Sonntag, 27. Juli 2014

Reisefrust

Reisen erweitert den Horizont, man lernt interessante Menschen kennen, taucht in fremde Kulturen ein und spürt den Wind unter den Flügeln. Reisen macht frei, reisen macht glücklich. Oder nicht? Hier ist ein Post, der uns schon seit längerem auf der Seele liegt.



Manchmal ist reisen einfach nur anstrengend, und manchmal ist reisen richtig Scheiße: Man will einen Salat, aber darf nur Frittiertes essen, wie in Indien und Myanmar. Es ist tierisch heiß und man kann keinen Sport machen, wie in Santa Marta. Alle wollen dein Geld, wie in Kuba. Man schläft in unbequemen Betten, bekommt schlechtes Essen, verbringt Stunden im Bus, wartet auf irgendeinen Transport, handelt ständig irgendwelche Preise aus, ist gelangweilt vom Smalltalk, dreht sich im Kreis bei seiner Planung, wird übers Ohr gehauen oder es sind einfach die Batterien leer. Meistens hält man das ganz gut aus, wenn dann aber Müdigkeit, Hunger oder Krankheit dazukommen, kann einen das ganz schön fertig machen. In solchen Fällen denkt man an sein schönes Bett zu Hause, sein Sofa, seinen Kühlschrank und natürlich an seine Familie und seine Freunde. Wir fragen uns dann, warum wir all das für was auch immer grade vor uns liegt eingetauscht haben.

Ab und zu stecken wir einen Dämpfer ganz gut weg. Wie in Mount Abu (Indien), als der einzige Wanderguide vor Ort bei dem wir im Vorhinein eine Zwei-Tage-Wanderung gebucht hatten auf die wir uns sehr gefreut hatten... endlich wieder Natur, Wald und Bewegung... uns am Vorabend sagt, dass er keine Lust auf die Tour habe, weil er lieber zu einem Fest gehe. Wir waren extra in einem extrem schlechten Bus 5h dorthin gefahren, davon eine Stunde durch Serpentinen. Jeder der mich kennt, weiß wie es mir dabei geht. Irgendwie nahmen wir es aber locker, jedenfalls nachdem wir dem Guide eine Bewertung bei Tripadvisor hinterlassen hatten, die sich gewaschen hatte. Der Ort war tierisch hässlich. Überall lag Muell rum, aber das störte die Inder natürlich nicht. Sie kamen aus Gujarat dorthin, um Urlaub zu machen. Gingen auf einen hässlichen Jahrmarkt auf dem so laut Technomusik gespielt wurde, dass man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte und fuhren auf einem See Tretboot. Wir machten das Beste daraus und fanden es einfach super interessant uns das anzuschauen. Am nächsten Tag warteten 7h Busfahrt in einem noch schlechteren Bus auf uns. Was solls...

Manchmal haut einen aber auch eine Kleinigkeit um. Nur eine Woche später fuhren wir zum Taj Mahal. Es regnete pausenlos und ich war bitter enttäuscht. Ich hatte mich so gefreut das strahlende Taj Mahal zu sehen und nun konnte man das weisse Gebäude kaum vom grauen Hintergrund unterscheiden. Unsere Unterkunft hatte auch nichts mit der Beschreibung im Internet gemeinsam und so trug der Schlafmangel nicht dazu bei, meine Laune zu heben. Ich war wirklich untröstlich. Thorben wiederum machten unsere Kommunikationsprobleme in China, trotz Sprachkurs und intensiver Nutzung von Körpersprache, schwer zu schaffen. Als eine Gemüseverkäuferin, von der er fünf Mangos haben wollte, uns nach 5 Minuten immer noch nicht verstand, wurde Thorben (auf die Mango zeigend und fünf Finger hebend) so gereizt wie ich ihn selten erlebt habe. Manchmal genügt eben ein Tropfen um das Fass zum überlaufen zu bringen.

Viele Freiheitsgrade beim Reisen zu haben stellt sich manchmal als energieraubender heraus als ich gedacht hätte.  Das stressigste am Nichtplanen ist, dass man am Ende oft mehr Zeit mit Planen bzw Umplanen verbringt. Die einfachsten Optionen gehen dann nämlich nicht mehr. Manchmal kommen wir irgendwo an und weil wir nicht genug recherchiert haben, merken wir erst dann, dass die Wanderung die wir machen wollten zu dem Zeitpunkt bzw ohne vorherige Absprache gar nicht angeboten wird, wie in Manizales. Oder der Flug den wir uns ausgeguckt hatten ist doppelt so teuer geworden weil wir uns eine Woche vorher nicht festlegen wollten und wir müssen stattdessen 26h im Bus verbringen, wie in Sao Luis.

Feste Pläne klappen allerdingst meist auch nicht. Nachdem wir den Norden von Yunnan erkundet hatten, war es uns dort zu kalt und wir hatten die Nase vom chinesischen Tourismus voll. Wir wollten das authentische China sehen. Wir buchten also einen Flug in die idyllische Karstlandschaft von Guanxi, um dort alleine eine mehrtägige Radtour von Guilin nach Yangshuo zu machen und so Land und Leute kennen zu lernen. Der Plan scheiterte schon bei der Ankunft. Es regnete in Strömen und würde laut Wetterbericht so schnell auch nicht aufhören. Wir flüchteten uns ins nahe Einkaufszentrum und dort in ein Restaurant was zu mindest ein BISSCHEN nach Heimat schmeckt: Pizza Hut. Dort verbrachten wir die nächsten 8 (!) Stunden und erholten uns langsam von unseren geplatzten Fahrradtourträumen.

Manchmal ist es das Wetter und manchmal sind es menschliche Fehler die einem einen Strich durch die Rechnung machen. In Myanmar wollten wir einen heiligen Berg besuchen. Da wir gerne wandern, aber nicht mit unseren vollen Reiserucksäcken, taten wir uns schwer zu entscheiden, ob wir im Dorf oder auf dem Berg übernachten sollten. Bei ersterem hätten wir unsere Rucksäcke im Dorf gelassen und wären den Berg hochgewandert, hätten aber vor Sonnenuntergang den letzten Bus zurück ins Dorf nehmen müssen. Bei der zweiten Option wären wir nicht gewandert sondern hätten den Bus auf den Berg genommen und hätten dafür die mystische Zeit des Sonnenuntergangs und Sonnenaufgangs mit den buddistischen Gläubigen auf dem Berg erlebt. Wir entschieden uns für letzteres. Als wir aber am späten Nachmittag auf dem Berg ankamen, stellte sich heraus, dass etwas mit unserer Hotelreservierung schiefgegangen war. Und keines der Hotels die Ausländer beherbergen dürfen hatte ein Zimmer frei. Uns blieb eine halbe Stunde bis wir den Bus ins Tal nehmen mussten. Weder Wanderung noch Sonnenuntergang, und noch nicht mal die verbleibende Zeit konnten wir geniessen, weil wir so sauer waren.

Wenn man krank ist will man eh nach Hause, am besten zu seiner Mutter. Und auf so einer Reise hat man dauernd irgendwas. Von Zahnschmerzen, Bindehautentzündung, Mandelentzündung, Bronchitis, Grippe, bis natürlich zu mehr oder weniger schlimmen Erkältungen und Magenverstimmungen. Wobei letzteres erstaunlich selten und in heftiger Form bisher nur einmal in Kuba aufgetreten ist. Wahrscheinlich sind unsere Mägen mittlerweile abgehärtet. Der Rest vom Immunsystem leider nicht. Beim ständige Reisen in unterschiedlichen Gegenden und in Transportmitteln mit vielen Menschen wird der Körper mit allerlei Bakterien und Viren konfrontiert. Wenn man dann krank im Bett liegt, will man sich gerne nach Hause beamen bis man wieder fit ist.

Was aber mit Abstand am meisten nervt beim Reisen ist das Zimmersuchen. Wir sind ja nicht wählerisch was Luxus angeht. Aber wegen meiner Schimmelpilzallergie fallen je nach Klima 30-80% der Unterkünfte für uns aus. Und so können wir nur in den seltesten Fällen, zum Beispiel in einem guten Hotel mit sehr vielen Zimmern, vorbuchen, weil ich das Zimmer eigentlich immer vorher inspizieren muss. Stattdessen laufen wir nach unserer Ankunft im Ort meist eine Stunde von Pension zu Pension. Fragen, ob noch ein Zimmer frei ist und ob wir es anschauen dürfen. Oft sind die Besitzer, grade von kleineren Pensionen, beleidigt, weil wir ihr schimmeliges Zimmer nicht nehmen und beteuern jedesmal, dass ihr Zimmer wirklich keinen Schimmel habe. Na klar, die blauen Flecken an der Wand sind Verzierung und wenn der Putz schon abbröckelt weil die Wand bucklig ist vor lauter Schimmel braucht sie nur einen neuen Anstrich, sonst nichts. Hat ein Zimmer dann tatsächlich keinen Schimmel, hat die Hostel im Zweifel einen Hund oder eine Katze, was uns beide zum Nießen bringt. Thorben meinte als er krank auf Ilha Grande ankam, halb im Ernst, dass er die emotionale Enttäuschung grade nicht verkraften könne, wenn wir wieder ein Zimmer nach dem anderen ansehen und nicht nehmen können. Das klingt vielleicht etwas übertrieben, ist es aber nicht. Schließlich suchen wir unser Zimmer immer nach einer anstrengenden Busfahrt oder einem Flug und sind müde und/oder hungrig und haben schwere Rucksäcke an. Grade in heißen Ländern schlaucht das ganz schön. Es ist auch irgendwie ein Mistgefühl, wenn man in einer fremden Stadt ist und keine Bleibe hat. Besonders schlechte Erinnerungen haben wir dabei an Rangoon, Agra, Havanna, Santiago de Cuba, Rio de Janeiro und Ilha Grande.

Und manchmal kommt alles zusammen. Unsere vielleicht härtesten Tage hatten wir in Maranhao, Brasilien. Nach unserer 3-tägigen Wanderung im wunderschönen Lencois Maharenses Park waren wir müde und erschöpft. Wir hatten in Hängematten geschlafen und waren an zwei der letzten drei Nächte um 3:00 Uhr nachts aufgestanden um zu wandern. Da stellte sich heraus, dass unser Guide es nicht hinbekommen hatte unsere Rucksäcke zum Endpunkt transportieren zu lassen. Statt zu den Couchsurfern in Sao Luis zu fahren, die uns das dort stattfindene Bumba meu boi Fest zeigen wollten, mussten wir also in die andere Richtung fahren und auch dort schlafen. Wir fanden natürlich keine Unterkunft ohne Schimmel und waren völlig am Ende. Zudem lief grade das Deutschlandspiel gegen Algerien, was wir verpassten. Wir gaben auf. Das Päarchen mit dem wir die Wanderung gemacht hatten zeltete im Garten einer Hostel in der wir wegen des Hundes bzw unserer Allergie nicht schlafen konnten. Letztlich tauschten wir mit ihnen, so dass sie im Hostel und wir im Zelt schliefen.

Aus irgendwelchen Gründen hatte Thorben entschieden das Überzelt nicht aufzubauen. Und so konnten wir bis 1 Uhr nicht schlafen, weil sich andere Reisende im Garten unterhielten und weil das Licht in der Küche an war und in unser Zelt schien. Um 4 Uhr brach dann die Gruppe, die neben uns zeltete lautstark auf. Mit drei Stunden Schlaf sah die Welt am nächsten Tag also keinesfalls besser aus, als wir um 6 Uhr im Bus nach Sao Luis saßen. Ich brauchte ein richtig gutes Hotel in Sao Luis um meine Kräfte wieder herzustellen. Ich versuchte etwas übers Internet zu buchen, gab aber nach einer Stunde frustriert auf, weil die mobile Verbindung so schlecht war. Schließlich ließen wir uns ohne Reservierung zum besten Hotel im Zentrum von Sao Luis fahren. Es war leider bereits etwas in die Jahre gekommen. Und natürlich, es hatte Schimmel. Netterweise durften wir unsere Rucksäcke für eine Stunde im Hotel lassen, damit wir uns ohne Gepäck umschauen konnten.

Nach einem starken aber kurzen Regenguss schauten wir uns also um. Die Gebäude in der Altstadt waren alle schon von aussen grün vom Schimmel; bei dem Regen kein Wunder. Zu unserer Frustration und Müdigkeit gesellte sich  Hunger. Wir waren GEREIZT. Unsere neuseeländischen Freunde nannten das sehr passend "hangry". In solchen Situationen ist es besonders wichtig, dass man zusammenhält, sich gegenseitig aufbaut und versucht die positive Seite zu sehen. All das taten wir nicht. Wir schrien uns auf der Straße an, wir waren uns uneinig ob es sich überhaupt lohnte weitere Pousadas anzuschauen, außerdem hatte ich keine Lust auf Bohnen mit Reis und Farofa, aber etwas anderes fanden wir auch nicht. Letztlich ging Thorben alleine Essen und ich blieb stur auf der Strasse stehen. Ich war unfähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Ich wollte einfach nur ein Zimmer haben und schlafen. Ich hatte mir im Bus noch die Adresse des IBIS Hotels aufgeschrieben. Natürlich nicht in der touristisch attraktiven Altstadt sondern im Geschaeftszentrum, was aber dafür sprach, dass es neuer und weniger verschimmelt sein könnte.

Dank Thorben, auf den ich immer noch sauer war, fassten wir den Beschluss dorthin zu fahren. Während er unsere Rucksäcke holte, fing es wieder an zu regnen. Noch immer körperlich und geistig am Ende, blieb ich auf der Bank sitzen und wurde nass. Ich dachte es würde so schnell aufhören wie beim letzten mal. Tat es aber nicht. Als Thorben kam stellten wir uns unter. Irgendwann wurde es weniger und wir beschlossen die 800m bis zum Busbahnhof im leichten Regen zu gehen. Aus dem leichten Regen wurde eine Sinnflut und der Busbahnhof war unauffindbar. Die Straßen glichen Bächen. Jetzt war auch Thorben am Ende seiner Kräfte. Was in mir einen Schalter umlegte. Ich besorgte uns ein Taxi. Als wir dann endlich an der Hotelrezeption ankamen, waren wir bis auf die Unterwäsche durchnässt. Das Zimmer sah dann genauso aus wie in jedem anderen IBIS auf der Welt. Ein Traum, ohne Schimmel. Die nächsten 18 Stunden verbrachte ich im Bett. Ich dachte das Schlimmste wäre überstanden, bis wir merkten dass durch den Regen das Handy nass geworden war und den Geist aufgegeben hatte.

Auch danach lief es nicht so richtig glatt weiter. Brasilianische Busfirmen sind nicht darauf vorbereitet, dass Ausländer ein Ticket online kaufen möchten. Nachdem wir es 2h lang probiert hatten und auch meine brasilianische Freundin Marina es nicht geschafft hatte, gaben wir es auf. Am nächsten Tag fuhren wir zwei Stunden vor Abfahrt zum Busbahnhof. Waren am Vorabend nur die Hälfte aller Plätze vergeben, waren nun nur noch 6 frei. Immerhin. Wir nahmen die einizgen beiden Plätze die nebeneinander waren. Natürlich ganz hinten. Dort war der Motor am lautesten, spürte man alle Schlaglöcher und die tausenden von Verkehrsberuhigungen am stärksten, um am schlimmsten: man konnte den Sitz nur halb so weit nach hinten lehnen wie alle anderen. Nach 22 Stunden geplanter Fahrt und weiteren 4 Stunden Verspätung mit einer zu gut funktioniernden Klimaanlage und unmöglichen Schlafpositionen, war ich zu einem Eiszapfen gefroren und hatte wieder akuten Schlafmangel.

Im Nachhinein war alles eigentlich immer doch gar nicht so schlimm...: In China kürzten wir unsere Zeit in Guanxi, nahmen den Bus statt des Fahrrads nach Yangshuo und buchten einen Flug nach Peking wo wir bei Sonnenschein unseren Freund Alex trafen. In Myanmar fragte ich den Tränen nahe bei einigen Hotels die eigentlich keine Ausländer aufnehmen dürfen nach einem Zimmer. Und siehe da, wir bekamen eins. Wir blieben auf dem Berg und die Stimmung beim Sonnenuntergang machte alles wett. Und selbst nach unserer Odyssee in Maranhao wendete sich alles zum Guten. Meine Freundin Marina wartete am Busbahnhof auf uns und sorgte mit ihrem Zwillingsbruder Jose dafür, dass es uns in den nächsten Tagen an nichts fehlen sollte. Sogar das Handy funktionierte nach ein paar Tagen wieder.

Ende gut, alles gut.

Mittwoch, 23. Juli 2014

3-Ecksbeziehung im WM-Finale

Gut eine Woche sind wir jetzt Weltmeister. Und in Brasilien selber, so kurz nach dem Finale, sind wir natürlich noch viel mehr Weltmeister als irgendwo sonst. Das Finale war ganz sich in jeder Minute ein Höhepunkt unserer Reise. Außerdem Vor haben wir in den letzten zwei Wochen eine interessante Fan-Dreiecksgeschichte erlebt. Aber von Anfang an.

Wir haben in Südamerika so einige Argentinier getroffen und sie eigentlich immer gemocht. Viele waren so gut wie ohne Geld unterwegs. Das liegt daran, dass das argentinische Geld nicht so einfach umtauschbar ist. Daher finanzierten sich viele ihre Reisen mit dem Verkauf von Handarbeiten, kleinen Kunststückchen oder anderen alternativen Methoden. Im Parque Tayrona an der kolumbianischen Karibikküste haben wir zum Beispiel den fußballverrückten Damian kennen gelernt, der per Bus nach Buenos Aires zurück wollte und sich das finanzieren wollte, indem er in größeren Städten auf Kreuzungen Fußballtricks zeigt. Wir fanden die Argentinier immer sehr nett, haben aber auch schon gemerkt, dass sie in ganz Südamerika unbeliebt waren. Während zum Beispiel auf dem Amazonasboot die anwesenden Kolumbianer, Peruaner und Brasilianer ganz selbstverständlich sich gegenseitig aber auch Costa Rica, Chile oder Uruguay anfeuerten, hielt keiner für Argentinien. Auf den Fanfesten in Brasilien hörten wir dann den Ruf "America latina, menos Argentina". (Lateinamerika, außer Argentinien)

Deutschlands 7:1 gegen den Gastgeber war eigentlich auch nicht unbedingt ein freundlicher Akt. Aber Brasilien war nach diesem Spiel so mit sich selber beschäftigt, dass kaum Zeit blieb, sauer auf Deutschland zu sein. Im Gegenteil, wir haben immer wieder gehört, wie toll es doch gewesen sei, das sich die deutschen Spieler und Fans hinterher so fair verhalten hätten. Sie hätten sich gar nicht über Brasilien lustig gemacht - was die Argentinier bestimmt gemacht hätten. Zu dem Zeitpunkt fanden wir das Lob etwas übertrieben, und das Argentinien-Bashing auch. Was übrigens auch extrem gut ankam und in den Medien viel beachtet wurde, waren viele kleine und größere Gesten. Dass die deutsche Mannschaft ihr Quartier nach der WM als Schule umfunktioniert, dass die Spieler am Strand mit lokalen Leuten Futevolley spielten, dass Lukas Podolski sich im Flamengo Rio de Janeiro Trikot zeigte (überhaupt ist Prinz Poldi hier der beliebteste deutsche Spieler weil er auf Portugiesisch gebloggt hat) und so weiter, all das machte Deutschland ziemlich beliebt.

Unsere brasilianischen Freunde und Bekannte meldeten sich dann am nächsten Tag wieder. Nachdem klar war, dass Deutschland im Finale auf Argentinien treffen würde, bekamen wir jede Menge Nachrichten. Und alle wollten, dass Deutschland den Titel gewinnt. Gut, das konnte man jetzt noch als eine einfach freundschaftliche Geste sehen. Aber zu dem Zeitpunkt waren wir ja auch noch im Surferdorf Itacare und nicht in Rio de Janeiro, das in diesen Tagen das Zentrum der argentinisch-brasilianischen Freundschaft wurde.

In Rio waren nämlich im Laufe der Weltmeisterschaft immer mehr Argentinier angekommen. Und da sie oft auch kein Geld hatten, schliefen sie in geparkten Autos, und funktionierten die gesamte Copacabana - immerhin ein etwa 6km langer Strand - in einen Park- und Zeltplatz um. Auch das gesamte Sambadrom wurde einfach in Beschlag genommen. Man kann sich ungefähr vorstellen, wie beliebt es ist, wenn bis zu 200.000 Leute vom Nachbar und Rivalen zwei Wahrzeichen des Landes besetzen, vermüllen und zum Ausgleich so gut wie kein Geld in der Stadt ausgeben. Im Internet hatten wir auch schon von der einen oder anderen Schlägerei zwischen brasilianischen und argentinischen Fans an der Copacabana gelesen.


Und in diese herzliche Freundschaft kamen dann die deutschen Fans. Viele waren schon länger in Brasilien unterwegs und hatten wie wir Freunde oder zumindest gute Erfahrungen gemacht. Und da uns keiner das 7:1 wirklich krumm zu nehmen schien, landeten die schwarzweißroten Fans in der Sympathie deutlich vor den Blauweißen. Bemerkenswert fand ich, wie einstimmig dieses Votum war. Bei uns würde man in ähnlicher Situation doch wohl immer ein paar Sympathisanten für Holland finden (mich zum Beispiel wahrscheinlich). Nur zwei Ausnahmen gab es: Respekt für Messi als starken und vor allem fairen Spieler und ein Interview von Neymar. Ich glaube der Junge hat noch nicht genug Medienschulungen bekommen. Jedenfalls hat er erstmal ein paar Sätze dazu rausgehauen, dass er nicht sicher sei, ob Carlos Zuñiga (der Kolumbianer, der ihn im Viertelfinale gefoult hat) ihn vielleicht absichtlich verletzen wollte und dann, dass er für Argentinien hält, weil seine Barca-Kumpel Messi und Mascherano dort spielen.

Trotz dieser kleinen Ausnahmen war dann spätestens bei Ankunft am Maracanã klar, dass auf den Tribünen Deutschland-Brasilien gegen Argentinien spielen würde. Die argentinischen Fans - von denen es richtig, richtig viele gab - hatten eigentlich nur zwei Fangesänge. Der eine war das Lied, über das ja schon viel geschrieben wurde, mit "wir werden nie vergessen, wie Maradona euch ausgedribbelt hat" und ein paar Pele-Beleidigungen. Das andere war noch kurioser, und ging so: "1,2,3,4,5,6,7 - Jubel" Noch Fragen? Die spielen im WM-Finale gegen Deutschland, und ihnen fällt nichts besseres zum Besingen ein, als dass Deutschland 7:1 gewonnen hat. Also sozusagen, egal wer Weltmeister wird, Hauptsache Brasilien hat auf den Sack gekriegt. Die deutschen Fans hörten sich das etwas amüsiert und verwirrt an, die hätten wahrscheinlich eher etwas über Mexico '86 erwartet, aber naja.




Endgültig besiegelt wurde dann die deutsch-brasilianische Fanfreundschaft während des Spiel, als die Argentinier immer wieder ihr Anti-Brasilien und Anti-Pele Lied abstimmten. Die offizielle brasilianische Antwort darauf ist nämlich "Mil gols, mil gols (nach brasilianischer Zählung ist Pelé der einzige Spieler, der in seiner Karriere 1000 Tore geschossen hat.), sou Pelé, sou Pelé (Ich bin Pelé), Maradona chelangot (Maradona ist ein Kokser)". Das lernten die Deutschen schnell und die Fronten waren damit klar.

Die gespannte Erwartung beim Betreten des Stadions (wir mussten das 2mal machen, weil ich so nervös war, dass wir erst im falschen Block waren) ist nicht zu beschreiben. Das ganze Stadion schien elektrisiert. Alle schienen extremst nervös. Und so haben wir die Abschlusszeremonie inklusive einer Barbaras Lieblingssängerin, Shakira, und Santana zwar gesehen, aber gar nicht richtig wahrgenommen. Was normalerweise ein ganzes Stadion in Extase hätte bringen können erfuhr kaum Beachtung. Denn alle wollten nur das eine: das Spiel sollte losgehen. Auch Merkel, Gauk und Putin waren nur Randerscheinungen.


Als die ersten Spieler in die Manege, ich meine ins Stadium, kamen wurde es laut. Die Menge tobte. Dann endlich fingen die nervenaufreibensten 110 Minuten meines Lebens an. Barbara, die die Gesämge in den Fanblocks immer für etwas proletisch hielt verstand nun warum ausgewachsene Männer und Familienväter während eines Spiels lautstark sinken, schreien, gröhlen und weinen. Bei so viel Anspannung ist es wie eine Befreiung wenn gerufen wird: "wer nicht hüpft der ist kein Deutscher" und man endlich seine Anspannung weghüpfen kann oder einfach nur lautstark "Auf gehts Deutschland schieß ein Tor..." gröhlen kann. Das befreit und gibt einem das Gefühl etwas beitragen zu können. Der Schock über das vermeintliche 1:0 der Argentinier hielt gottseidank nicht so lange an, weil ich sofort die Abseitsfahne sah. Aber sie schürte die Angst, dass alles ganz schnell vorbei sein konnte. Ihr wisst es selber: unzählige gute Chancen auf beiden Seiten heizten die Stimmung, die zwischen Euphorie und Bangen schwankte , weiter auf. Bis sie schließlich in der 110. Minute in Freudenschreie, furiosen Umarmungen, Tränen, und Bierduschen gipfelte. Mario Götze, unser Held und Erlöser. Es gab kein Halten mehr und die nächsten 12 Minuten feierten wir schon als ob der Titel bereits gewonnen sei, abgesehen von einer Schreckminute als Messi einen Freistoß ausführte.

Dann war es endlich soweit. Erst wurden noch Neuer und Messi geehrt, dann endlich nahmen die Jungs ihre Schüssel entgegen. Am unvergesslichsten war es aber, den Freudentaumel der Nationalspieler hautnah mitzuerleben. Nach der Übergabe auf der Tribüne kamen sie zum Deutschen Fanblock. Sie rissen den Pokal in die Höhe und jubelten UNS zu. WIR alle waren Weltmeister. Ich hatte Gänsehaut. Neuer kam immer wieder in die Fankurve. Schweini und Poldi liefen auch als alles vorbei schien nochmal zu uns um sich feiern zu lassen. Wir konnten uns genauso wenig wie sie losreißen.




Die Party nach dem Spiel war dann leider ein Antiklimax. Als wir an der Copacabana ankamen und feiern wollten, fanden wir nur enttäuschte Argentinier. Die Deutschlandfans musste man wirklich suchen. Ich überhörte zwei Amis die meinten, dass die Deutschen ihre vielversprechende Partynacht sabotiert hätten. Und recht hatten sie. Nach einer Dreiviertelstunde Fußmarsch an der Copacabana gelangten wir endlich zur Deutschen Weltmeister-Party. Das Adrenalin hatte da bereits nachgelassen und wir waren völlig erschöpft... Wir waren 8h lang in höchster Anspannung gewesen und hatten weder gesessen noch gegessen (dafür aber reichlich Bier getrunken). Wir waren fertig. Als wir uns nach einer halben Stunde, um 22h wieder einigermaßen fit fühlten und uns ins Gedränge stürzen wollten, verabschiedete sich DJ Pocher. Und nein, es kam niemand um ihn zu ersetzen.

Die Party war vorbei. Das wäre den Argentiniern nicht passiert. Gottseidank hatte eine Sambaband mehr Standvermögen. Aber nachdem wir 1h zu Samba getanzt hatten war uns nach etwas Deutscherem. In einem Imbiss/Partyzelt am Strand schien die Party  noch in vollem Gange. Zusammen mit Freunden die wir im Norden Brasiliens kennengelernt hatten gingen wir dorthin. Zu unserer Begeisterung wurden dort deutsche Fußballlieder gesungen: "Ooole,ole, ole, oleeee, super Deutschland, ole!" Nach zwanzig Minuten stellten wir fest, dass dies das Einzige war was gesungen wurde. Anscheinend hatten die anwesenden Brasilianer das Lied lieb gewonnen und es wollte keiner etwas anderes singen. Unsere Versuche ebenso einfache aber eben andere Lieder anzustimmen blieben erfolglos. Nach einer weiteren halben Stunde "Super Deutschland, ole" gaben wir es auf. Die Party in Deutschland war mit Sicherheit besser!

Im Nachhinein hörten wir auch noch Geschichten von anderen Deutschen, die ohne Tickets für das Finale nach Rio gekommen waren, um die Stimmung mitzunehmen und das Finale in der Fanmeile an der Copacabana zu gucken. Für die war es leider nicht so ein Erfolg, weil die Copacabana eben von Argentiniern gekapert war. Wir trafen mehrere Gruppen, die sich vor den leicht aggressiven Fans noch vor Anpfiff in ein kleines deutsches Public Viewing ganz am Rand des Strandes flüchteten. Eine weitere Gruppe ging, als die Gruppe Argentinier direkt vor ihnen, sich damit abwechselte, eine Fahne so hoch zu halten, dass die Deutschen nichts sehen konnten. Und ein einziger hielt bis zum Schluss durch, bekam aber dafür beim 1:0 auch ein paar Tritte ab. Insgesamt finden wir also, dass ein kleines bißchen "So gehn die Gauchos, die Gauchos, die gehen so", komplett angemessen war und uns in Brasilien nur noch mehr Freunde machen wird.

In diesem Sinne: Super Deutschland ole!!

PS: Wenn jemand das Halbfinale oder das Finale aufgenommen hat, bitte nicht wegwerfen. Wir würden das gerne nochmal in Ruhe sehen - ist halt doch was anderes als live.

Freitag, 11. Juli 2014

WM 2014: Unser Weg nach Rio

Wir fahren zum Finale nach Rio, das steht seit gestern Abend fest. Aber auch vorher haben wir schon viel Fußball und vor allem WM-Stimmung genossen. Also von Anfang an.

Vorrunde: Deutschland - Portugal

Die WM hat für uns noch im Amazonas angefangen, und zwar erst nur als Ergebnisberichte. Das Eröffnungsspiel und den ersten Knaller des Turniers (Holland-Spanien 5:1) haben wir durch unsere Jungletour verpasst und eigentlich hatten wir uns auch schon darauf eingestellt, alle Spiele der nächsten Tage zu verpassen. Immerhin würden wir ja auf einem Boot 3 Tage über den Amazonas schippern. Um es kurz zu machen: ich habe selten so viel Fußball geguckt. Mit unseren Bootsfreunden lernten wir alle Teams kennen, diskutierten und konnten fast jedes Spiel feiern, weil bei fast jedem Spiel jemand "direkt" beteiligt war. Nur ein Holländer konnte sich das übliche "Schade Deutschland, alles ist vorbei" nicht verkneifen - aber das kennen wir ja nicht anders und nach 10 Minuten im Portugal-Spiel war das auch vorbei. So kamen wir langsam in Stimmung und freuten uns auf Brasilien. Da alle Anwesenden ihre ersten Spiele gewannen war die Stimmung gut, aber im Hinterkopf hatte ich schon noch ein wenig die Medienberichte darüber, dass in Brasilien viele Leute gegen die WM protestierten. Naja, wir hofften trotzdem, ein wenig Sommermärchen mit Samba zu finden.


Vorrunde: Brasilien - Mexiko

Angekommen in Manaus fing die WM für uns so richtig an. Und Befürchtungen über schlechte Stimmung waren schon vor dem ersten Nachmittag komplett zerstreut. Es war der Tag des zweiten Auftritts der Seleçao, und die ganze Stadt stand Kopf. In den Straßen waren hunderte Verkäufer von Fanartikeln unterwegs. Es wurde gehupt, getrötet und alle trugen Grün-Gelb. Als wir dann mit unserem Gastgeber Ricardo erst auf einer Grillparty und dann auf dem offiziellen Fanfest waren fühlte es sich schon fast ein wenig nach 2006 an. Party, Vorfreude, Zuversicht, und immer wieder anerkennende Kommentare zur deutschen Mannschaft. Allerletzte Zweifel an der Begeisterung räumte dann ein Ausflug zur Rua da Copa aus. Die Bewohner einer kleinen Straße haben wirklich alles gegeben. Gegen den Schmuck kommen selbst die Holländer am Koniginnendag nicht an. Ein kompletter "Himmel" in Landesfarben, ganze Häuser in grün-gelb, nein nicht geschmückt sondern direkt komplett angestrichen, und eine eigene Leinwand für das Public Viewing. Im Ausflippen sind uns Brasilianer anscheinend doch überlegen.




Vorrunde: Deutschland - Ghana

Weiter ging es, und zwar nach Fortaleza, wo wir zum ersten mal direkt eingreifen würden, sprich: Deutschland-Ghana im Stadion gucken. Die Stadt war voll von Deutschen. Schon beim Fanfest am Strand und in der Gegend drumrum war überall nur Schwarzweiß oder Schwarzrot zu sehen. Hmm, eigentlich hatten wir ja für die Stimmung ein bisschen auf die Ghanaer gehofft, aber die waren nirgens zu sehen. Auch im Bus zum Stadion und auf dem Fußmarsch auf den letzten Metern waren es vor allem Deutsche und Brasilianer. Da die deutschen eh überzeugt waren zu gewinnen und den Brasilianern das ziemlich egal, war die Stimmung eher entspannt fröhlich. Im Stadion waren wir glücklicherweise im deutschen Fanblock und so war dann doch zum Spielanfang richtig Fußball-Atmosphäre. Kurz nach Spielanfang wurde dann richtig laut. Ein paar Ordner fingen an, deutsche Fanplakate abzuhängen. Toll, da konnten die echten Fans doch mal so richtig ihr ganzes Arsenal an Beschimpfungen auspacken. Danach war die erste Hälfte ein wenig langweilig, dafür gab es in der zweiten Hälfte Spektakel. Am Ende stand es 2:2. Nicht topp, aber das Achtelfinale war in Reichweite.


Achtelfinale: Brasilien - Chile

Das nächste Spiel, das uns wohl in Erinnerung bleiben wird, erlebten wir in einer Umgebung, die im Vergleich zur Großstadt Fortaleza unterschiedlicher nicht hätte sein können. Morgens um 3 waren wir losgelaufen, und zwar geradewegs mitten in die Wüste Lencois Maranhenses. Fußball gucken stand also absolut gar nicht auf dem Plan. Aber als wir mittags in der Oase ankamen, in der wir die Nacht verbringen würden, stellte sich heraus, dass es dort quasi eine Fußballkneipe gab. Ok, eigentlich war es eher eine Hütte mit Palmenblätterdach, in der die paar Touristen, die vorbei kommen essen können, aber die Hütte hatte einen Fernseher und die Oase einen Generator und eine Satelittenschüssel. Definitiv ein sehr ungewöhnlicher Ort, aber einer WM auf Weltreise angemessen. Das Spiel selber war wie das Hühnchen, dass wir zu essen bekamen. Etwas zäh und ziemlich hart. Dafür gab es aber Elfmeterschießen. Wir hielten natürlich für Brasilien, schließlich wollten wir ja noch ein wenig die Stimmung im Land genießen.


Achtelfinale: Neuer - Algerien

Zwei Tage später am anderen Ende der Wüste angekommen schauten wir dann das nächste Deutschland-Spiel. Beziehungsweise wir wollten es schauen, denn unser Guide hatte die Planung etwas verjüngt. Daher mussten wir in einen anderen Ort als geplant, um unsere großen Rucksäcke zu holen, die wir auf der Wanderung nicht mitgenommen hatten. Über der ganzen Organisiererei haben wir dann die ersten 60min des Spiels verpasst. Aber ich glaube, verpasst ist das falsche Wort, sie sind uns erspart geblieben. In einer Bäckerei schauten wir auf einem kleinen Fernseher ungläubig zu, wir der beste Libero seit Franz Beckenbauer Deutschland im Spiel hielt. Mannomann, da hätte die WM schon zu Ende sein können. Obwohl, dann hätten wir ja auf Plan B schalten können und Brasilien anfeuern. Wäre bei den vielen netten Menschen hier auch ok gewesen, aber mit Deutschland macht es einfach mehr Spaß.

Viertelfinale: Deutschland - Frankreich und Brasilien - Kolumbien

Nächste Runde, nächste Stadt. Zu den Viertelfinals waren wir in Recife um Barbaras Schulfreunde Marina und Jose zu besuchen. Das deutsche Spiel schauten wir wieder auf dem Fanfest, es war heiß und es waren mehr Deutsche als Franzosen da. Ein spannendes Spiel, das sich für uns aber eigentlich fast immer souverän anfühlte. Erst als ich mich grade bereit machte, um mit dem Handy den Jubel zum Abpfiff zu filmen hätte ich fast den Ausgleich der Franzosen verpasst. Aber wir haben ja einen Neuer im Tor, und so blieb alles im Plan. Und so war dann fast schon das bemerkenswerteste an dem Nachmittag, dass die langsam eintröpfelnden Brasilianer sich schon mal warm sangen. Mit "Hey Francia, vai tomar no cou" (Portugiesische Rechtschreibung von mir frei interpretiert) stellten sie sich auf unsere Seite - keine Ahnung warum, aber ok. Viel inbrünstiger war ein anderer Gesang: "America latina, menos Argentina!" Was wir kaum wussten: die Argentinier sind in ganz Südamerika ungefähr so beliebt wie Lodda in England und Ruudi in Holland. Und was wir da auch noch nicht wussten: das wird uns am Sonntag in Rio noch viele Freunde bescheren.

Das Highlight des Tages war dann das Spiel Brasilien-Kolumbien. Marinas Mann Geraldo organisierte dazu eine Party. Wir hatten also eine Grillparty mit ein paar Freunden erwartet - weit gefehlt. In einer für Events genutzten alten Cachaça-Fabrik stieg eine Riesenfete mit 2500 Gästen. Getränke waren umsonst, eine Riesenleinwand war aufgebaut und nach dem Spiel gab es richtig gute Bands. Wir waren beeindruckt, und wurden als Geraldos Freunde überall wie VIPs behandelt. Das Beste war aber, wie die Brasilianer für ihr Team mitfieberten und wir bei jeder spannenden Szene eine Sambaband die Stimmung noch weiter anheizte. Und das Spiel gab ja auch wirklich viel her. Dass Brasilien wohl viel gefoult hat haben wir gar nicht gemerkt, denn Wiederholungen zeigten die Kameras davon nie. Dafür wurde jeder kolumbianische Zupfer aus 20 Perspektiven analysiert. Für die Stimmung auf der Fete war der Sieg der Brasilianer natürlich wichtig. Und mein Deutschland-Trikot bescherte uns direkt viele neue Freunde. Ein anderer Trend begann auch direkt an diesem Abend. Als die Nachricht durchsickerte, dass Neymar ernsthaft verletzt sei,
begruben die Brasilianer fast alle Hoffnungen. An diesem Abend und in den nächsten Tagen teilten uns schon so viele Leute mit, dass Deutschland jetzt viel stärker sein, dass ich es kaum glauben konnte. Ich dachte immer, in Brasilien wäre der Weltmeistertitel sozusagen Standard und andere Länder auf dem Feld automatisch unterlegen. Wie auch immer, wir hatten einen tollen Fußballtag und fingen uns an auf das Spiel Deutschland-Brasilien zu freuen.
Barbara und ein gewisser David Luis auf dem Fanfest in Recife. Im Hintergrund steht Ronaldo



Halbfinale: Deutschland - Brasilien

Wo guckt man Deutschland-Brasilien, wenn man in Brasilien ist? Barbara hatte von 2010 ja noch die Erfahrung, wie es ist, Deutschland-Spanien in Madrid zu schauen und so waren wir gar nicht traurig, dass wir in Itacare waren - einer kleinen Strandstadt mit vielen Surfern und Touristen. Nächster Schritt in der Planung war die Wahl der richtigen Bar. Ein argentinisches Lokal bot sich an, wo wir vor dem Spiel noch etwas aßen und in dem einige andere Deutsche eintrudelten. Leider sagt uns der Besitzer aber, dass sein Fernseher immer ein paar Sekunden hinter dem der Bar gegenüber hinterher hing, und dass wollten wir uns dann doch nicht antuen. Also gingen wir selber in die Bar gegenüber. Dort gab es eine Leinwand, eine Sambaband, jede Menge Leute mit gelben Trikots und mit uns ganze 5 Deutsche. Nur um das mal zu sagen: wir waren trotzdem sehr sicher, schließlich kannten wir einige Leute schon und andere lernten wir über dem ersten Bier kennen. Der Barkeeper bot mir kurz vor Anpfiff noch eine Wette um 50R$ an, die ich aber nicht annahm. Ist ja nicht nur mein Geld :) Und dann ging es los.

Nach 10min war ich noch recht beeindruckt von der Wucht der Brasilianer, aber Mats und Co standen gut und bekamen das Spiel so langsam in den Griff. Dann Ecke, Müller, 1:0. Wir versuchen uns etwas leiser zu freuen und waren erst nicht sicher ob das Tor zählte, weil die Brasilianer keinen Mucks machten. Nach einer Schreckminute setzt die Sambaband wieder ein. Jetzt muss Brasilien kommen und wir können kontern. Es sieht gut aus für Rio. Nach dem 2:0 fangen wir an, dran zu glauben. Auf die Freude muss ich erstmal Bier holen gehen. Während ich noch an der Bar stehe und auf das Augenverdrehen des Barkeepers mit Schulterzucken antworte, wird schon wieder geschrien. 3:0 Hammer. Was passiert hier? Dann die Wiederholung des Tors geguckt, aber die sah irgendwie anders aus. Ach, das war ja das 4:0. Als ich mit dem Bier zurück zu den anderen komme ist es ziemlich still geworden in der Kneipe. Das 5:0 ist uns schon fast peinlich und wir schlagen nur heimlich ein. Die Brasilianer wissen gar nicht mehr was sie sagen sollen.
 Sie schauen stumm und ungläubig auf die Leinwand. Ein paar Frauen versuchen sich kurz an "Hey Alemanha, vai tomar no cou", aber das hält nur kurz und in der Halbzeitpause bekommen wir vor allem viele resignierte Schulterklopfer.
Hier haben 7:1 gebückt. Name der Kneipe: Espaco Brasil

Da ist es noch spannend. Schweini singt die Hymne

Trotzdem ziehen wir zur zweiten Halbzeit um, in die Hostel in der unsere Freunde übernachten. Dort gibt es mehr Ausländer als Brasilianer, und es gibt Internet. Noch während des Spiels bekommen wir aus Deutschland gefühlt hunderte Nachrichten, Bildchen und Filme, Witze und Glückwünsche. Mein persönlicher Favorit ist übrigens (beim Stand von 5:0) "Brazil rumo ao Hexa" (Brasilien holt den Sechsten - das inoffizielle Motto der WM, gemeint ist eigentlich der sechste Weltmeistertitel). Auch gut ist das Video hier:


Nach dem Spiel gehen wir dann doch wieder raus. Die Stimmung in der Touri-Straße ist gut und wir feiern mit anderen Deutschen, Ausländern und Brasilianern bis spät. Deutscher Fußball und brasilianische Maracuja-Caipirinha passen erstaunlich gut zusammen. Am nächsten Tag merken wir aber, dass Caipi und Bier nicht so gut zusammenpassen.

Das Spiel Argentinien-Holland haben wir dann doch bei dem Argentinier geschaut. Ich weiß nicht ob es am Kater lag, aber das Spiel war eher lahm. Während des Spiels merkten wir erst so richtig, dass wir für Argentinien waren. Liegt wohl vor allem an der Sympathie-Figur Louis van Gaal und daran, dass unsere holländischen Freunde doch immer etwas zu enthusiastisch gegen Deutschland sind. Argentinien und Brasilien haben die gleiche Rivalität wie Deutschland und Holland. Am Sonntag in Rio werden uns deshalb bestimmt viele Brasilianer mit anfeuern - Hauptsache Argentinien wir nicht Weltmeister. Beruhigend auch dass Holland raus ist, die Häme falls sie gegen uns gewonnen hätten hätte ich mir nicht anhören wollen.

Jetzt ist alles gebucht. Flug und Unterkunft für Rio bereit, das Trikot in der Wäsche (hoffentlich zerstören die das nicht...) und die FIFA hat unsere Tickets schon am Flughafen hinterlegt. Wenn das mal kein Höhepunkt der Weltreise wird.

Donnerstag, 10. Juli 2014

Zu Fuß durch die Wüste

Wir waren um 3:30 Uhr morgens losgegangen. Unsere Wüsten Durchquerung sollte drei Tage dauern, wir sollten zwei Nächte in Oasen verbringen und, laut lokalem Guide, 80km laufen. Nach der Entfernung hatten wir erst gefragt nachdem wir bereits losgelaufen waren. Ursprünglich wussten wir nur, dass wir am ersten und dritten Tag acht Stunden, am zweiten Tag vier Stunden laufen sollten. Mir war schleierhaft wie man im Sand, über Dünen bei extremer Sonneneinstrahlung 80km in 18 Stunden laufen sollte.







Die Wanderung war wunderschön. Nachts sahen wir nichts außer unglaublich vielen Sternen die vom sich über uns wölbenden Himmel glitzerten. Richtig viel Zeit um den Anblick zu genießen hatten wir aber nicht, da wir versuchten in der Kühle des Morgens schon einen guten Teil der Strecke zu schaffen. Da wir nicht viel sehen konnten, nahmen wir die Unterschiede in der Beschaffenheit des Sandes umso mehr wahr. Wenn Eskimos wirklich 20 Wörter für Schnee haben, haben die Leute in dieser Gegend bestimmt genauso viele Worte für Sand. Dann fing es langsam an zu dämmern, und die ersten Konturen der Dünen wurden sichtbar. Anfangs waren es nur Schatten und man ahnte sie mehr als dass man die vor, neben und hinter sich aufragenden 50m hohen Sandberge sah.







Als es hell wurde konnten wir sehen, dass die weißen, sanft geschwungenen Dünen in schier unendlicher Weite vor uns lagen und immer wieder kontrastreich von blauen Flüssen und türquisen Seen durchzogen wurden. Die Seen formen sich in der Regenzeit aus dem lokalen Niederschlag. Und die Dünen sehen von oben aus wie geraffte weiße Satinlaken.  Der Name des 1550 km2 großen Parks, Lencois Marahenenses, bedeutet dann auch "die Bettlaken von Maranhão". Was für eine paradoxe Landschaft. Dazu passte, dass Thorben mitten in der Wüste, fast beim höchsten Sonnenstand und wolkenlosem Himmel sagte: mir ist kalt! Nein, Thorben hatte kein Fieber. Er war grade aus einer türkisfarbenen Laguna gekommen und wartete bei ordentlichem Wind auf das Handtuch um sich abzutrocknen.






Das Grün der Oasen, die wir jeweils mittags erreichten,  war ein weiteres Kontrastprogramm zum Weiss und Blau. In der ersten Oase wohnten, weit verstreut, sechs Familien. Sie waren größtenteils Selbstversorger, bauten Gemüse und Kräuter selber an und ließen die etwas mager aussehenden (und zäh schmeckenden) Hühner, Ziegen und Schweine rumlaufen. Was sie nicht selber produzieren muss mit einem Quad hergebracht werden. So abgeschieden der Ort auch war, er hatte doch eine Satellitenschüssel. Und so konnten wir dank Generator das spannende Elfmeterschießen zwischen Brasilien und Chile in einer Oase verfolgen. Als wir dann im Fernsehen die Party in Rio und andernorts sahen, waren wir doch etwas wehmütig, aber der spektakuläre Sonnenuntergang und der Sternenhimmel versöhnten uns schnell. Die zweite Oase war der ersten sehr ähnlich; selbst der Opi sah dem Opi aus der ersten Oase ziemlich ähnlich. Und so fragten wir uns, wie es wohl um den Genpool in einem so abgeschiedenen Ort steht - kurz darauf sahen wir, dass die dreijährige Enkelin sechs Finger hatte... Auch über die Schulbildung machten wir uns Gedanken nachdem unsere Gastgeber wirklich nicht im Stande waren die drei Zahlen unserer Rechnung zu addieren, noch nicht mal mit Zettel und Papier und Vorsagen. Aber eigentlich ist das in der Wüste auch nicht wirklich wichtig.







Auch wenn ich am dritten Tag froh war angekommen zu sein, war die Wanderung nicht ganz so anstrengend wie ich befürchtet hatte. Das lag daran, dass der Rückenwind uns nicht nur kühlte und vorwärts schob sondern auch den losen Sand von der Seite der Düne herabfegte auf der wir hochwanderten. So liefen wir den Großteil unserer Strecke auf fast asphalt-hartem Sand. Runter liefen wir die Dünen mit großen Sprüngen und versanken dabei bis zu den Knien im Sand. Für weitere Abkühlung sorgten die Lagunen in denen wir während unserer Pausen schwammen und die Flüsse die wir durchquerten. Teilweise wateten wir durch, für mich, brusthohes Wasser. Glücklicherweise bekamen unsere vom Beachvollyball abgehärteten Füße auch keine Blasen vom barfuß Laufen im Sand. Zu guter letzt bin ich mir auch ziemlich sicher, dass wir keine 80km sondern eher 60km gelaufen sind. Unser Guide war, wie alle Wüsteneinwohner, ja schließlich nicht so fit in Mathe. Dafür lebt er in einer der schönsten Landschaften die ich kenne.



Dienstag, 8. Juli 2014

Couchsurfing: unser erstes Mal

Reisende möchten meistens die Menschen des Landes kennenlernen - das ist ja eben der Unterschied zwischen Reisen und Urlaub machen - und oft haben diese auch Lust Reisende aus anderen Ländern kennen zu lernen. Genau darum geht es bei Couchsurfing. Man kann auf einer Platform im Internet eine Schlafgelegenheit in der eigenen Wohnung anbieten oder bei anderen anfragen. Man legt ein Profil an, in dem man sich beschreibt, eventuell eingrenzt wen man aufnehmen möchte und warum man bei Couchsurfing mitmacht. Außerdem können sich die Couchsurfer gegenseitig bewerten. Das verringert die Wahrscheinlichkeit an schwarze Schafe zu geraten.

Um das Konzept kennen zu lernen hatten wir in Frankfurt schon ein paar mal unsere Couch angeboten. Die Erfahrungen dabei waren gemischt. Frankfurt ist halt eine Stadt, in der die meisten Leute nur durchreisen, und wir bekamen jede Menge anfragen à la "Ich habe am nächsten Tag einen Flug, und Hotels sind zu teuer". So etwas ist in der Couchsurfing-Community gar nicht beliebt, schließlich soll es weniger um den kostenlosen Schlafplatz gehen und eher um das gegenseitige Interesse aneinander. Die Surfer, die wir aufgenommen haben waren auch sehr unterschiedlich. Gleich den ersten, ein Amerikaner, mochte ich gar nicht, weil er vor alllem sehr stolz darauf war, wie wenig ihn seine Reise dank Couchsurfing kostete. Danach wurde es aber besser. Zwei Franzosen waren ganz lustig und wir konnten unser Französisch auffrischen. Und ein Schweizer mit viel Reiseerfahrung hatte viele spannende Geschichten auf Lager.

Eigentlich hatten wir uns vorgenommen, auf der Reise das Couchsurfen auch selber öfters zu nutzen, aber bisher war es noch nicht dazu gekommen. Denn man braucht eine gewisse Vorlaufzeit, um die Anfrage zu stellen und den Leuten Zeit zum Antworten zu geben. Dazu muss man natürlich ein paar Tage vorher wissen wann man an welchem Ort ist. Das hatten wir bisher nie geschafft. Wahrscheinlich hatten wir auch etwas Angst, dass wir an einen komischen Gastgeber geraten oder in einem Loch hausen würden. Wie bereits unsere Kreuzfahrt, bescherte uns die WM auch diese Erfahrung. Denn als wir in Manaus ankamen, war dort die WM in vollem Gange und die Hostelpreise utopisch hoch, deshalb hatten wir die Gelegenheit ergriffen und vorher schon eine Couch organisiert. Etwas beruhigt hatte mich, dass fast alle anderen Europäer auf dem Boot von Leticia auch bei Couchsurfern untergekommen waren. Auch war ich zu müde um richtig aufgeregt zu sein, denn wir kamen morgens um 4:30 in Manaus an. Nach einem guten Frühstück, dem Kauf eines Brasilien-Trikots und dem Aktivieren einer brasilianischen SIM-Karte, ging es dann zu unserem ersten Couch-Gastgeber: Ricardo.

Ricardo begrüßte uns herzlich und nachdem wir unsere neuerworbenen Trikots angezogen hatten, machten wir uns mit ihm auf zu seinen Freunden um das Spiel Brasilien-Mexiko zu schauen. Das Spiel war etwas langweilig, aber wir fanden es spannend, es mit Brasilianern zu schauen. Es lief genauso ab wie bei uns. Jeder brachte etwas mit, es wurde gegrillt, Salate verteilt und Bier getrunken. Ich hatte aber den Eindruck, dass die Deutschen das Spiel noch etwas ernster nehmen. Hier war es eher eine Nebensache und man wurde nicht direkt umgebracht wenn man jemandem versehentlich den Blick auf den Fernseher versperrte. Wir wurden sehr freundlich und interessiert aufgenommen und lernten einige von Ricardos Freunden kennen, die zum Glück fast alle Englisch sprachen. Nach dem Spiel gingen wir zum FIFA-Fan-Fest und hörten uns dort ein Konzert an.



Ricardos Freunde boten uns an, uns am nächsten Tag zum Frühstück ab zu holen und die Stadt zu zeigen, weil Ricardo arbeiten musste. Ab dem Moment hatten Magali und Rodrigo uns sozusagen adoptiert. Sie fuhren überall mit uns hin. Wir lernten noch mehr Leute kennen, uns wurde das typische Essen und alle Sehenswürdigkeiten gezeigt. Den letzten Tag verbrachten wir mit unseren neu gewonnen Freunden auf einem Hausboot am Amazonas. Dort aßen wir lecker, erzählten und probierten Stand-up-Paddle. Neben ein paar Brocken Portugisisch lernten wir auch einiges über das Verhältnis der Brasilianer zu Religion, Schönheit und Sicherheit.


Was uns aber am meisten beeindruckte, war die Gastfreundschaft der Manauser. Wir wurden so herzlich aufgenommen und integriert, als ob wir uns schon lange kennen würden. Wir waren überwältigt. Couchsurfing wird ab sofort ganz sicher noch öfter ein Teil unserer Reise. Als wir Manaus verließen waren wir wirklich traurig aber gleichzeitig froh so nette Menschen kennen gelernt zu haben. Auf Brasilianisch heißt das Saudade.