundervoll sein. Obwohl die hitze mir bestimmt zu schaffen machen würde.

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