Montag, 24. November 2014

Eingewöhnungsphasen

Unser Überraschungsempfang am Frankfurter Flughafen hatte mich mit einem Schlag aus den melancholischen "Ende der Reise"-Gedanken gerissen und in das Hier und Jetzt katapultiert. Wir sind zu Hause und unsere Freunde holen uns ab. Wie schön!

Meine Eingewöhnung verlief in drei Phasen. In der ersten betrachteten wir alles mit großen, staunenden Augen. Vom Flughafen ging es durch den Feierabendverkehr nach Frankfurt. Ich fand es fast beängstigend, wie schnell man auf deutschen Autobahnen fährt und hielt mich unauffällig am Türgriff fest. Ich und vor allem mein Magen mussten sich aber nicht an die Achterbahnfahrt gewöhnen, denn kurz danach standen wir bereits im Stau. Alles blieb ordentlich, kein Gehupe, kein wildes Rumrangieren.

Auch in den folgenden Tagen fiel uns immer wieder auf, wie sauber und ordentlich es ist und wie ruhig und gesittet alles abläuft in Deutschland. Im Park schieben Mütter päarchenweise ihre Kinderwagen oder diskutieren sachlich mit ihrem dreijährigen Nachwuchs, Herrchen gehen Gassi und entsorgen fachgerecht die Hinterlassenschaften ihres Hundes in Plastiktüten. In den Geschäften wird man freundlich und professionell bedient, die Preise stehen an den Waren und sind nicht verhandelbar. Auf den Straßen und selbst in den Wohnvierteln sieht man weitaus mehr Autos als Leute. Kein Geschrei, kein Gehupe, keine rumlungernden Leute (bis auf die vier kiffenden Jugendliche auf der Parkbank, um die die älteren Damen einen großen Bogen machen, die bei mir allenfalls ein Gefühl der Fürsorge auslösen)... . Der Streik der Deutschen Bahn passte natürlich nicht in unser grade ersonnenes Bild des perfekt organisierten Deutschlands. Thorben musste zur Arbeit - wie so oft auf unserer Reise - einen Fernbus nehmen, der auch prompt fast eine Stunde zu spät kam. Das kriegen die Entwicklungsländer besser hin. Und als Thorben unseren Telefonanbieter drei mal anrufen musste und es eineinhalb Wochen dauerte, bis die Störung unseres Festnetzes wieder behoben wurde, kamen uns weitere Zweifel. Meine Bank hat es auch nach vier Anrufen, einer Email und zwei Wochen Zeit nicht geschafft mir einen Pin zu schicken. Was ist nur los? Laufen die Dinge eigentlich doch nicht so rund, wie in unserer verklärten Erinnerung? Jetzt mal ganz im Ernst: Deutschland ist sicher, sauber, verlässlich und effizient. Nach einem knappen Jahr in neun Entwicklungsländern können uns solche Kleinigkeiten wirklich nicht schocken.

Unsere Wohnung kam mir nach unserer Heimkehr nicht nur übertrieben groß, sondern auch luxiorös vor. Das Auspacken der Kisten mit unseren Anziehsachen war zwar noch wie Weihnachten: Ach, der Pulli sieht ja toll aus und die Hose gefällt mir aber gut... . Schnell zog ich meine abgenutzten Reiseklamotten aus und spielte Modenschau. Nach der anfänglichen Begeisterung wurden wir aber rasch genervt. Das ganze schien kein Ende zu nehmen. Wir brachten Kisten um Kisten in unsere Wohnung und fragten uns, was um Himmels willen wir mit diesem ganzen Zeug sollten. In den letzten elf Monaten waren wir mit knapp 30 kg Gepäck und meist weniger als 10 m² ausgekommen. Und auf einmal hatten wir ein Vielfaches an Hausrat und Platz. Ich war erstmal geplättet und empfand unseren Besitz irgendwie als belastend.

In der überlappenden zweiten Phase meiner Eingewöhnung besuchten uns Freunde und wir besuchten unsere Familie. Darauf hatten wir uns sehr gefreut und wir genossen diese Zeit. Richtig gute Gespräche führen mit uns vertrauten Personen. Sich verwöhnen lassen und wieder Kind sein. Nicht ständig eine Situation oder Leute anaysieren und bewerten müssen. Obwohl wir auch unter Freunden und in der Familie nicht ganz davon befreit waren. Denn ich spürte, dass alle versuchten herauszufinden ob/wie wir uns verändert hatten. Das Auffallendste für mich war, wie wenig sich hier verändert hatte. Alle sehen noch genauso aus wie vorher, alle machen noch die gleichen Sachen und haben die gleichen Ansichten. Hier und da eine Veränderung, natürlich. Aber meist nichts Gravierendes. Selbst die Wege in der Stadt fühlen sich noch vertraut an und auch die Mode ist noch die gleiche wie im Vorjahr. Es ist, als sei man nie weg gewesen.

Dann kam die dritte Eingewöhnungsphase, in der ich mich zur Zeit befinde: neuen Handyvertrag aussuchen, Anstreicher auftreiben, Steuererklärung machen, Putzen, Kochen, Waschen, Einkaufen, nach einem Fitnessstudio fahnden, Formulare ausfüllen, Dinge beantragen... . Ich habe eigentlich schon ziemlich viel organisiert. Dabei habe ich die Hälfte meiner Zeit im Internet mit Recherechen, die andere in irgendwelchen Warteschleifen verbracht und zwischendurch diverse Haushaltsmaschinen bedient. Aber so richtig zufrieden bin ich nicht. Ich habe das Gefühl, mehr Zeit damit zu verbringen, mein Leben zu verwalten, zu organisieren und zu optimieren als tatsächlich zu leben. Ich hatte mich darauf gefreut viel Zeit mit meinen Freunden, meiner Familie und meinen Hobbies zu verbringen. Stattdessen verbringe ich die meiste Zeit vorm Computer. Das liegt natürlich daran, dass die Familie weit weg wohnt und die Freunde arbeiten und keine Zeit haben, sage ich mir. Aber eigentlich treibe ich mich selber an. Ich habe das Gefühl keine Zeit zu haben, weil ich ja noch sooo viel organisieren muss, bevor ich wieder arbeite und zehn Stunden meines Tages von der Arbeit aufgefressen werden.

Kaum ist man wieder in seiner vertrauten Umgebung, seiner Komfortzone, schlüpft man in seine alten Gewohnheiten und Marotten wie in seinen alten, bequemen Lieblingspulli. Ich hatte mir vor drei Wochen, auf Sansibar, nicht vorstellen können, wie schnell dieser Prozess geht. Ich hatte mir gewünscht etwas mehr Leichtigkeit und Spontanität in mein Leben bringen zu können. Etwas weniger Bequemlichkeit und mehr Mut. Aber vielleicht schlummern diese Eigenschaften ja noch in mir und kommen zur Entfaltung, nachdem ich mich eine Zeit lang in der vertrauten Heimat eingenistet habe wie eine Raupe in ihren Konkon.


Wie dem auch sei. Jetzt bin ich erstmal krank. Und da gibt es nichts Besseres als zu Hause zu sein.

Samstag, 15. November 2014

Ein Abschied

 WIR SITZEN AM FLUGHAFEN von Sansibar und warten auf unseren Flug nach Deutschland. Es dämmert mir so langsam, dass unsere Reise zu Ende ist, aber so richtig kann ich es nicht fassen. An dem ein oder anderen Tag habe ich mich nach Hause gewünscht, haben uns die Touristenabzocker genervt, oder in fremden Ländern nichts zu verstehen, Transport und Unterkunft zu suchen und in schlechten Betten zu schlafen. Ich freue mich sehr auf meine Familie, meine Freunde, unsere Wohnung, das Ankommen ohne bereits die nächste Station zu planen. Aber mittlerweile wird mir auch bewusst, dass dies nicht nur ein nach Hause kommen ist, sondern auch das Ende unserer Reise. Und das stimmt mich wehmütig. Vorbei die Zeit, in der wir jeden Tag etwas anderes unternehmen, keinen Alltag kennen, keine Hausarbeit machen, keine Routine haben, Zeit haben zu reflektieren über das Erlebte, neue interessante Menschen kennenlernen und großartige Landschaften, Tiere oder Monumente bestaunen. Ein Traum von mir geht zu Ende.

Ich bin mehr als glücklich, meinen Traum gelebt zu haben. In elf Monaten hat sich die Welt für mich verändert. Wenn ich heute an Indien, Myanmar, China, USA, Kuba, Kolumbien, Brasilien, Südafrika und Tansania denke, dann denke ich an vollkommen andere Länder als vor unserer Reise. Jedes dieser Länder hat unglaublich spannende Traditionen, Landschaften, Menschen und Geschichten. Ich habe den Reiz des Exotischen kennengelernt, aber auch dahinter schauen können. Während ich vor der Reise dachte, dass ich weltoffener nach Hause kommen würde, habe ich heute das Gefühl, mehr zu differenzieren. Dinge die für mich in Stein gemeißelt waren, fingen an zu bröckeln. So bin ich nicht mehr der Meinung, dass Demokratie eine absolute Voraussetzung für Entwicklung ist. Das Ein-Parteien-Land China direkt nach der Demokratie Indien zu sehen, hat mir vor Augen geführt, dass die unterdrückerischen Methoden der chinesischen Regierung viele Menschen aus der Armut gehieft haben. Auch über die in Indien übliche arrangierte Hochzeit denke ich nun positiver, jedenfalls wenn es nicht um Minderjährige geht. In Myanmar und Kuba habe ich gelernt kritisch über westliche Embargos nach zu denken, die meiner Meinung  nach mehr den dortigen Menschen als den Regierungen geschadet haben. Während ich die anfänglichen Erfolge des Komunismus in Kuba zu schätzen lernte, konnte ich nicht nur den Verfall der Häuser und Fabriken sondern auch der Moral in diesem sich nicht weiterentwickelnden Staat beobachten. In Kolumbien und Brasilien habe ich wenig von der dort angeblich alltäglichen Gewalt mitbekommen und viel mehr die Herzlichkeit der Menschen gespührt. In Südafrika war ich einerseits beeindruckt von der Infastruktur und der Effizienz des Landes aber auch erschrocken über den immer spürbaren Konflikt zwischen Schwarz und Weiß. In Tansania wurden mir die Grenzen der Entwicklungshilfe und die Allgegenwärtigkeit der Korruption deutlich. Wobei die Korruption das Hauptproblem in sämtlichen von uns besuchten Laendern ist - mit Ausnahme der USA. Nach diesem Jahr habe ich meine rosarote Brille der Toleranz für sämtliche Kulturen abgesetzt. Während ich weiterhin versuchen möchte vorurteilsfrei fremden Menschen und anderen Traditionen gegenüber zu stehen, habe ich mir doch erlaubt einige Dinge nicht hinnehmen zu wollen. Ganz weit oben dabei ist der Umgang mit Frauen, vor allem in Indien aber auch in Tansania. Natürlich lernt man in der Ferne auch sein eigenes Land zu schätzen. Am meisten schätze ich unsere funktionierende Demokratie und unsere nichtbestechlichen Beamten. Es gibt mir das nun zu schätzen gelernte Gefühl, ein mir angetanes Unrecht nicht tolerieren zu müssen.

Aber ich habe auf dieser Reise nicht nur etwas über die Welt sondern auch etwas über mich gelernt. Das ist natürlich sehr persönlich und nicht der rechte Ort hier. Aber ganz grob gesagt, tut mir etwas mehr Gelassenheit und etwas weniger preußische Strenge gut. Außerdem bin ich besser darin geworden, zu merken was ich möchte und was nicht. Es hört sich banal an, ist es aber nicht. Natürlich lernt man auf so einer Reise in der man Tag und Nacht fast 24h zusammen ist, auch ganz schön viel über seine Beziehung. Dazu nur so viel: Wenn man nach so einer intensiven Zeit, in der man mehr als einmal mit den Nerven am Ende war, immer noch zusammen ist, dann ist das ein gutes Zeichen. Neben der persönlichen Weiterentwicklung haben wir auch eine Menge praktische Dinge zu unterschiedlichem Grad gelernt: meditieren, Apnoe-tauchen, Chinesisch, Salsa Tanzen, Yoga, Tai Chi, Kitesurfen, Wellenreiten und ein paar Worte Portugisisch und Kisuaheli. In jedem Fall kommen wir bereichert nach Hause. Und um nichts in der Welt möchte ich diese Erfahrung, diese Weltreise missen wollen. Wenn ich die Reise nocheinmal machen könnte würde ich alles wieder genauso machen. Denn unsere Reise hat meine hohen Erwartungen noch übertroffen.

Barbara






Donnerstag, 6. November 2014

Tansania: Unser Fazit

Unser Start in Tansania war ja recht holprig. Und eigentlich konnte uns nur der bereits
gebuchte und nicht zurückerstattbare Heimflug davon abhalten, nach Äthiopien oder
Israel zu fliegen. Wir haben also fast zwei Monate in Tansania verbracht. Und das war
gut so. Denn wenn man langsam durch Tansania reist und auch die weniger
spektakulären Ecken besucht, lernt man Tansanias wahren Schatz kennen. Die
Herzlichkeit der Tansanianer.




Ich muss zugeben, dass ich anfangs etwas eingeschüchtert war. Denn in Südafrika waren wir doch oft etwas alamiert, wenn eine Gruppe arm aussehender, schwarzer Männer auf uns zu kam. In Johannesburg sollte man noch nicht mal mit seinem Rucksack auf der Straße laufen, weil man sonst ausgeraubt würde. Und da in Tansania alle schwarz sind und fast alle arm aussehen, war ich am Anfang eben ziemlich angespannt, vor allem wenn wir mit unseren Rucksäcken unterwegs waren. Die Menschen im Nordosten fand ich dann auch nicht so super freundlich, was aber wahrscheinlich an unserem schlechten Start lag. Angestellte in Hotels oder Restaurants sind oft mehr als desinteressiert und kommen fast arrogant rüber. Vielleicht ist es ein Erbe des Kommunismus, vielleicht sind sie auch nur vom Tourismus verdrossen. Im Bus starrten viele Leute nur vor sich hin und quetschten sich aneinander vorbei. Einmal war ich besonders schockiert, als eine Frau auf dem Gang eines Busses saß und sich in eine Tüte übergab. Völlig unbeeindruckt davon versuchte sich ein Mann an ihr vorbei zu drängen um dann genau über der armen Frau für mehrere Minuten stehen bzw. stecken zu bleiben. Er verschwendete aber offensichtlich keinen Gedanken daran, wie
schlecht die Frau sich seinetwegen fühlen musste. Und auch sonst kam es keinem so unsensibel vor wie mir.

Insgesamt hatte ich im Nordosten den Eindruck, dass vor allem Frauen nicht sehr respektvoll behandelt werden. Eher wie Gebärmaschinen, die nebenbei auch noch alle andere Arbeit machen. Denn auf den Feldern und auf dem Markt sieht man nur Frauen arbeiten und sie arbeiten sehr hart. Während sie dafür sorgen, dass die Kinder versorgt sind, das Haus in Ordnung ist, das Feld bestellt ist und das Gemüse verkauft wird, versucht der Mann oft das schnelle Geld zu machen. Meist nutzen die Frauen nur primitive Handwerksmittel, während die Männer die Investitionen machen, zum
Beispiel ein Boot, Auto oder Motorrad kaufen. Meist sieht man (junge) Männer zusammen stehen und Gruppen von Frauen und Kindern. Die Geschlechter bleiben meist unter sich. Natürlich ist das sehr verallgemeinert, subjektiv und überspitzt dargestellt. Aber selbst ein Mann, unser Reiseführer in Lushoto, gab zu, dass die Frauen alle Arbeit zu machen haben und die Männer die Chefs sind. Neben aller Pauschalisierung will ich nicht vergessen zu erwähnen, dass wir im Nordosten auch sehr viele nette Menschen und fleißige Männer kennengelernt haben.





Im Westen und Südwesten kamen uns die Tansanianer wesentlich entspannter und freundlicher vor als im Nordosten. Nicht nur zu uns, sondern auch zueinander. Auch hier werden Fremde mit Bruder, Schwester, Mutter, Vater, Großmutter oder Großvater angeredet.  Freunde oder Geschäftspartner stellen sich  als Bruder und Schwester vor. Die Leute reden und lachen im Bus öfter miteinander und auch der Umgang zwischen Frauen und Männern scheint mir mehr auf Augenhöhe. Was aber nichts daran ändert, dass die Aufgaben der Frauen und Männer getrennt sind und sie auch hier unter sich
bleiben. Im ganzen Land fühlen sich die Menschen, trotz kleinerer religiöser Spannungen als Tansanianer und nicht primär als Angehörige ihres Stammes. Ein Erbe der Zwangsumsiedlung während des Kommunismus in den 1960ern. Ein sehr fragwürdiges Mittel, aber letztlich wohl verantwortlich für die in Afrika seltene Stabilität des Landes. Auch das Drängeln im Bus wurde nicht weniger und gehört in diesem Land anscheinend einfach zum guten Ton. Die Menschen hier haben eine wesentlich höhere Toleranzgrenze was körperliche Nähe angeht als wir.



Im Punkto Sicherheit konnte ich meine anfänglichen Ängste schnell überwinden. Zwar war mir in Arusha, Tanga und Moshi bei Dunkelheit auf der Strasse immer noch nicht sehr wohl, und nahmen wir abends nie Wertsachen mit, aber eigentlich fühlten wir uns sicher. Tagsüber hatten wir nie Bedenken. Unsere Rucksäcke wurden auf den Fahrten ständig umgepackt, aber es fehlte nie irgendwas. Und wir hatten das Gefühl den Tansanianern vertrauen zu können. Auch das irgendwie verständliche Überhöhen der Preise für uns Weiße hielt sich abseits der Touristenpfade in erträglichen Grenzen. Die Frauen fragten meist einen so kleinen Aufpreis, dass wir ihn gerne bezahlt haben; die Frauen habe ich sowieso lieber unterstützt. Die Männer hatten aber oft keine Vorstellung davon, ob der 100-fache Preis vielleicht auch noch zu bekommen sei. Weiß man aber den echten Preis und fragt danach, lachen sie oft nur und sind einverstanden. Diese ganzen guten Aussagen treffen nur auf eine Ausnahme: die am Busbahnhof wartenden Schlepper, die wir kaum einmal abschütteln konnten und die oft so lange an uns zerrten und auf uns einredeten bis wir uns gegenseitig ankeiften.

Tanzania ist nicht wirklich auf Backpacker eingerichtet, jedenfalls nicht auf Backpacker mit wenig Zeit. In die meisten Nationalparks kann man bequem einfliegen und dann für schlappe 150-1000$ pro Person und Tag dort verweilen. Offensichtlich setzt die Regierung auf Upmarket-Tourismus mit teilweise utopischen und nicht wettbewerbsfähigen Preisen. Die dafür nötigen hohen Investitionen können nur von der Regierung oder ausländischen Investoren getätigt werden. Was heißt, dass das Geld der Touristen in die Kassen der korrupten Regierung oder ins Ausland fließen, während kleine private inländische Unternehmer kaum etwas vom Kuchen abbekommen. Hostels und Busse mit westlichem Standard gibt es nur in und zwischen Arusha, Moshi und Dar es Salaam. Gute Budget-Hotels findet man aber in allen größeren Städten des Landes, weil es dort inländische Geschäftsleute gibt. In abgelegenen kleineren Orten findet man jedoch häufig entweder nur sehr sehr einfache Unterkünfte für 3 Euro, oder aber die bereits beschriebenen luxuriösen Unterkünfte.
Transporttechnisch kann man statt des Charterflugs auch ein Auto mieten, was aber auch ziemlich teuer ist. Wesentlich günstiger, unbequemer und authentischer kann man mit den überall verkehrenden von Einheimischen genutzten Transportmittel fahren - mit den Minivans, Kleinbussen, Motorrädern, Zügen und Pickups.





Um diese Transportmittel zu benutzen ohne einen Wutanfall zu bekommen, braucht man aber Zeit und eine Eigenschaft, die charakteristisch für die Tansanianer ist: Sie erdulden alles klaglos. Fast würde ich sagen stoisch: Alle Sitze im Kleinbus sind besetzt, aber wir warten noch eine halbe Stunde auf weitere Gäste, die dann noch zwischen einen gequetscht werden. Der Busfahrer oder der Sitznachbar hört seine Lieblingsmusik in Diskolautstärke. Die Polizei verhört vier Businsassen auf dem Revier und lässt derweilen alle anderen 50 Passagiere vier Stunden im Bus in der prallen Sonne sitzen. Der Zug kommt 12 Stunden zu spät, ohne das es sich dabei um höhere
Gewalt handelt und vor allem ohne jegliche Erklärung geschweige denn Entschuldigung. Es beschwert sich nie jemand. Noch nicht mal einen bösen Blick gibt es. Und wir sitzen dazwischen und können nicht an uns halten. Das ein oder andere mal haben wir den Busfahrer gebeten die Musik leiser zu drehen oder den Stecker aus dem plärrenden Fernseher beim Frühstück gezogen. Ansonsten üben wir uns in Gelassenheit. Denn zum Glück haben wir ja Zeit.


Eine andere Eigenschaft der Tansanianer ist ihre Tendenz auch mal Fünfe grade sein zu lassen und nicht vorrausschauend zu reparieren. Tendenz ist wohl untertrieben, eigentlich ist das ein Dauerzustand. Die Wände eines Hauses müssen nun wirklich nicht gaaanz grade sein, der Tisch muss auch nicht nach jedem Essen abgewischt werden, auch der nächste Gast kann das Bettlaken nochmal benutzen. Dazu passend werden Dinge erst repariert, wenn sie gar nicht mehr funktionieren, und dann auch nur notdürftig. Kaum jemand wartet dein Haus oder seine Maschinen, lieber wird neugebaut als renoviert. Worauf die Tansanianer überall im Land aber peinlichst genau achten, ist, dass jeden morgen rund ums Haus gefegt wird. Da gibt es keine Kompromisse.

Alle größeren Projekte in Tanzania, vom Straßenbau im unterentwickelten Westen, Unterwasser-Stromleitungen zwischen Festland und Sansibar, aber auch einfache Wasserleitungen in Dörfern in unmittelbarer Nähe des Kilimanjaro: alles wird durch ausländische Regierungen finanziert. Und auch im Kleineren werden Schulen, Krankenhäuser, Waisenhäuser fast immer von ausländischen Hilfsorganisationen oder Kirchen betrieben. Fast alle der Reisenden die wir getroffen haben, haben hier Freiwilligenarbeit geleistet. Die Menschen hier sind sehr dankbar für diese Hilfe und einer sagte uns, dass er sehr froh sei, wenn er Weiße sehe, weil er wüsste, dass sie helfen würden. Bei all der gutgemeinten Hilfe, die auf einer Einzelfallperspektive bestimmt weiterhilft, bin ich mir nicht sicher ob sie dem Land als Ganzes gut tut. So wurde das von Dänemark einst in den siebziger Jahren installierte Unterwasserstromkabel nicht gewartet, was zu einem viermonatigen Blackout auf der  Touristeninsel Sansibar führte. Statt die Regierung dafür verantwortlich zu machen, wartete man auf ausländische Hilfe. Die auch promt kam: die UN stiftete ein neues Kabel. Ähnlich sieht es mit den Fähren und Zügen aus. Sie werden nicht gewartet, nicht repariert, man nutzt sie so lange bis endlich neue aus dem Ausland kommen. Teilweise ist, glaube ich, auch das Wissen nicht da um diese Dinge zu warten. Anderseits kann es auch sein, dass oft einfach der Wille oder die Notwendigkeit fehlt.

Thorben und ich schwankten während unseres gesamten Aufenthalts zwischen zwei Gemütszuständen. Einerseits ist der Transport anstrengend und unbequem, das Essen jenseits von Sansibar eintönig und geschmacksarm (Reis, Bohnen, Ugali, Spinat, gekochtes Fleisch, keine Gewürze) obwohl es auf dem Markt viel frisches Gemüse gibt und die interessanten Atraktionen sind unsagbar teuer (Nationalparks): wir wollen hier weg. Andererseits hatten wir in kaum einem anderen Land so engen Kontakt mit der Bevölkerung, wurden von Fremden nach Hause eingeladen und strengten sich die Leute so an, unsere minderbemittelten Sprachkenntnisse und Zeichensprache zu verstehen: es ist die Mühe wert!

Sprachkenntnisse sind der Schlüssel zu den Herzen der Tansanianer. Anfangs hatten wir uns damit begnügt ein paar Begrüßungsformeln und die Zahlen bis 10 auswendig zu lernen. Nachdem wir während unserer 12 stündigen Wartezeit am Bahnhof eine Reisende kennenlernten, die bereits kleine Gespräche führen konnte, war mein Ehrgeiz geweckt. Auf der 30 stündigen Zugfahrt lernte ich die halbe Sprachsektion des Reiseführers auswendig und konnte damit bereits Essen bestellen, nach einem Zimmer fragen, Zeitangaben machen, nach einem Bus oder dem Weg fragen, Zahlen und Preise verstehen und ab und zu ein paar Wörter aufschnappen, die zusammen mit unserer Phantasie im touristisch wenig entwickelten Westen und Südwesten schon sehr viel weiterhalfen. Für einen nächsten Tansaniaaufenthalt würde ich auf jeden Fall noch etwas mehr Kisuaheli lernen. Denn es ist nicht schwer und macht den Aufenthalt so viel interessanter. So viele Menschen wollten sich mit uns unterhalten und leider blieb es wegen unserer limitierten Sprachkenntnisse meist nur beim kurzen Austausch von Floskeln, wenn unser Gegenüber kein Englisch sprach.




Am Ende denke ich, dass Tansania definitiv die Mühe wert war. Das Land ist zwar, jedenfalls so wie wir es bereist haben, kein erholsames Urlaubsziel, aber es ist ein sehr sicheres, sehr authentisches Reiseziel. Wenn man auch überall als Mzungu auffällt, wird man nie feindselig angeschaut. Im Gegenteil, meist wird man neugierig bestaunt, manchmal sogar herzlich aufgenommen. Und immer wenn man es am wenigsten erwartet, sorgen die Tansanianer dafür, dass man sich richtig willkommen fühlt. Ganz zu schweigen von der wunderschönen und abwechslungsreichen Natur von Seen zu Bergen, von Steppe zu Strand, von Wüste zu Regenwald und von Schimpansen zu Delfinen. Unsere Favoriten waren ein Abstecher nach Bagamoyo und unsere Tour von Dar-Es-Salaam mit dem Zug nach Mbeya, Tukuyu und Matema, in den gastfreundlichen und entspannten Südwesten des Landes. Aber auch Sansibar hält mit türkisem Wasser und weißen Stränden was es verspricht. Nur am Essen, da müssten sie jedenfalls auf dem Festland wirklich noch arbeiten.

Sonntag, 2. November 2014

Mit Delfinen schwimmen

Auf Sansibar kann man mit Delfinen in ihrer natürlichen Umgebung im Meer schwimmen. Davon rät einem der Reiseführer jedoch ab, weil die armen Delfine mit Motorbooten verfolgt werden, damit die zahlende Kundschaft nur noch ins Wasser springen muss und schon die Tiere sehen kann. Kein geduldiges Warten auf die Delphine ist nötig und Dank der von morgens bis abends vorhandenen Boote muss man nicht lange nach den Tieren suchen. Man fährt einfach dahin, wo bereits zig andere Boote sind. Das hört sich unverantwortlich an und mein Gewissen riet mir von dem Ausflug ab. Aber die Aussicht mit Delphinen schwimmen zu können, sie in freier Wildbahn zu sehen, war für mich dann doch zu verführerisch. Es war Nebensaison und so viele Leute konnten schließlich nicht dort sein.


Als wir in Kizimkazi ankamen, wo die Boote abfahren, war es genauso wie befürchtet. Unfreundliche Geschäftemacher schoben einen aus dem Auto zum Stand mit der Schnorchelausrüstung und von dort zu den Booten. Mir war ganz elend, weil ich mich so auf ein Naturerlebnis gefreut hatte und mir jetzt vorkam wie in einer Abfertigungsanlage. Trotzdem fuhren Thorben und ich mit dem Boot raus. Kurze Zeit später sahen wir acht Motorboote und bekamen das Kommando: "Jump". Hastig zog ich mir die Taucherbrille über und stolperte mehr als ich aus dem Boot sprang. Ich war noch immer irritiert von der bisher noch nicht dagewesenen tanzanianischen Effizienz mit der man zu den Delfinen befördert wurde - ohne jegliches Gespür für ein Naturerlebnis.


Dann bin ich unter Wasser und schwimme ohne große Vorfreude drauf los. Auf einmal sehe ich völlig unverhofft direkt unter mir vier Delfine, die völlig losgelöst umeinander kreisen. Ich bin verzückt und vergesse alles um mich herum. Irgendwann tauchen die Delfine ab und sind erst mal weg. Ich schaue mich um, sehe Thorben und wir werden von unserem Bootsfahrer wieder eingesammelt. Das war wirklich toll. Und was noch besser ist, wir schauen uns nach einer anderen Delfingruppe um und dürfen nochmal ins Wasser. Und nochmal, und nochmal. Mittlerweile springe ich bereits mit Leichtigkeit aus dem Boot und klettere genauso schnell wieder hinein. 


Die Delphine schwimmen teilweise so nah an mir vorbei, dass ich nur die Arme ausstrecken müsste, um sie zu berühren. Aber da ich sicher bin, dass die Tiere das nicht besonders gerne mögen, begnüge ich mich damit, sie anzuschauen und mit ihnen zu schwimmen. Für mich ist es schwer einzuschätzen, aber es scheint mir, dass es den Delfinen wenig aus macht, dass bis zu 10 Menschen um sie herum schwimmen und fast genauso viele Boote um sie kreisen. Sie sind die meiste Zeit mit sich beschäftigt oder tauchen ab, wenn sie keine Lust mehr haben. Alternativ machen sie ein paar kräftige Bewegungen mit ihren Schwanzflossen und sind außer Sichtweite.


Für mich war das Erlebnis die Erfüllung eines Kindheitstraums. Ich bemerkte die Leute um mich herum kaum und war begeistert von den eleganten Tieren. Besonders angetan hatte es mir ein Delfin, der sich von seiner Gruppe entfernt hatte. Er schwamm ganz nah zu mir hin, als ob er erkunden wollte, wer ich denn sei. Langsam schwamm er weiter und ich neben ihm her. Bis die Mitglieder seiner Gruppe von hinten herangeschwommen kamen, den Delphin in die Mitte nahmen und mit ihm wegschwammen. Das Erlebnis war einmalig, einmalig schön. Ich lächelte in meine Taucherbrille und sah ihnen nach.

Trotz meines schlechten Gewissens und in der Hoffnung, dass sich die Delfine von uns nicht zu sehr gestört fühlten, genoss ich das Naturerlebnis. Hautnah mit wilden Delfinen im offenen Meer zu schwimmen.