Montag, 25. August 2014

Schwarzweiß denken


Man kann Südafrika sehr unterschiedlich kennenlernen. Entweder man lebt wie die urbanen Besserverdiener, kurz Weiße. Dann lebt man mit jeglichem europäischen Komfort sowie einer günstigen Haushaltshilfe in Kapstadt oder Johannesburg in einem netten Apartmenthaus mit Sicherheitspersonal und hinter Gittern. Man bewegt sich nur im Auto fort und meidet die schlechten/armen Gegenden der Stadt. Die meiste Zeit unterhält man sich vorwiegend mit Weißen. Am Wochenende fährt man mit Familie oder Freunden in einen der vielen Nationalparks wo man die Landschaft genießt, wilde Tiere beobachtet und abends gepflegt mit einem Glas Wein grillt. Das ist das Leben der Expats, der meisten weißen, urbanen Südafrikaner und auch das Programm fast aller Touristen. Und auch wir haben uns dieses Wohlfühlprogramm gegönnt: Lodge im reichen Viertel von Johannesburg mit Zaun drum rum, Mietwagen, Safari, wandern und grillen im Nationalpark... Schöne heile Welt.

Die Weißen auf dem Land sind vor allem Buren, also Nachfahren der mehrheitlich deutschen und holländischen Einwanderer, die  hauptsächlich von der Landwirtschaft lebten und erst Sklavenarbeit und dann billige schwarze Arbeitskräfte nutzten. Auch heute noch sind die Weißen auf dem Land die relativ wohlhabenden Bauern, die gerne unter ihres Gleichen bleiben und nur deswegen relativ viel Kontakt mit Schwarzen haben, weil sie ihre Mitarbeiter sind.

Das Leben der meisten schwarzen Südafrikaner sieht anders aus. Viele leben entweder in Elendsvierteln (townships) am Stadtrand oder in den unterentwickelten Stammesgebieten (homelands).

Die meisten Städte hier haben einen Ortskern aus "normalen" Steinhäusern in denen die Mittel- und Oberschicht lebt. Drumherum befinden sich die Townships, die Armutsviertel. Diese sind zur Zeit der Apartheid (Rassentrennung) entstanden als die weißen Südafrikaner die Schwarzen nicht in ihrer Nähe wohnen haben wollten, aber gleichzeitig nicht auf deren billige Arbeitskraft verzichten wollten.
Mit einer gewissen Vorsicht die wir in den ersten Tagen in einem neuen Land an den Tag legen, hatten wir uns in Johannesburg nur mit einer geführten Radtour in das legendäre - weil Brutstätte der Freiheitsbewegung - Elendsviertel Soweto (South West Township) getraut. Dort haben wir nicht nur viel über die Apartheid gelernt sondern auch gesehen wie die Menschen dort 20 Jahre nach der Apartheid und unter einer "schwarzen" Regierung leben. Teilweise erinnerten uns die Gegenden an die indischen Slums. Wellblechhütten ohne Sanitäranlagen, Müll auf den Straßen und Männer, die ohne Beschäftigung rumhängen. Aber es gibt  mittlerweile auch hier etwas bessere Gegenden mit Steinhäusern und Vorgarten. Immerhin ziehen die etwas Wohlhabenderen nicht weg sondern werten das Viertel auf.

Die Homelands auf der anderen Seite sind ländliche Gebiete, die nie unter Einfluss der Weißen waren. Diese Gebiete wurden in der Apartheid den Xhosa und Zulu zugewiesen und sind extrem unterentwickelt. Diese für uns unerwartete Seite Südafrikas lernten wir bei unserem Besuch in der Bulungula Lodge an der Wild Coast kennen. Schon der Weg dorthin ist abenteuerlich, da er zwei Stunden lang nur über richtig schlechte Schotterpisten führt und man direkt das Gefühl bekommt am Ende der Welt angekommen zu sein. Diese von einer NGO aufgebauten und nun zu 50% in den Händen der dort lebenden Xhosa und zu 100% von ihnen gemanagten Eco-Lodge hat zum Ziel den Besuchern ein authentisches Bild vom dortigem Leben zu geben. Und das gelingt ihnen wirklich gut.

Die Menschen wohnen in einer idyllischen Landschaft in runden Häusern, was mich ziemlich an Schlumpfhausen erinnert hat. Und sie leben dort noch sehr traditionell. Die Familien schlafen zusammen auf dem Boden ihres Rundhauses, das Dach ist aus getrocknetem Gras und die Steine bestehen aus Lehm, Gras und Kuhdung. Bei einer "Frauen-Power" Tour nahm uns eine junge Xhosa-Frau mit zu sich nach Hause. Wir lernten nach und nach alle Familienmitglieder kennen und machten die dort typischen Frauenarbeiten: Wasser holen, Feuerholz sammeln und kochen. Nur das Wäsche waschen im Bach blieb uns erspart. Hier hat sich wirklich nicht viel verändert im letzten Jahrhundert. Obwohl die Lage traumhaft ist und die Menschen zufrieden aussehen, sollte man das einfache Leben nicht romantisieren. Es gibt keine Toiletten, keine Müllsammelstelle und keine Elektrizität. Erst seit einem Jahr gibt es eine Wasserleitung, vorher gab es nur vereinzelt Wasserstellen aus denen Grundwasser hochgepumpt wurde und Flusswasser. Die Bildung ist schlecht. Zur weiterführenden Schule müssen die Kinder drei Stunden mit dem Auto gefahren werden. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, wurde aber zumindest in den letzten drei Jahren dank der Lodge und damit verbundenen Projekten von 74% auf 45% reduziert. Mit Abstand das einzige Moderne was die Leute nutzen sind Handys.

Schwarze und Weiße leben nicht nur sehr unterschiedlich, sie denken auch sehr unterschiedlich. Es war leicht für uns mit weißen Südafrikanern ins Gespräch zukommen da sie sehr offen und freundlich zu uns waren. Irgendwann in einem Gespräch kamen sie meist auf das schlecht funktionierende Land zu sprechen. Die Regierung sei unfähig und das Land ginge den Bach runter weil die Stellen nicht nach Kompetenz besetzt würden sondern nach Hautfarbe. So weit so verständlich. Trotzdem fiel uns grade nach Brasilien auf, wie tief Rassismus im Denken vieler Leute verwurzelt ist. Ein Lodge-Besitzer auf dem Land ergänzte zu der üblichen Tirade noch: "Wir könnten so ein tolles Land sein, wenn jeder das machen würde was ihm liegt. Wenn die Europäer nun mal bessere Manager sind, dann sollten sie eben managen und die Schwarzen sollten machen was sie können, nämlich Musik machen und tanzen." Das war ihm nicht rausgerutscht, das meinte er ernst und sah auch kein Problem mit dieser Äußerung. Auch die Menschenrechtsverletzungen in der Apartheid werden öfters bagatellisiert. So behauptete derselbe Lodgebesitzer, dass es den Schwarzen jetzt gar nicht so viel besser ginge als zur Zeit der Apartheid. Die Schulen seien nicht besser geworden. Einzig die Sperrstunde seien sie losgeworden. Menschenrechte? Kein Thema für ihn. Rassismus unter den Weißen ist kein Tabu, wie auch andere Reisende fest stellen, sondern normal und alltäglich. Es gibt aber natürlich auch Ausnahmen. Zum Beispiel den Farmer Bobby, bei dem wir couchsurfsten. Er spricht Zulu, weil er mit schwarzen Kindern aufgewachsen ist und versteht zumindest ein wenig die afrikanische Seele mitsamt ihren Zauberkräften und Medizinmännern. Aber auch bei ihm ist die Rangordnung von weißem Farmbesitzer und schwarzen Arbeitern klar.

Befeuert werden die Konflikte in der Stadt von Arbeitslosigkeit und auf dem Land von der Angst enteignet zu werden. Denn nach Jahren der wirtschaftlichen Stagnation muss die  Regierungspartei ANC ihr Klientel bei der Stange halten. Dazu hieft sie möglichst viele Anhänger in Posten, und sorgt insgesamt dafür, dass fast nur Schwarze eingestellt werden. Auf dem Land ist es für Weiße zur Zeit nahezu unmöglich, Land zur Bewirtschaftung zu kaufen oder zu pachten, auch Jobs im öffentlichen Sektor sind außer Reichweite. Ein gerne zitiertes Beispiel ist hier der Gebärdendolmetscher von der Beerdigung Nelson Mandelas. Der war zwar linientreuer ANC-Mann konnte aber leider keine Gebärdensprache. Auch im Kleinen kann jeder Weiße hier Geschichten von unfähigen Schwarzen in der Verwaltung sofort aufrufen.

Aber auch dramatischere Maßnahmen werden offen gefordert: die weißen Farmer sollen den Schwarzen "ihr" Land wieder geben. Es geht also die Angst vor der Beschlagnahmung von Land um - weswegen wiederum fast jeder uns in den ersten fünf Minuten eines Gespräches erklärt, dass die heute vorherrschenden Zulu und Xhosa gar nicht die ursprünglichen Bewohner der Gegend seien sondern auch nur die davor ansässigen Jäger-und-Sammler verdrängt hätten.

Die Schwarzen, insbesondere die aus den Townships, haben die Unterdrückung und Erniedrigung der Apartheid keinesfalls vergessen oder vergeben. Sie finden, dass sie nun ein Recht auf einen Anteil am weißen Reichtum haben. Das jedenfalls ist unsere gewagte These aus unseren wenigen Interaktionen mit Schwarzen. Wir fanden es nämlich nicht leicht mit ihnen in Kontakt zu kommen, was vermutlich an unserem Reisestil lag. Außer bei geführten Touren hatten wir nur ein paar mal Kontakt mit Anhaltern, die wir ein Stück mitnahmen.

Ein Mann in unserem Alter, der aus den Stammesgebieten kam und den wir ein Stück mitnahmen als er auf dem Weg zu einer Beerdigung war, berichtete uns, dass viele Schwarze in den Stammesgebieten nun wegen der staatlichen Subventionen kaum noch arbeiten würden. Statt wie früher Gemüse im Garten anzubauen, würden sie heute lieber das Arbeitslosengeld nutzen um das selbe im Geschäft zu kaufen. Arbeit ist in den Stammesgebieten generell rar, denn Infrastruktur ist kaum vorhanden und weder private noch öffentliche Investitionen werden hier getätigt.

In der Tat hängen in Südafrika so viele Menschen am staatlichen Geld Tropf wie kaum sonst wo auf der Welt. Und obwohl ich denke, dass der Staat für soziale Gerechtigkeit in diesem polarisierten Land sorgen sollte, kann diese jüngst geschaffene Abhängigkeit vom Staat nicht der richtige Weg sein. Bobby erzählte uns, dass einige seiner schwarzen Mitarbeiter ihre Tuberkulose-Behandlung nicht abschließen um nicht geheilt zu werden. Denn nur so lange sie krank seien bekämen sie eine Art Tuberkulose-Krankengeld. Die wohl gröbste Fahrlässigkeit der Regierung ist aber die immer noch schlechtere Schulbildung der schwarzen Unterschicht. Obwohl pro Kopf mehr für Bildung ausgegeben wird als in Deutschland. Das Geld, wie so oft, verschwindet durch  Vetternwirtschaft und Korruption.

Uns erscheinen die Fronten zwischen schwarzen und weißen Südafrikanern sehr verhärtet zu sein. Das merkten wir schon daran, dass wir keine schwarzweißen Paare gesehen haben und die Kinder der Weißen sehr blond sind. In keinem anderen Land, dass wir bereist haben definierten sich Menschen so sehr und zuallererst über ihre Hautfarbe, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit gibt es so gut wie nicht. Die einen sind wütend und wollen jetzt mal "dran" sein, die anderen haben Angst und pflegen alte Vorurteile. Und in Kombination mit einer korrupten Regierung und wirtschaftlicher Stagnation, scheint uns Südafrika ein Pulverfass zu sein.

Dienstag, 19. August 2014

Brasilien: unser Fazit

Brasilien ist so etwas wie das perfekte Urlaubsland. Es gibt unglaublich viele, tolle und verschiedene Landschaften. Vom Amazonas über Wüsten bis hin zu Bergen zum Wandern und natürlich DEN Wasserfällen von Iguaçu. Man müsste wohl mehrmals hin, um alles zu sehen. Den Pantanal zum Beispiel oder die Chapada Diamantina konnten wir trotz sechs Wochen Reisedauer aus Zeitmangel nicht sehen. Vor allem aber - und das ist ja für viele Urlauber am wichtigsten - hat Brasilien tausende von Kilometern Traumstrände. Es gibt windige Strände zum Kite- oder Windsurfen, welche mit Wellen zum Wellenreiten, Stadtstrände und einsame Inselstrände. Und dann gibt es natürlich noch die Städte. Vor allem Rio und Sao Paulo sind einen Besuch wert. Rio wegen der Sehenswürdigkeiten von Zuckerhut bis Copacabana und Sao Paulo wegen Restaurants und Museen. Warum es trotzdem so wenig Touristen im Land gibt ist eigentlich ein Rätsel, es führt aber dazu, dass man viele der tollen Landschaften und Strände fast für sich alleine hat. Alleine das ist ein Grund wieder zu kommen. Die Kehrseite der riesigen Auswahl ist natürlich, dass das Land riesig ist. Im dünner besiedelten Norden hört man schon mal Sätze wie: "Das ist nicht weit, zwei Stunden von hier. Mit dem Flugzeug...". Wir haben insgesamt 3 Nächte in Nachtbussen und eine im Flugzeug verbracht und auch einiges an Geld für Transport ausgegeben. Mit etwas mehr und frühzeitiger Planung hätte man das aber vermeiden können und sich mit den recht günstigen Inlandsflügen bewegen können.

Wenn man an Brasilien denkt, denkt man(n) auch an die hübschen Brasilianerinnen. Was und spätestens am Stand aufgefallen ist, waren die vielen Schönheits-OPs. Nicht nur Brüste werden vergrößert sondern auch Hintern aufgepolstert, Nasen modelliert und Bauchspeck abgesaugt. Erstaunt hat und auch wie offen die  Brasilianerinnen damit umgehen. So haben uns erstaunlich viele ungefragt von ihren kleinen oder großen Korrekturen erzählt. Was dazu passt, dass das Ergebnis meist ziemlich künstlich aussieht. Ich frage mich nur wie man auf so einem Silikonhintern sitzt... .

Das allererste was uns im Land aber aufgefallen ist - und das passt jetzt gar nicht dazu - war die Religiosität. Gleich als wir die Grenze vom kolumbianischen Leticia zum brasilianischen Tabatinga überquerten sahen wir viele verschiedene Kirchen. Es gibt Pfingstgemeinden, Methodisten, Baptisten, Evangelisten und natürlich katholische Kirchen. Überall sieht man Menschen mit der Bibel oder religiosen Büchern rumlaufen. Auch im Fernsehen laufen auf der Hälfte der Kanäle Gottesdienste und ein "Gottseidank" ist meist wirklich wörtlich gemeint. Dabei ist Brasilien nicht stramm katholisch, sondern jeder scheint sich aus der Vielzahl der Kirchen und Philosophien das für ihn passende heraus zu suchen. In Sao Paulo wurde als wir da waren grade eine evangelikale Kirche eingeweiht. Als Modell des historischen Tempels von Salomon - nur größer und mit über 10.000 Plätzen. Das alles, zusammen mit einer Messe, die wir im Städtchen Paraty bis in unser Zimmer hören konnten weil der Pfarrer so passioniert gepredigt und die Gläubigen
gejubelt hatten, weckte unser Interesse. Wir gingen zu einer Messe von "Show da Fé" (Show des Glaubens), einem Kirchen-Franchise mit Fernsehkanal, das für besondere Events auch schon mal das Maracanã anmietet. Wir wollten den Zauber selber erleben. Als wir es uns aus der Nähe ansahen, war die Messe im Prinzip nicht viel anders als unsere. Bis auf die Gitarre und das Schlagzeug, die die Gesänge begleitet haben, die Powerpointfolien und der Versuch religiöse Bücher zu verkaufen. Der Pfarrer war auch weniger interlektuelle Moralfigur und mehr passionierter Glaubensmanager.
Manche Gläubige allerdings waren wesentlich involvierter als zu Hause. Sie schluchzten teilweise während des Gottesdienst, hoben beim Beten die Arme zum Himmel oder machten sich Notizen während der Predigt. Wir hatten aber nicht den Eindruck bei einer Sekte zu sein, jedenfalls nicht mehr als zu Hause in der Kirche.

Ein weiteres Highlight war das Essen. Man bekommt immer viel. Meist sehr gutes Fleisch mit Reis, Bohnen und - ohne das ist keine Mahlzeit vollständig - Farofa. Farofa besteht aus Maniokmehl, das mit Butter und eventuell Speck und Zwiebeln gebraten wird. Als Pulver wird es über jedes Essen gestreut und trägt, unserer Meinung nach, gar nichts zum Geschmack bei. Es ist nämlich fast komplett geschmacksneutral. Trotzdem ist für Brasilianer ein Essen ohne Farofa einfach nicht komplett. Brasilien hat auch seine ganz speziellen Restaurants, dabei kommt man meist ziemlich schnell an sein Essen. So gibt es öfter Rodizio, wobei die Kellner mit verschiedenen Essen rumkommen und man sich etwas davon aussucht. Man kann sich solange nehmen bis man satt ist. Meist gehen die Kellner dabei mit großen Spießen auf denen gegrilltes Fleisch ist rum und schneiden auf Wunsch etwas davon ab. Das Konzept ist aber so beliebt in Brasilien, dass es nun auch Pizza-Rodizio oder ähnliches gibt. Eine genauso schnelle Alternative ist das Kilo-Restaurant. Dort nimmt man sich etwas vom Buffett und zählt pro Kilo.

Zu trinken gibt es dazu, oder auch ohne essen, immer und gerne Bier. Schon morgens und mittags sieht man Leute in der Sonne sitzen und ein Bier trinken. Und zwar immer eiskalt. Die Obsession für kaltes Bier geht mindestens so weit wie die für Farofa. Ein Barbesitzer, der etwas auf sich hält würde zum Beispiel niemals Cola und Bier im gleichen Kühlschrank lagern. Cola friert nämlich bei 0 Grad und Bier erst bei -4. Und genau das ist die optimale Temperatur, um ein brasilianisches Bier zu trinken. Ein paar mal fror mir das Bier nach dem Eingießen im Glas oder waren Dosen im Kühlschrank angefroren. Das geht so weit, dass die Temperatur des Bieres der beste Gradmesser für die Qualität einer Bar ist. Ein typische Unterhaltung geht dann so: "Ist nett hier." "Ja, das Bier ist kalt."

Um aber mal zum Wichtigsten zu kommen. So kalt wie das Bier ist, so warm sind die Leute. (Sorry für das schlechte Wortspiel) Wir haben wirklich überall unglaublich hilfsbereite, warme und liebe Menschen kennen gelernt. Ein Beispiel: Ich stand im Supermarkt an der Brottheke und verglich zwei verschiedene Packungen Brötchen. Da spricht mich eine alte Frau an, und zeigt auf einen Mitarbeiter des Supermarktes: "Der legt gleich neue hin, die sind frischer. Wie viele brauchst du denn?" Und dann zum Mitarbeiter: "Gib mir doch mal 4 und dem jungen Mann hier 5 Brötchen". Noch einen schönen Tag gewünscht, und weiter ging es. Solche kurzen Begegnungen machen das Leben einfach netter. Ich glaube ich fange das in Deutschland auch mal an. Und
das die Freundlichkeit nicht nur oberflächlich ist, sondern sehr ernst gemeint (den Vorwurf machen griesgrämige Deutsche ja gerne allen, die grundlos nett sind) konnten wir erfahren, als wir es wirklich brauchten. Wir hatten einen Bus nach Sao Paulo genommen um am gleichen Tag von dort einen Flug nach Florianopolis zu nehmen. Als wir aber am Flughafen einchecken wollten, merkte ich, dass ich unsere Pässe im Bus hatte liegen lassen. Bevor jetzt alle "typisch Thorben" sagen, möchte ich zu meiner Verteidigung sagen, dass wir vorher in fast 8 Monaten quasi nichts Wichtiges hatten liegen lassen. Wie auch immer, während ich mit dem Taxi zum Busbahnhof zurück fuhr, blieb Barbara am Flughafen und schrieb ein paar unserer neuen brasilianischen Freunde. Am Busbahnhof angekommen stieg der Taxifahrer mit aus und fragte für mich überall rum - leider ohne Erfolg, der Bus war bereits ins Depot gefahren. Zurück am Flughafen war der Flug natürlich ohne uns weg, aber dafür hatte brasilianische Hilfsbereitschaft zugeschlagen. Aus Manaus hatte Rodrigo eine Meldung bei der Busgesellschaft aufgemacht, aus Rio de Janeiro hatte Pablo schon beim deutschen Konsulat angerufen und Rafael, der in Sao Paulo wohnte bot uns einen Schlafplatz an. Als dann wenig später die Busgesellschaft sich noch bei Rodrigo meldete, dass die Pässe gefunden waren, war der Schreck vorbei und wir konnten uns beruhigen. Ich weiß nicht, wie die Geschichte ohne unsere Freunde ausgegangen wäre. Freunde, die wir alle erst seit ein paar Wochen kannten und die wir alle nur ein paar mal gesehen hatten.

Die Brasilianer sind im ganzen Land sehr gastfreundlich und dennoch gibt es starke regionale Unterschiede. Vor allem im Norden, Nordosten und im afrikanisch angehauchten Bahia sind sie oft so, wie Barbara sich die Kubaner vorgestellt hatte. Warm, emotional, Musik liebend, entspannt. Weiter im Süden, in Rio oder Sao Paulo, erscheint dann alles etwas europäischer. Man ist tendenziell etwas reservierter, alles läuft geordneter.  Unterschiede gibt es natürlich auch auf Grund der verschiedenen Hautfarben im Land. Brasilien hatte sehr viele Sklaven und damit heute eine Bevölkerung, die sehr gemischt ist. Und auch wenn immer noch die Schwarzen oft ärmer sind als die Weißen, gab es keinen sichtbaren Rassismus. Klar, wirklich gleich sind Schwarz und Weiß auch hier nicht. Die Zimmermädchen und Nannys sind fast ausnahmslos schwarz und die Leute aus der Mittel- bis Oberklasse, die wir kennen lernten, weiß. Trotzdem waren alle mit denen wir sprachen stolz darauf, dass es in Brasilien nicht wichtig sei, welche Hautfarbe man habe. Viele offensichtlich hellhäutige Leute betonten auch, dass sie ein wenig schwarzes und/oder indianisches Blut hätten. Und nicht zuletzt konnte man durchaus gemischte Paare sehen oder Feten auf denen Schwarz, Weiß und alles dazwischen zusammen tanzten. Dinge, die in vielen anderen Ländern kaum denkbar wären.

Wir haben Brasilien in den 6 Wochen sehr lieben gelernt, vor allem natürlich, weil wir in keinem anderen Land bisher so viele Freunde gemacht haben. Wir freuen uns darauf, eines Tages zurück zu kommen, oder den ein oder anderen in Frankfurt begrüßen zu können. Vielleicht Ricardo auf seiner Weltreise?!? Wenn wir an Brasilien denken, haben wir Saudade. Aber um zu wissen, was das ist, muss man wohl selber hin fahren. Worauf wartet ihr?

Urbane Gewalt?

Wenn ich an Brasilien denke, denke ich an Sonne, Strand, Palmen, Samba und fröhliche Menschen. Aber bereits vor unserer Reise und auch während unserer Reise bekamen wir oft zu hören: "Passt bloß auf in Brasilien, dort ist es gefährlich. Jeder hat eine Waffe und ein Menschenleben ist kaum etwas wert." Nicht nur Freunde sondern auch die Medien zeichneten ein furchteinflößendes Bild von Brasilien.

Jetzt möchte ich dem gerne voll und ganz wiedersprechen, denn das Land hat uns nur seine allerbesten Seite gezeigt. Leute, die selber noch nie in dem Land waren haben meist völlig übertriebene Sorgen und die Medien spitzen ihre Reportagen bekanntlich gerne zu. Aber natürlich haben sie auch nicht unrecht. Das erste Indiz für ein hohes Gewaltpotenzial in Brasilien waren die eigens zum Schutz der WM Fans angerückten Polizisten. Die haben wir zwar auch in deutschen Fußballstadien, aber nicht mit automatischen Gewehren und sogar Panzern. Nein, das war ein ganz anderes Kaliber. Das zweite was uns auffiel war, dass alle die wir kennenlernten in bewachten Hochhäusern oder umzäunten kleinen Wohnblocks mit identischen Einfamilienhäuschen wohnten. Selbst nicht so schicke Häuser waren stets gesichert. In Brasiliens Mittel- und Oberschicht geht die  Angst um.

Perpetua, unsere Gastgeberin in Fortaleza, eine der Städte mit den höchsten Mordraten in Brasilien, war ein besonders extremes Beispiel dafür und wir fanden sie schon übertrieben verängstigt. Sie erzählte uns von zwei mexikanischen Mädels, die bei ihr zu Besuch gewesen waren, denen sie ein Taxi gerufen hatte und die vor dem Haus auf das Taxi gewartet hatten. Punkt. Das ist alles. Thorben und ich warteten vergebens auf die noch kommende Geschichte. Sie fand es einfach unglaublich gefährlich auf dem Bürgersteig auf ein Taxi zu warten. Die beiden hätten innerhalb des umzäunten Geländes warten sollen. Sie hätte gedacht, dass man so was doch wissen müsse, wenn man aus Mexiko Stadt kommt. Thorben und ich waren etwas perplex, waren wir doch zuvor zu Fuß durch die Straßen geschlendert. Ich hatte sogar alleine draußen auf Thorben gewartet während er schnell die Einkaufstüten ins Haus gebracht hatte. Perpetua selbst fährt überall nur mit dem Auto hin und trägt nur Modeschmuck, als Vorsichtsmassnahme. Nachts geht sie gar nicht raus, weil man selbst im Auto nicht sicher sei. So saßen wir an einem Nachmittag mit ihr am Strand, es war rammelvoll. Um 17:00 sagte sie, dass wir jetzt gehen müssten, weil es gleich dunkel werde. Gleichzeitig kam direkt neben uns noch eine Familie mit kleinen Kindern an. Leute machten Selfies mit iPhones oder schliefen im Sand.

Perpetua ist sicher extrem vorsichtig, aber eine gewisse Vorsicht ist den meisten Brasilianern zur zweiten Natur geworden. Nächtliche Kreuzungen an kaum befahrenen Straßen waren allen unseren Bekannten ein Graus. Dort machten sie immer ihr verdunkelten Fenster hoch und suchten routiniert die Straßenränder nach potentiellen Räubern ab. Ein Jeepfahrer, der uns zur Wüste gefahren hatte, berichtete, dass ihm vor nicht ganz so langer Zeit sein teurer Jeep, seine Einkommensquelle, geraubt wurde. Die Räuber standen einfach an einer Kreuzung,  und als er um 11 Uhr mittags dort anhielt, richteten sie die Pistole auf ihn, zwangen ihn zum Aussteigen und fuhren mit dem Auto davon. Wenn einem auch selten direkt das Auto geklaut wird, so erbeuten die Diebe öfters mal eine Handtasche. Entweder durch Bedrohung oder durch das Einschlagen des Beifahrerfensters. Wiederstand sollte man aber nie leisten, rät die Polizei und auch unsere Freunde. Einfach alles hergeben.

Auch meine Freundin Marina fuhr lieber das kurze Stück zwischen unserem Hotel und einem Restaurant mit dem Auto. Die Gegend sei zwar gut, aber nachts sollte man lieber kein Risiko eingehen. Sie uns ihr Bruder haben sogar gepanzerte Wagen. Das war unser letztes Indiz für ein hohes Gewaltpotential. Jetzt wollte ich wissen wie es denn mit der tatsächlichen Gewalt aussieht und fragte Marina ob ihnen denn schon mal etwas zugestoßen sei. Gottseidank nicht. Selbst Perpetua musste bei dieser Frage lange nachdenken bis sie sich schliesslich daran erinnerte, dass sie einmal vor über 10 Jahren mit einer unter dem Puli versteckten Waffe - echt oder auch nicht - bedroht wurde. Der Dieb hätte aber nur Kleingeld erbeutet. Eine Freundin von Perpetua wurde am Stadtstrand einmal bestohlen von einem Mob Kindern, wie man es aus den deutschen Medien kennt. Ohrringe und eine Sonnenbrille hatten sie ihr gestohlen. Auch das war vor zehn Jahren. So richtig wilde Geschichten, konnte eigentlich keiner, bis auf den armen Jeepfahrer,
berichten und meist waren die Vorfälle bereits verjährt. Die ständige unterschwellige Angst vor Überfällen und Einbrüchen schmälert die Lebensqualität jedoch erheblich.

Letztlich muss auch ich gestehen, dass ich das Problem, mit der Absicht den Leser dazu zu bringen bis zum Schluss zu lesen, etwas übertrieben dargestellt habe. Denn diese Gewalt, oder die Angst vor der Gewalt, beschränkt sich hauptsächlich auf die großen Städte im Nordosten (Fortaleza, Recife). In kleineren Städtchen und vor allem an Touristenorten merkt man davon gar nichts. So konnten wir in Itacare oder Ilha Grande ohne Bedenken nachts noch rumlaufen. Auch fast überall in Rio de Janeiro und Sao Paulo konnte man sich frei bewegen, wobei wir nichts zur Sicherheit in den Favelas sagen können, weil wir nicht dort waren. Die Leute nutzen die Metro und die Busse, es gibt Ausgehviertel, Flaniermeilen, große Parks, Märkte und Stadtstrände. Wohnungen haben zwar auch in den Städten im Süden meist einen Zaun und einen Pförtner, aber man lebt durchaus auch draußen - mit ein wenig gesundem Menschenverstand halt. Und so würde ich gerne damit abschließen, dass eigentlich alles gar nicht so schlimm ist. Das Problem beschränkt sich auf wenige Städte, und die Gewalt scheint mehr in der Angst der Personen als in der Realität stattzufinden. Nutzt man seinen natürlichen Menschenverstand und läuft nachts nicht in obskuren Ecken rum, dann passiert einem auch nichts.

Nun ja, zumindest passiert einem dann nichts schlimmes. Denn an unserm vorletzten Tag in Sao Paulo wurde uns die Lektion erteilt, dass man auch trotz umsichtigen Verhaltens beraubt werden kann. Thorben sah, auf einer belebten Strasse und am hellichten Tag, wie vier Männer einen anderen Mann in einen Hauseingang schoben, dort seine Taschen durchsuchten und leerten und blitzschnell wieder verschwanden. Das ganze dauerte nur wenige Sekunden und Thorben verstand erst was geschehen war, als er ein Messer in der Hand einer der Männer sah. Ich hatte nur den Tumult bemerkt, aber nicht wirklich verstanden was vor sich ging.

Das Gewaltpotential in brasilianischen Städten lässt sich nicht leugnen. Als Tourist sollte man sich dort also an die üblichen Vorsichtsmaßnahmen halten und vor allem nichts Wertvolles mit sich tragen, dann ist der Schaden auch begrenzt, wenn man bestohlen wird. Außerhalb der besagten Städte ist das Land sehr sicher. Man sollte sich in Brasilien auf gar keinen Fall vor lauter Angst einsperren oder gar Brasilien als ganzes meiden. Die Zeiten in denen man um sein Leben fürchten musste sind vorbei, bzw. scheinen nur noch in den Köpfen zu existieren. Brasilien hat so viel zu bieten und man sollte es sich nicht entgehen lassen!