Freitag, 11. Juli 2014

WM 2014: Unser Weg nach Rio

Wir fahren zum Finale nach Rio, das steht seit gestern Abend fest. Aber auch vorher haben wir schon viel Fußball und vor allem WM-Stimmung genossen. Also von Anfang an.

Vorrunde: Deutschland - Portugal

Die WM hat für uns noch im Amazonas angefangen, und zwar erst nur als Ergebnisberichte. Das Eröffnungsspiel und den ersten Knaller des Turniers (Holland-Spanien 5:1) haben wir durch unsere Jungletour verpasst und eigentlich hatten wir uns auch schon darauf eingestellt, alle Spiele der nächsten Tage zu verpassen. Immerhin würden wir ja auf einem Boot 3 Tage über den Amazonas schippern. Um es kurz zu machen: ich habe selten so viel Fußball geguckt. Mit unseren Bootsfreunden lernten wir alle Teams kennen, diskutierten und konnten fast jedes Spiel feiern, weil bei fast jedem Spiel jemand "direkt" beteiligt war. Nur ein Holländer konnte sich das übliche "Schade Deutschland, alles ist vorbei" nicht verkneifen - aber das kennen wir ja nicht anders und nach 10 Minuten im Portugal-Spiel war das auch vorbei. So kamen wir langsam in Stimmung und freuten uns auf Brasilien. Da alle Anwesenden ihre ersten Spiele gewannen war die Stimmung gut, aber im Hinterkopf hatte ich schon noch ein wenig die Medienberichte darüber, dass in Brasilien viele Leute gegen die WM protestierten. Naja, wir hofften trotzdem, ein wenig Sommermärchen mit Samba zu finden.


Vorrunde: Brasilien - Mexiko

Angekommen in Manaus fing die WM für uns so richtig an. Und Befürchtungen über schlechte Stimmung waren schon vor dem ersten Nachmittag komplett zerstreut. Es war der Tag des zweiten Auftritts der Seleçao, und die ganze Stadt stand Kopf. In den Straßen waren hunderte Verkäufer von Fanartikeln unterwegs. Es wurde gehupt, getrötet und alle trugen Grün-Gelb. Als wir dann mit unserem Gastgeber Ricardo erst auf einer Grillparty und dann auf dem offiziellen Fanfest waren fühlte es sich schon fast ein wenig nach 2006 an. Party, Vorfreude, Zuversicht, und immer wieder anerkennende Kommentare zur deutschen Mannschaft. Allerletzte Zweifel an der Begeisterung räumte dann ein Ausflug zur Rua da Copa aus. Die Bewohner einer kleinen Straße haben wirklich alles gegeben. Gegen den Schmuck kommen selbst die Holländer am Koniginnendag nicht an. Ein kompletter "Himmel" in Landesfarben, ganze Häuser in grün-gelb, nein nicht geschmückt sondern direkt komplett angestrichen, und eine eigene Leinwand für das Public Viewing. Im Ausflippen sind uns Brasilianer anscheinend doch überlegen.




Vorrunde: Deutschland - Ghana

Weiter ging es, und zwar nach Fortaleza, wo wir zum ersten mal direkt eingreifen würden, sprich: Deutschland-Ghana im Stadion gucken. Die Stadt war voll von Deutschen. Schon beim Fanfest am Strand und in der Gegend drumrum war überall nur Schwarzweiß oder Schwarzrot zu sehen. Hmm, eigentlich hatten wir ja für die Stimmung ein bisschen auf die Ghanaer gehofft, aber die waren nirgens zu sehen. Auch im Bus zum Stadion und auf dem Fußmarsch auf den letzten Metern waren es vor allem Deutsche und Brasilianer. Da die deutschen eh überzeugt waren zu gewinnen und den Brasilianern das ziemlich egal, war die Stimmung eher entspannt fröhlich. Im Stadion waren wir glücklicherweise im deutschen Fanblock und so war dann doch zum Spielanfang richtig Fußball-Atmosphäre. Kurz nach Spielanfang wurde dann richtig laut. Ein paar Ordner fingen an, deutsche Fanplakate abzuhängen. Toll, da konnten die echten Fans doch mal so richtig ihr ganzes Arsenal an Beschimpfungen auspacken. Danach war die erste Hälfte ein wenig langweilig, dafür gab es in der zweiten Hälfte Spektakel. Am Ende stand es 2:2. Nicht topp, aber das Achtelfinale war in Reichweite.


Achtelfinale: Brasilien - Chile

Das nächste Spiel, das uns wohl in Erinnerung bleiben wird, erlebten wir in einer Umgebung, die im Vergleich zur Großstadt Fortaleza unterschiedlicher nicht hätte sein können. Morgens um 3 waren wir losgelaufen, und zwar geradewegs mitten in die Wüste Lencois Maranhenses. Fußball gucken stand also absolut gar nicht auf dem Plan. Aber als wir mittags in der Oase ankamen, in der wir die Nacht verbringen würden, stellte sich heraus, dass es dort quasi eine Fußballkneipe gab. Ok, eigentlich war es eher eine Hütte mit Palmenblätterdach, in der die paar Touristen, die vorbei kommen essen können, aber die Hütte hatte einen Fernseher und die Oase einen Generator und eine Satelittenschüssel. Definitiv ein sehr ungewöhnlicher Ort, aber einer WM auf Weltreise angemessen. Das Spiel selber war wie das Hühnchen, dass wir zu essen bekamen. Etwas zäh und ziemlich hart. Dafür gab es aber Elfmeterschießen. Wir hielten natürlich für Brasilien, schließlich wollten wir ja noch ein wenig die Stimmung im Land genießen.


Achtelfinale: Neuer - Algerien

Zwei Tage später am anderen Ende der Wüste angekommen schauten wir dann das nächste Deutschland-Spiel. Beziehungsweise wir wollten es schauen, denn unser Guide hatte die Planung etwas verjüngt. Daher mussten wir in einen anderen Ort als geplant, um unsere großen Rucksäcke zu holen, die wir auf der Wanderung nicht mitgenommen hatten. Über der ganzen Organisiererei haben wir dann die ersten 60min des Spiels verpasst. Aber ich glaube, verpasst ist das falsche Wort, sie sind uns erspart geblieben. In einer Bäckerei schauten wir auf einem kleinen Fernseher ungläubig zu, wir der beste Libero seit Franz Beckenbauer Deutschland im Spiel hielt. Mannomann, da hätte die WM schon zu Ende sein können. Obwohl, dann hätten wir ja auf Plan B schalten können und Brasilien anfeuern. Wäre bei den vielen netten Menschen hier auch ok gewesen, aber mit Deutschland macht es einfach mehr Spaß.

Viertelfinale: Deutschland - Frankreich und Brasilien - Kolumbien

Nächste Runde, nächste Stadt. Zu den Viertelfinals waren wir in Recife um Barbaras Schulfreunde Marina und Jose zu besuchen. Das deutsche Spiel schauten wir wieder auf dem Fanfest, es war heiß und es waren mehr Deutsche als Franzosen da. Ein spannendes Spiel, das sich für uns aber eigentlich fast immer souverän anfühlte. Erst als ich mich grade bereit machte, um mit dem Handy den Jubel zum Abpfiff zu filmen hätte ich fast den Ausgleich der Franzosen verpasst. Aber wir haben ja einen Neuer im Tor, und so blieb alles im Plan. Und so war dann fast schon das bemerkenswerteste an dem Nachmittag, dass die langsam eintröpfelnden Brasilianer sich schon mal warm sangen. Mit "Hey Francia, vai tomar no cou" (Portugiesische Rechtschreibung von mir frei interpretiert) stellten sie sich auf unsere Seite - keine Ahnung warum, aber ok. Viel inbrünstiger war ein anderer Gesang: "America latina, menos Argentina!" Was wir kaum wussten: die Argentinier sind in ganz Südamerika ungefähr so beliebt wie Lodda in England und Ruudi in Holland. Und was wir da auch noch nicht wussten: das wird uns am Sonntag in Rio noch viele Freunde bescheren.

Das Highlight des Tages war dann das Spiel Brasilien-Kolumbien. Marinas Mann Geraldo organisierte dazu eine Party. Wir hatten also eine Grillparty mit ein paar Freunden erwartet - weit gefehlt. In einer für Events genutzten alten Cachaça-Fabrik stieg eine Riesenfete mit 2500 Gästen. Getränke waren umsonst, eine Riesenleinwand war aufgebaut und nach dem Spiel gab es richtig gute Bands. Wir waren beeindruckt, und wurden als Geraldos Freunde überall wie VIPs behandelt. Das Beste war aber, wie die Brasilianer für ihr Team mitfieberten und wir bei jeder spannenden Szene eine Sambaband die Stimmung noch weiter anheizte. Und das Spiel gab ja auch wirklich viel her. Dass Brasilien wohl viel gefoult hat haben wir gar nicht gemerkt, denn Wiederholungen zeigten die Kameras davon nie. Dafür wurde jeder kolumbianische Zupfer aus 20 Perspektiven analysiert. Für die Stimmung auf der Fete war der Sieg der Brasilianer natürlich wichtig. Und mein Deutschland-Trikot bescherte uns direkt viele neue Freunde. Ein anderer Trend begann auch direkt an diesem Abend. Als die Nachricht durchsickerte, dass Neymar ernsthaft verletzt sei,
begruben die Brasilianer fast alle Hoffnungen. An diesem Abend und in den nächsten Tagen teilten uns schon so viele Leute mit, dass Deutschland jetzt viel stärker sein, dass ich es kaum glauben konnte. Ich dachte immer, in Brasilien wäre der Weltmeistertitel sozusagen Standard und andere Länder auf dem Feld automatisch unterlegen. Wie auch immer, wir hatten einen tollen Fußballtag und fingen uns an auf das Spiel Deutschland-Brasilien zu freuen.
Barbara und ein gewisser David Luis auf dem Fanfest in Recife. Im Hintergrund steht Ronaldo



Halbfinale: Deutschland - Brasilien

Wo guckt man Deutschland-Brasilien, wenn man in Brasilien ist? Barbara hatte von 2010 ja noch die Erfahrung, wie es ist, Deutschland-Spanien in Madrid zu schauen und so waren wir gar nicht traurig, dass wir in Itacare waren - einer kleinen Strandstadt mit vielen Surfern und Touristen. Nächster Schritt in der Planung war die Wahl der richtigen Bar. Ein argentinisches Lokal bot sich an, wo wir vor dem Spiel noch etwas aßen und in dem einige andere Deutsche eintrudelten. Leider sagt uns der Besitzer aber, dass sein Fernseher immer ein paar Sekunden hinter dem der Bar gegenüber hinterher hing, und dass wollten wir uns dann doch nicht antuen. Also gingen wir selber in die Bar gegenüber. Dort gab es eine Leinwand, eine Sambaband, jede Menge Leute mit gelben Trikots und mit uns ganze 5 Deutsche. Nur um das mal zu sagen: wir waren trotzdem sehr sicher, schließlich kannten wir einige Leute schon und andere lernten wir über dem ersten Bier kennen. Der Barkeeper bot mir kurz vor Anpfiff noch eine Wette um 50R$ an, die ich aber nicht annahm. Ist ja nicht nur mein Geld :) Und dann ging es los.

Nach 10min war ich noch recht beeindruckt von der Wucht der Brasilianer, aber Mats und Co standen gut und bekamen das Spiel so langsam in den Griff. Dann Ecke, Müller, 1:0. Wir versuchen uns etwas leiser zu freuen und waren erst nicht sicher ob das Tor zählte, weil die Brasilianer keinen Mucks machten. Nach einer Schreckminute setzt die Sambaband wieder ein. Jetzt muss Brasilien kommen und wir können kontern. Es sieht gut aus für Rio. Nach dem 2:0 fangen wir an, dran zu glauben. Auf die Freude muss ich erstmal Bier holen gehen. Während ich noch an der Bar stehe und auf das Augenverdrehen des Barkeepers mit Schulterzucken antworte, wird schon wieder geschrien. 3:0 Hammer. Was passiert hier? Dann die Wiederholung des Tors geguckt, aber die sah irgendwie anders aus. Ach, das war ja das 4:0. Als ich mit dem Bier zurück zu den anderen komme ist es ziemlich still geworden in der Kneipe. Das 5:0 ist uns schon fast peinlich und wir schlagen nur heimlich ein. Die Brasilianer wissen gar nicht mehr was sie sagen sollen.
 Sie schauen stumm und ungläubig auf die Leinwand. Ein paar Frauen versuchen sich kurz an "Hey Alemanha, vai tomar no cou", aber das hält nur kurz und in der Halbzeitpause bekommen wir vor allem viele resignierte Schulterklopfer.
Hier haben 7:1 gebückt. Name der Kneipe: Espaco Brasil

Da ist es noch spannend. Schweini singt die Hymne

Trotzdem ziehen wir zur zweiten Halbzeit um, in die Hostel in der unsere Freunde übernachten. Dort gibt es mehr Ausländer als Brasilianer, und es gibt Internet. Noch während des Spiels bekommen wir aus Deutschland gefühlt hunderte Nachrichten, Bildchen und Filme, Witze und Glückwünsche. Mein persönlicher Favorit ist übrigens (beim Stand von 5:0) "Brazil rumo ao Hexa" (Brasilien holt den Sechsten - das inoffizielle Motto der WM, gemeint ist eigentlich der sechste Weltmeistertitel). Auch gut ist das Video hier:


Nach dem Spiel gehen wir dann doch wieder raus. Die Stimmung in der Touri-Straße ist gut und wir feiern mit anderen Deutschen, Ausländern und Brasilianern bis spät. Deutscher Fußball und brasilianische Maracuja-Caipirinha passen erstaunlich gut zusammen. Am nächsten Tag merken wir aber, dass Caipi und Bier nicht so gut zusammenpassen.

Das Spiel Argentinien-Holland haben wir dann doch bei dem Argentinier geschaut. Ich weiß nicht ob es am Kater lag, aber das Spiel war eher lahm. Während des Spiels merkten wir erst so richtig, dass wir für Argentinien waren. Liegt wohl vor allem an der Sympathie-Figur Louis van Gaal und daran, dass unsere holländischen Freunde doch immer etwas zu enthusiastisch gegen Deutschland sind. Argentinien und Brasilien haben die gleiche Rivalität wie Deutschland und Holland. Am Sonntag in Rio werden uns deshalb bestimmt viele Brasilianer mit anfeuern - Hauptsache Argentinien wir nicht Weltmeister. Beruhigend auch dass Holland raus ist, die Häme falls sie gegen uns gewonnen hätten hätte ich mir nicht anhören wollen.

Jetzt ist alles gebucht. Flug und Unterkunft für Rio bereit, das Trikot in der Wäsche (hoffentlich zerstören die das nicht...) und die FIFA hat unsere Tickets schon am Flughafen hinterlegt. Wenn das mal kein Höhepunkt der Weltreise wird.

3 Kommentare:

  1. Bringt uns ja den Post nach Hause. ;-)

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  2. Pott mein ich natürlich.

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  3. Liebe Barbara, lieber Thorben,

    ich sitze gerade im Hotel in Helsinki, nach meiner kleinen Laufeinheit um den gegenüberliegenden See habe ich beim Vertilgen meines Sandwiches vom See-Kiosk euren Blog und den Bericht über die WM gelesen...Wahnsinn! Es muss unglaublich und einzigartig gewesen sein, die WM in Brasilien zu erleben. Faszinierend finde ich, an welchen Orten ihr die Spiele gesehen habt - sogar mitten in der Wüste!

    Und worum ich euch echt richtig beneide (neben den vielen anderen Dingen, die ihr auf der Reise erlebt): Das WM Finale und den Titel der Deutsche Mannschaft hautnah im Maracana Stadion miterlebt zu haben. Wow, das könnt ihr noch euren Enkeln erzählen.....:-)

    Alles Liebe und noch viel Spaß, Jigs

    PS: Wo bleibt der Bericht vom Endspiel....:-)

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