Montag, 27. Oktober 2014

Wilder Westen und naher Osten


Wir sitzen in Sansibar am Strand. Nicht irgendein Strand, sondern einer der schönsten, die wir auf dieser Reise und überhaupt je gesehen haben. Diese Strandtage hatten wir lange geplant, um uns am Ende der Reise nochmal so richtig zu entspannen und um erholt zu Hause an zu kommen.

Viele werden vielleicht denken, dass wir uns doch jetzt ein ganzes Jahr lang ausgeruht haben, aber das stimmt nicht ganz. Wir hatten zwar mehr Freiheit als je zuvor und konnten "der Nase nach" reisen, aber oft war das Reisen eher spannend als entspannend. Und unsere Tour durch den wilden Westen von Tansania ist ein gutes Beispiel dafür. Es gibt kaum Touristen, die Infrastruktur ist  schlecht, und manchmal fühlt man einfach, dass man dem Kongo näher ist, als den Condor-Flugzeugen. Die Tage dort könnten kaum unterschiedlicher sein zu den Tagen hier auf der Urlaubsinsel Sansibar.

Um direkt mal mit dem Wichtigsten anzufangen, das Essen ist kaum vergleichbar. In vielen kleineren Orten im Westen (und die sind alle klein) muss man Glück haben, um ein Restaurant zu finden. Oft sind sie nicht gekennzeichnet; eigentlich ist es nicht mehr als eine Mama, die auf Anfrage auch für andere kocht. Da man sich kennt, braucht es kein Schild, und dass geöffnet ist erkennt man an dem Wassereimer und der Seife-Flasche vor der Tür. Wenn man fragt, was es denn gibt (auf Suaheli, denn nur wenige dort sprechen englisch) ist die Antwort unweigerlich: "Reis, Ugali, Huhn, Fleisch". Nur morgens nicht, dann lautet die Antwort:"Chapati, Ei, Tee". Nach Gewürzen oder Zubereitung wird nicht groß unterschieden. Ist auch nicht nötig, denn Essen soll vor allem satt machen. Hier auf Sansibar dagegen haben die meisten Restaurants Leute, die Passanten ansprechen, es gibt Speisekarten, auf denen so etwas wie "in Kokosnuss", "Cajun-Style", oder "Mediterran" steht. Es gibt Dachterassen und Strandblick, es ist eine andere Welt.

Ähnlich ist es mit den Unterkünften. Wenn man mal die 500$ Luxuslodges in den Nationalparks weglässt, dann gibt es in den Orten und Städten im Westen wenn überhaupt nur kleine Hotels, die auf lokale Reisende zielen. Wir haben uns davon meist die besseren rausgesucht, und für um die €10 pro Nacht einen ganz ordentlichen Wert bekommen. Gut, das Moskitonetz konnte auch schon mal ein Loch haben, den Vorhang lässt man genau in der Stellung, in der man ihn vorfindet, weil er sonst bestimmt runter fällt und im Bad besteht die Dusche (Warmwasser geht grade heute nicht) aus einem Wasserhahn und einem Eimer am einen Ende des Raumes und einem Abfluss am anderen Ende. Dazwischen das Klo... In Sansibar haben wir dagegen das Budget mal so richtig aufgedreht. Und weil die Saison hier fast vorbei ist, bekommen wir auch hier so richtig was für unser Geld. Klimaanlage, tolles Bad, Frühstück auf der Dachterasse, schnelles Internet und so weiter. Ich habe sogar zum ersten mal im Leben einen Turn-Down-Service erfahren dürfen.

Und um die Kernthemen des Reisenden abzuschließen: ja, auch der Transport ist hier anders. In Kasanga sollte uns um 4:30 morgens ein Motorradtaxi abholen kommen und zum einzigen Bus des Tages bringen. Weil das aber zu spät war fuhren wir ein Stück mit einem Landrover mit der zufällig vorbei kam, bis wir die letzten 200m bis zur Hauptstraße und Bushaltestelle laufen mussten, weil der Weg auch für Allradfahrzeuge unpassierbar war. Hier auf Sansibar war es für die Dame im Hotel eine mittlere Sensation, dass wir von der Hauptstadt Stonetown an den Strand nicht das Hoteltaxi für $50 nehmen wollten, sondern den öffentlichen Nahverkehr für $3,50. Von den Booten auf dem Tanganjikasee haben wir ja bereits berichtet, nach Sansibar brachte uns eine Fähre, die über 50kmh schnell fährt und aussieht, wie ein Rennboot.

So weit geht der Kontrast zwischen unseren Erlebnissen hier auf Sansibar und  denen im Westen, dass wir es sogar an der Musik fest machen können. Mit dem Westen verbinde ich vor allem das laute Geplärre der Bongo-Flava genannten Dudelmusik in Bussen. Viele Busse haben nur einen einzigen Lautsprecher in der Mitte, und der wird dann so aufgedreht, dass der Fahrer und der Schaffner ganz vorne gut hören können. Selbst mit Taschentüchern in den Ohren bzw Barbaras spezialangepassten Ohrenstöpseln waren so manche mehrstündige Busfahrten echte Tests der Nerven. Auch, weil sobald der Bus und damit die Musik in den Pausen mal ausging, garantiert jemand auf dem Nachbarsitz sein Handy rausholt, und darauf etwas leiser, aber dafür mit noch plärrenderem Sound weiter hört. Hier auf Sansibar haben wir bisher leise angenehme Lounge- oder Reggae-Musik beim Cocktail zum Sonnenuntergang gehört, und einmal im Restaurant ein tolles Konzert einer Gruppe gehört, die arabisch klingende Taarab-Musik spielte.

Dass die Musik so arabisch klingt ist im übrigen kein Zufall. Während das Festland erst Mitte des 19. Jahrhunderts unter den Einfluss von europäischen Mächten kam (erst Deutschland, später England), gehörte Sansibar und die direkt gegenüber liegende Suaheli-Küste schon seit Jahrhunderten zu der arabischen Welt und war seit ein paar Generationen Teil des Oman. Bis heute ist das Binnenland in der großen Mehrheit christlich, die Küste und Sansibar dagegen fast ausschließlich muslimisch. Man erkennt das im übrigen nicht nur an den Kirchen und Minaretten, sondern vor allem an den Frauen. In Afrika tragen zwar die meisten Frauen Kopfbedeckung, aber in Stonetown ist auch die Vollverschleierung gang und gäbe. Während am Malawisee oft Frauen oben ohne am Strand die Wäsche, sich selbst und die Kinder waschen ist das hier undenkbar.

Was natürlich bei all dem Annehmlichkeiten ein wenig auf der Strecke bleibt, ist der Kontakt zu Einheimischen. Klar, ganz einfach war es auch im Rest vom Land manchmal nicht. Vor allem die Sprache ist manchmal ein unüberwindliches Hindernis. Aber da viele Tansanianer sehr freundlich und offen sind, hatten wir oft nette Begegnungen - und seien es nur Halbunterhaltungen, die sich auf die Begrüßungen beschränkten. Aber Begrüßungen machen hier ja auch gefühlte 50% der Unterhaltung aus. Wenn man jemanden trifft, dann ist der Standard-Anfang:
- Mambo. (Alles klar?)
   - Poa. (Mir gefällt es)
- Habari? (Nachrichten/ was gibts Neues?)
   - Mzuri. (Gut)
Wenn wir dies halbwegs souverän hinbekamen freuten sich viele so sehr, dass sich oft ein direkter Wortschwall auf Kisuaheli anschloss. Der outete uns zwar schnell, aber immerhin war das Eis gebrochen und der Rest der Begegnung erfolgt mit Händen, Füßen und je ein paar Worten englisch und kisuaheli. Auf Sansibar dagegen dröhnt einem meist schon von 100m Entfernung ein "Jambo" entgegen, was dann auch mit "Jambo" zu beantworten ist. Das ist die vertouristisierte Version eines noch anderen Grußes (Ujambo/Sijambo). Sagt so eigentlich kein Mensch, aber man hat wohl mitbekommen, dass es bei Touristen gut ankommt und selbst für Sprach-Linkshänder einfach genug ist. Der Rest der Unterhaltung erfolgt dann auf englisch, ist meistens ein Verkaufsgespräch und wird lediglich in sehr kurzen Abständen mit den Klischee-Ausdrücken "Pole pole" (langsam/ruhig) oder mit "Hakuna matata" (Kein Problem) gewürzt. Für mich fühlt es sich an, als ob man wie ein Kind behandelt wird.

Apropos Kind... Die Kinder im Westen sind wesentlich weniger am Weiße gewöhnt als auf Sansibar. Einmal stürmte eine ganze Schulklasse auf die Straße, als wir mit dem Fahrrad an ihrer Schule vorbeifuhren, um bei uns abzuschlagen, oft kamen Kinder aus den Häusern gestürmt und riefen ihren Geschwistern oder uns aufgeregt "Wasungu" (Weiße) zu. Manchmal winkten sie auch. Wenn wir aber zufällig nah an ihnen vorbeikamen, verstecken sich manche auch gerne hinter ihrer Mutter. Auf der Fähre fing sogar ein Mädchen bei Barbaras Anblick an zu weinen. Auf Sansibar sind die Kinder weit weniger aufgeregt und scheu, wenn sie uns sehen. Trotzdem rufen sie gerne Mambo und winken uns. Ganz selten fragen sie auch mal nach Geld, Süßigkeiten oder Stiften. Das Verhalten haben sie wohl von den Touristen gelernt.

Und zu guterletzt sollte nicht unerwähnt bleiben, dass natürlich die Preise auf der Insel andere sind. Nicht nur sind sie mindestens doppelt so hoch, sie sind sogar in einer anderen Währung angegeben. Tansania hat natürlich eine eigene Währung, den Shilling (Tsh). Der hat aber den Nachteil, dass er in kleinen Portionen daher kommt. Etwa 2100Tsh sind ein Euro. Eine Bootstour zu den Delfinen kann also schnell mal an die hunderttausend Shilling kosten und das klingt nach richtig viel Geld. Daher wird hier vieles, das an Touristen verkauft wird, lieber in Dollar angegeben. Klingt direkt viel netter - und verwirrt vielleicht den ein oder anderen noch mehr, so dass er am Ende drauf zahlt. Leider sind wir aber recht gut im Kopfrechnen. Jedenfalls besser als die meisten Beachboys hier, und so haben wir oft in Dollar angefangen zu verhandeln, und wenn dann nichts mehr ging, auf Shiling weiter gemacht. Das hat sich eigentlich immer gelohnt.

Nach allen diesen Unterschieden und der ausgeprägten Touristeninfrastruktur findet man aber auch auf Sansibar inmitten der schicken Resorts und gediegenen Hotels noch das tanzanianische Leben. So nehmen wir am Rande von Stone Town wie gewohnt die überfüllten Daladalas und kaufen auf dem Markt ein oder es hilft uns ein Jugendlicher, der grade aus der Moschee kommt, den Weg durch die verwinkelten Gassen zum Hotel zu finden. Auch am Strand sieht man in der Mittagszeit vor allem Frauen durch das Watt waten, um dort Kokosnussschalen zu vergraben und später auszubuddeln (aus den Fasern werden Kordeln geflochten), oder um Würmer zum Angeln zu suchen. Und früh morgens sind die Fischer mit ihren Segelbötchen unterwegs. Im Inselinneren lässt dann auch gar nichts mehr an den Touristenluxus erinnern und man kann das lokale Leben erkunden. Aber dieses eine mal haben wir überhaupt keine Lust dazu und faulenzen lieber am weißen Strand unter den sanft geschwungenen Palmen oder baden im (zu) warmen türkisen Meer.

Freitag, 24. Oktober 2014

Wie die Sardinen auf dem Tanganjikasee

Unsere Fahrt auf der über 100 Jahre alten Fähre MV Liemba ist für viele Nostalgiker ein Traum. Wir haben hier Leute getroffen, die vor 4 Jahren schon hier waren und extra wieder bekommen sind um auf dem Schiff zu fahren. Ganz so motiviert waren wir nicht, aber die Abfahrt (die nur alle 2 Wochen ist) passte gut in unseren Plan. Als letztes größeres Abenteuer, bevor uns die Rumpelbusse nach Hause (bzw nach Dar-Es-Salaam und Sansibar) fahren, fuhren wir also den Tanganjikasee von Norden nach Süden herunter. Wenn man sich eine Afrikakarte anguckt, dann ist der See das lange schmale blaue Ding ziemlich in der Mitte. Und weil Afrika groß ist, dauerte die Fahrt auch mehr als zwei Tage.

Unsere Fahrt war erst die zweite überhaupt nach einer monatelangen Generalüberholung durch deutsche Ingenieure. Und die Fähre sie jetzt auch genau so aus. Als wir eine Stunde vor dem Ablegen auf das Boot kamen und unsere Kabine betraten, war alles sehr schön gediegen. Die Kabinen (der ersten Klasse) sind schick renoviert. Fenster öffnen und schließen, der Wasserhahn tropft nicht und es gibt Gardinen und - besonders selten - Mückengitter ohne jegliche Löcher. Gut, die Glühbirnen der Bettlampen sind weg und der kaputte Ventilator einer Kabine wurde kurzerhand durch den einer anderen Kabine ersetzt. Aber immerhin sind wir ja in Afrika und insgesamt machte das Boot einen tollen ersten Eindruck. Um die Kabinen herum lief ein offener Gang, von dem man den Hafen und die Landschaft beobachten konnte, es gab ok aussehende Toiletten und sogar ein Restaurant.
Die Liemba im Hafen von Kigoma

Soweit der erste Eindruck, bei dem man sich schon ein wenig in Kolonialzeiten zurück versetzt fühlen konnte. Danach wurde es afrikanischer.

Um kurz vor 16:00 (der geplantren Abfahrtszeit) fing ein Strom von Leuten an, das untere Deck des Boots zu füllen. Und zwar mit Menschen, Koffern, Betten, Säcken, 2 Bergen Ananas, etwa 50 Bootsmasten, und überhaupt mindestens doppelt so vielen Dingen und Menschen, wie passen konnten. Abfahrt war zu diesem Zeitpunkt auf "ungefähr um 6" verschoben. Für uns war das Beladen des Bootes interessant anzuschauen. Vom erste-Klasse-Deck hatte man eine schöne Übersicht und wir bewunderten, die Träger, die riesige und schwere Lasten auf das Boot trugen. wir bemitleideten, die Leute, die so unglaublich eng gedrängt standen, während wir es mehr als komfortabel hatten. Da wussten wir aber auch noch nicht, dass wir bald mitten drin sein würden.
Da lacht er noch...

Der Korb ist randvoll mit Ananas. Mindestens 50kg


Ich habe den Spruch gehört, in Afrika sei es vor allem wichtig, dass alles so aussieht als ob. Die Realität hinter der Fassade sei weniger wichtig. Eine Kostprobe dieser Theorie bekamen wir schnell geliefert. Im Hafen sorgte der erste Offizier erst dafür, dass das erste-Klasse-Deck frei blieb. Mit großen Gesten, Gebrüll und hochrotem Kopf verscheuchte er erste jeden, der die Treppe hoch kam. Etwas später gab er die Losung aus, dass Frauen mit kleinen Kindern hoch kommen durften, weil es in den Laderäumen zu heiß und eng für sie sei - andere Passagiere aber nicht. Nachdem wir dann aber abgelegt hatten war er nicht mehr zu sehen, und einer nach dem anderen kletterten immer mehr Leute auf unser Deck hoch. Als wir um 10 Uhr schlafen wollten, war kein einziger Quadratzentimeter Boden mehr frei und wir mussten über schlafende, redende, essende, telefonierende und stillende Leute klettern. Insgesamt war das ganze Boot so eng belegt, dass wir einerseits froh waren, eine eigene Kabine zu haben, andererseits aber die gereizte Atmosphäre insgesamt zu spüren bekamen, weil längst nicht für jeden ein Plätzchen zum schlafen auf dem Boden oder auf irgendwelcher Fracht zu finden war.

Das richtige Spektakel startet aber erst bei den ersten Zwischenstationen. Die allermeisten Orte haben keine Anleger, an denen die MV Liemba festmachen kann, deswegen kommen von den Orten her kleinere und größere Holzboote angefahren, die bei uns festmachen, Ladung und Passagiere übergeben und übernehmen und dann wieder an Land fahren. Wer am Main, an der Nordsee order irgendwo sonst auf der Welt schon einmal gesehen hat, sollte dieses Bild am besten direkt vergessen. Das hier ist Afrika, und hier funktioniert anlegen anders.

Wenn sich die Liemba einem Ort nähert, stoppt sie fast einen Kilometer vom Ufer entfernt und hupt. Für die Boote am Ufer ist das das Startsignal und wir sahen wilde Wettrennen auf uns zu kommen. Wenn die Boote bei uns ankamen waren sie immer mit mindestens 6 jungen Männern als Besatzung, dazu Ladung bis an die Kante und oben drauf Passagieren besetzt. Die Besatzung schreit wie wild rum und gestikuliert. Dazu versucht sie, jemandem auf der Liemba ein Seil zu zu werfen. Ich sage "versucht", weil das nie beim ersten mal klappt. Die Seile sind immer sehr kurz gehalten, und dazu ist die Reling der Liemba 2-3 Meter höher und vom schwankenden Bötchen zielt es sich nicht gut. Wenn dann doch mal ein Seil gefangen und fest gemacht wurde kam meistens ein anderes Boot dazwischen gefahren und rammte das erste wieder weg. Jedes der 5-10 Boote will den besten Platz haben. Und weil jedes Boot mehrere Mann Besatzung hat, brüllen jede Menge Männer minutenlang wild durcheinander.
Eines unserer Zuliefererboote

Säcke voll mit Sardinen

Wenn dann alle so halbwegs angelegt haben, gilt:"Nach dem Chaos ist vor dem Chaos". Es ist nämlich so, dass die Bootsfahrer von den Passagieren bzw den Besitzern der Ladung bezahlt werden. Und weil sie die Ladung vom Hinweg ja schon sicher und abkassiert haben, kümmern sie sich vor allem darum, neue Leute und Ladung auf ihr Boot zu bekommen. Das heißt also, dass Boote in mindestens zwei Reihen liegen und gleichzeitig (!) auf- und abladen. Dabei hat unsere Reling nur eine Öffnung von etwa zwei Metern Breite und die kleinen Boote schwanken gut und gerne 1-2 Meter auf und ab. Für etwa 15-30 Minuten gibt es also einen riesigen Aufruhr, mit Brüllen, Rufen, Gedränge, mit getragener und geworfener Ladung - wobei auch kleinere Kinder durchaus mal an einem Arm über die Reling gereicht werden. Frauen schaffen es nicht die hohe Stufe hoch, weil sie gleichzeitig ihren Koffer auf dem Kopf haben und ein Baby auf dem Rück. Von hinten schieben andere nach, während von oben jemand einen Sack Mehl auf das kleine Boot wirft, der auch prompt zerplatzt.

Um das ganze abzurunden, schwebt oben drüber ein Ladekran, mit dem zum Beispiel 1 Meter dicke und drei Meter lange Säcke mit eingepackten Sardinen gehoben werden. Der Kranführer wird jederzeit von mindestens fünf verschiedenen Männern lautstark dirigiert.

Neben Fisch haben wir auch zwei riesige Haufen Ananas geladen, von denen an jedem Hafen etwas verkauft, bis am Ende kaum noch etwas da war. Dazu kommen Stapelweise Möbel, hunderte Kisten Cola, unzählige verdötschte Pakete mit unbekanntem Inhalt, Wellblech, Holzmasten für kleine Segelboote, zahlreiche Matratzen, Bananenstauden und so weiter. Alles komplett ohne erkennbares System verstaut.

Die Liemba ist für viele der Leute ihr einziger Kontakt zur Außenwelt und der einzige Weg ihre Produkte zu kaufen und zu verkaufen. Damit sind sie also sozusagen Profis. Obwohl ich ehrlich gesagt, noch nie so eine Ansammlung von hoch engagierter und improvisierter Unfähigkeit gesehen habe. Ich würde sagen, mit etwas Plan ginge es doppelt so schnell und halb so gefährlich - irgendwie geht da doch mein Berater-Herz mit mir durch.

Beispielsweise brachte es ein Boot fertig, dass in der Zeit in der die Jungs der Besatzung die Kranhaken an den riesigen Fischsäcken befestigte, sowohl die alten Passagiere ausstiegen, als auch von anderen Besatzungsmitgliedern schon wieder neue Passagiere aufgeladen wurden. Zuerst versuchten sie dann alle Passagiere auf die Kanten des Bootes zu bitten - oder eher zu brüllen und zu fuchteln - bevor sie erkannten, dass das nichts wird. Denn die Passagiere brüllten zurück und bewegten sich nicht. Also legte das Boot ab, fuhr ans Ufer und kam zehn Minuten später ohne Passagiere wieder, um die Ladung zu übergeben.

Unsere zwei Tage auf dem wegen der Überfüllung nicht besonders komfortablen Boot gingen also mit Dösen, Lesen und Beobachten vorbei. Besondere Höhepunkte waren dabei zum Beispiel, die zwei male als sich uns Boote mit schick angezogenen Frauen näherten, die sangen und trommelten. Sie kamen jeweils ein Braut abholen, die im Dorf zur Hochzeit erwartet wurde. Aber trotz aller Faszination waren wir doch sehr froh zu wissen, dass unsere Haltestelle in Kasanga (formerly known as Bismarckburg) die einzige mit einer echten Anlegestelle sein würde.

Anfangs unmerklich, dann aber immer deutlicher leerte sich das Schiff mit jedem Dorf ein wenig. Und das war auch gut so. In der unglaublichen Enge anfangs, hatten wir nämlich deutlich das Gefühl, dass auch die Tansanianer ihre Hakuna-Matata-Lockerheit verloren und viele recht gereizt schienen. Kein Wunder, wenn man es nicht mal schafft, einen Platz zum schlafen zu finden. Die Situation wurde auch dadurch nicht verbessert, dass Tansanianer zwar meistens sehr geduldig sind, aber selten rücksichtsvoll. Immer wieder sahen wir zum Beispiel junge Männer, die sich lautstark über Schlafende hinweg unterhielten oder auch auf ihren Handys Musik hörten.

Wir in der ersten Klasse hatten es besser, da wir eine Kabine hatten und zum Beispiel daher auch nicht dauernd auf unser Gepäck aufpassen mussten. Der für alle sichtbare und spürbare Unterschied zwischen unserem und dem Schlafplatz der Dritten Klasse führte zu Spannungen.  Zum ersten mal auf unserer Reise durch Tanzania wurden wir ab und zu feindseelig angeschaut und fühlten uns in mitten der armen Passagiere unwohl. Tagsüber wussten wir teilweise gar nicht wo wir uns aufhalten sollten, weil alle Sitz- und Stehgelegenheiten überfüllt waren, so zogen wir uns öfters auf das eigentlich der Crew vorbehaltene oberste Deck zurück. Um abends in die Kabine und nachts aufs Klo zu können, stiegen wir über die vor unserer Kabine kampierenden und schlafenden Passagiere. Die auf 20 Leute ausgelegten Toiletten und Duschen der ersten Klasse wurden von mindestens 200 Leuten benutzt und waren somit im Dauereinsatz, zusätzlich wurden dort Kleidung und Babys im Waschbecken gewaschen.

Teilweise kamen uns bei der Enge Bilder in den Kopf von Flüchtlingsbooten, die in Süditalien landen. Dieser Gedanke ist übrigens gar nicht so ganz falsch, denn das Schiff wird immer mal wieder auch dazu genutzt, Flüchtlinge über den See in den Kongo oder nach Burundi zurück zu bringen. Ich will gar nicht dran denken, wie viele Leute dann auf dem Schiff sind.

Als wir in Kasanga ankamen war unser Boot fast leer und es war etwa 17:30 Uhr - geplant war 3:00 morgens. Ein letzter Akt von "typisch afrikanisch" kam uns dann noch ganz gelegen. Kasanga ist der letzte Hafen in Tansania, bevor das Schiff nach Sambia weiterfährt. Daher kommt dort ein Beamter der Immigration an Bord, um unterwegs die Formalitäten der Passagiere zu erledigen. Da dieser Herr aber nach 17:00 nicht mehr arbeitet, blieb das Schiff einfach übernacht im Hafen liegen. Wir konnten also noch einmal auf dem jetzt merkwürdig ruhigen Schiff übernachten, bevor wir am nächsten morgen um 5:00 per Bus über eine abenteuerliche und in der Regenzeit nicht passierbare Piste mit dem Bus zurück nach Mbeya und in die Zivilisation fuhren.

Dienstag, 21. Oktober 2014

Janes Schimpansen

Vor ca. 20 Jahren habe ich einen Film gesehen, in dem eine Forscherin eine Gruppe Schimpansen zunächst beobachtet und schließlich mit ihnen zusammen gelebt hat. Die Forscherin hieß im richtigen Leben Jane Goodall und ich bewunderte sie. Auf dieser Reise hatten wir die Gelegenheit den Nationalpark von Jane Goodall zu besuchen und die Schimpansen genauso nah wie sie zu erleben. Mit dem Unterschied, dass Goodall mit den Schimpansen interagierte und die Schimpansen uns wie Bäume behandelten.

Generell mag ich Affen eigentlich nicht so sehr. In Indien und Malaysia habe ich sie als nervige Biester kennengelernt, die einem alles klauen was man nicht mit eisener Hand festhält, bevorzugt natürlich Essen und Getränke, aber sonst auch gerne Handtaschen. Schimpansen sind aber anders. Sie wirken wesentlich aufgeweckter und zum Teil sehr menschlich.


Am lustigsten zu beobachten war ein zwei Monate altes Affenbaby. Es hatte großen Spaß daran sich an den  Lianen umherzuhangeln, sich mit den Füßen festhaltend über Kopf an ihnen herunter zu baumeln und auf allen anderen Affen herum zu turnen. Die anden ließen es gewähren. Bis auf ein zweijähriges Affenkind, das offensichtlich eifersüchtig war. Gerne biss es das Baby wenn keiner hinsah oder schubste es weg.




Die Affen waren immer in Bewegung. Nach einer 10 minütigen Pause, die das Baby zum rumlaufen und toben nutzte, raften sie sich auf irgendein Komando alle auf und liefen weiter. Dabei saß das Affenbaby wie ein Reiter auf dem Rücken seiner Mutter, zupfte gedankenverloren an den Blättern die links und rechts neben ihm auftauchten, und wenn ihm langweilig wurde und grade eine Liane in Greifweite war, sprang es vom Rücken der Mutter und hing sich an den Ast. Daraufhin blieb die Mutter stehen und ging erst weiter wenn das Baby wieder auf ihr hockte.


Die anderen Affen waren weniger quirlig aber nicht minder menschlich. Ein Affe saß am Wegesrand und wartete auf den Rest der Truppe die noch in den Bäumen Früchte fraßen. Beim Warten sah er Thorben verdächtig ähnlich, laut Thorben. Er hockte dort mit verschränkten Armen und einer etwas krummen Haltung und wartete andächtig. Als die anderen kamen, legte sich ein Affe nur einen Meter von uns entfernt auf den Boden und schaute, sich nach hinten überstreckend und über Kopf, zu uns. Der Opa der Gruppe, ein sechzig jähriger Schimpanse, popelte derweilen abwesend in der Nase und steckte sich das Gefundene in den Mund.


Kurz bevor sich die Gruppe wieder in Bewegung setzte und unsere Zeit vorbei war, kam eine Mutter mit ihrem Baby aus dem Busch. Das Kleine lag schlaff über dem Nacken des Affenweibchens, es war tot. Unser Guide erklärte uns, das Baby sei seit drei Tagen tot und so lange lief sie bereits mit ihm umher.  Ich war wirklich traurig und hatte Mittleid mit der Mutter, die offensichtlich sehr unter dem Tod des Kleinen litt. Der Guide erklärte daraufhin, dass das Baby nicht ihres gewesen sei. Sie habe es von seiner Mutter gestohlen und sei mit ihm getürmt. Da sie das Kleine aber nicht stillen konnte, starb es. Erst danach kehrte sie wieder zur Gruppe zurück. Aus meinem Mitleid wurde Entsetzen. Wie konnte sie nur so etwas tun, und wie hatte die Mutter den Raub und später die Rückkehr der Täterin zulassen können.

Die Schimpansen sehen uns Menschen nicht nur sehr ähnlich sondern benehmen sich auch ähnlich.  In der Tat führen Schimpansen Krieg, nutzen einfaches Werkzeug und Medizinpflanzen. Trotz allem bleiben sie natürlich wilde Tiere. So sind sie zum Beispiel recht gute Jäger. Als wir sie grade im Busch aufgespürt hatten, aßen die Schimpansen grade ein Stück Buschschwein, was sie anscheinend vorher gejagt hatten. Auch die Jungen anderer Affenarten jagen und essen sie. Uns haben sie, wie gesagt, wie Bäume behandelt. Denn Sie sind es gewohnt von Trackern den ganzen Tag gefolgt zu werden und von Forschern beobachtet zu werden. Trotzdem wurden uns ein paar Verhaltensregeln gesagt. Wenn die Affen auf einen zu gehen, soll man immer aus dem Weg gehen und wenn das Alphatier kommt, soll man den Blick senken um ihn nicht zu provozieren. Die Schimpansen, grade das Alphatier, sind richtige Kanten.



Leider darf man nur eine Stunde bei den Affen bleiben. Aber diese Zeit war sehr spannend. Auch sonst ist der Park sehr schön, mit einen Wasserfall, Regenwald, Bergen und einem tollen, einsamen Strand. Wir waren an dem Tag die einzigen Touristen, was wohl an der anstrengenden Anreise liegt. Denn nach Kigoma zukommen ist schon ein wirklicher Akt. Und von Kigoma nach Gombe kommt man nur mit dem Boot. Wir mussten also erst einen Fischer überreden uns dorthin zufahren. Was nicht weiter schwer war. Schwer war vielmehr einen vernünftigen Preis mit ihm auszuhandeln. Auf dem Rückweg nahmen wir eines der berüchtigten Seetaxen. Auf einem etwas größeren Boot sitzten 60 Menschen auf dem Rand und noch einige im Bauch des Boots, zusammen mit jeder Menge Fracht. Das ganze hätte ganz entspannt sein können und die Stops in den diversen Fischerdörfchen sehr interessant, wenn mir nicht total schlecht gewesen wäre. Das Wetter hatte sich nämlich in der Nacht geändert und einigermaßen hohe Wellen auf dem sonst ruhigen See produziert. Während der gesamten Fahrt war ich kreidebleich und schaute angestrengt zum Horizont. Ich fragte mich, wie ich mich wohl über Bord lehnen könnte um mich zu übergeben ohne hinauszufallen. Gottseidank kam es nicht so weit.



Trotz meiner Seekrankheit hat mir der Ausflug zu Janes Schimpansen extrem gut gefallen. Goodall war die erste Forscherin die den Schimpansen Namen gegeben hatte und ihnen Gefühle und Charaktereigenschaften zugesprochen hat. Nachdem wir die Schimpansen gesehen hatten, kann ich Goodall's vermeintliche Vermenschlichung der Schimpansen sehr gut nachvollziehen. Goodall kommt noch bis heute jedes Jahr zweimal zum Park um "ihre" Affen zu besuchen. Es leben noch zwei der Affen mit denen sie in den 60er Jahren zusammengelebt hat. Die beiden Affen erkennen Goodall, wenn sie kommt.

Samstag, 18. Oktober 2014

Öffentliche Verkehrsmittel auf afrikanisch

Während ich den ersten Teil dieses Textes schreibe, sitze ich in unserem Erste-Klasse-Abteil des Tazara-Expresses von Dar-Es-Salaam nach Mbeya. Die Zuglinie wurde in den 60ern von chinesischen Ingenieuren und Arbeitern gebaut und wenig später muss auch die letzte Wartung stattgefunden haben. Die Fahrt mit diesem Zug ist ein ganz spezielles Erlebnis und der Begriff Express eher frei interpretiert.

Das Erlebnis fängt mit dem Ticketkauf an. Man kann die Tickets nur am Bahnhof selber kaufen, und dieser Bahnhof ist der skurrilste den ich kenne. Das Gebäude ist riesig - neben ihm ist der Frankfurter Hauptbahnhof eher bescheiden. Während aber in Frankfurt zu jedem Zeitpunkt zig Züge abfahren, fahren von den 4 Gleisen des Tazara-Bahnhofes genau zwei Züge - pro Woche. Und der Tag, an dem wir die Tickets kaufen ist kein Zug-Tag, also ist der Bahnhof annähernd verlassen. Aber irgendwie passt diese Leere zum kommunistischen Baustil.

Zwei Tage später kommen wir wieder. Unsere Zug soll um halb elf morgens abfahren, unsere Tickets nennen aber eine Reporting Time vom 8:30. Wir hatten schon beschlossen, dass das übertrieben war und kamen um 10:00 an, nur um zu hören, dass die Abfahrt gegen halb 11 sei - aber abends.

In Afrika werden Verspätungen und nicht funktionierende Dinge meistens stoisch aufgenommen. Man zuckt die Achseln, sagt "This is Africa" und hält es eben aus. Weder Kunden noch Mitarbeiter kommen auf die Idee, dass man durch Sich-Beeilen oder durch Wartung oder Reparaturen etwas daran ändern könnte. Und so fährt der Zug um etwa 15:00 ein und wird dann bis abends in aller Ruhe von 2 (!) Mitarbeitern entladen.

Als wir dann spät abends endlich in den Zug dürfen, passt der Eindruck dazu. Das Abteil ist prima, es ist fast identisch mit dem, das wir in Indien hatten. Nur funktionieren, im Gegensatz zum indischen Zug, die Leselämpchen nicht. Und der Ventilator, und das Rollo. Immerhin gehen die Tür und das Fenster auf und zu - zu mindest wenn man weiß wie und genug Gewalt anwendet. Da es spät ist schlafen wir recht schnell, und schaffen es sogar trotz unglaublicher Sprünge, Schlenker und Ruckler des Zuges, dabei nicht aus den Betten zu fallen.



Man könnte sich natürlich fragen, warum wir das tun. Aber die Bahnfahrt an sich ist es wert. Der Zug fährt maximal 50-60km/h, wir haben das Fenster offen und zwischen Lesen und Dösen lassen wir die Landschaft langsam an uns vorüber ziehen. Direkt morgens mit Sonnenaufgang fahren wir durch einen Nationalpark und auch später sehen wir Felder, Wälder, Berge und manchmal kleine Dörfer. Das alles ist viel entspannter als mit anderen Verkehrsmitteln, und viele Leute draußen bleiben stehen, um dem Zug und vor allem uns Mzungus am Fenster zu winken.


Eine willkommene Abwechslung zum einschläfernden Rattern des Zuges sind die Bahnhöfe und von denen gibt es viele. Etwa alle halbe Stunde bremst die Lok, was bei uns am Ende des Zuges ein paar Sekunden später zu einem heftigen Ruck führt wenn wir auf die vor uns fahrenden Waggons auffahren. Dann halten wir in einem von vielen Dörfern, die meistens nur von der Bahnlinie leben. Es werden Waren ein- und ausgeladen und das ganze Dorf steht am Bahnsteig. Die Frauen des Dorfes laufen am Zug entlang und verkaufen Essen und Getränke. Es gibt getrockneten Fisch, gebratenes Huhn, Tomaten, frittierte Teigbällchen, Cassava und vor allem die beiden Grundnahrungsmittel Tansanias: Bananen und Soda. Insgesamt ist so eine Bahnreise ein sehr entspannter Reisetag, aber trotzdem ein interessanter.



Und das ist mehr als wir sonst über unsere Reiseoptionen sagen können. Denn die Attraktivität des Zuges hat auch so einiges mit den vorhandenen Alternativen zu tun. Das sind nämlich die verschiedenen Formen von Straßentransport, und die leiden natürlich immer unter den schlechten Straßen hier. Man kommt zwar fast immer von A nach B, und das zu manchmal unglaublich niedrigen Preisen (im Bus oft 1€ pro Fahrtstunde), aber es gibt so ein paar Angewohnheiten, die das Reisen unnötig unbequem machen.

Fangen wir mit den Bussen ab. Die großen Reisebusse gibt es nur auf ein paar Hauptstrecken, der Rest wird mit verschiedensten Modellen zwischen 9-Sitzer-PKWs (genannt Dalla-Dalla) und mittelgroßen Bussen (genannt Coaster), die auf etwa 30 Leute ausgelegt sind bedient. Alle diese Fahrzeuge haben zwei Dinge gemeinsam.

Erstens, sie sind nicht ursprünglich nach Afrika verkauft worden, sondern Second-Hand hier gelandet. Nach einem Arbeitsleben in einem reichen Land (und bei manchen wahrscheinlich weiteren Leben in Russland und/oder Indien und/oder irgendwo anders) werden sie dort ausgemustert und nach Afrika gebracht. Besonders viele Busse kommen aus Japan und Hong Kong, die wie Tansania Linksverkehr haben. Man erkennt das meist daran, dass die Außenbeschriftung und Warnhinweise auf japanisch oder auf chinesisch und englisch sind. Umbauten für Afrika gibt es so gut wie keine. Eine Klimaanlage zum Beispiel hatte bisher noch kein Bus, dafür werden manchmal die Lüftungsdüsen entfernt, damit die Löcher als Haltegriffe dienen können.

Haltegriffe sind notwendig, weil zweitens die Fahrzeuge immer - wirklich immer - überladen werden. Ein größerer PKW, in dessen Papieren in Deutschland etwas von 7 Sitzen stände (2-3-2 pro Reihe) fährt hier meistens in 4-4-4-Besetzung. Das sieht vor allem in der ersten Reihe recht lustig aus. 2 Leute auf dem Beifahrersitz, dazu der Fahrer und einer, der da sitzt, wo Handbremse und Gangschaltung sind. Das System funktioniert nur mit Automatik-Schaltung. Die Coaster, die 3 Sitze pro Reihe haben, fahren üblicherweise mit 5 Leuten pro Reihe. Leider hat die Überladung nicht nur den Effekt, dass der Platz proportional enger wird (jeder zweite muss sich nach vorne lehnen, sonst passen keine 5 Schultern nebeneinander), sondern man sitzt natürlich auch immer zwischen zwei Sitzen oder auf einer Kante. Wenn man dann noch mit einrechnet, dass eine Busfahrt für viele Leute hier entweder eine große Reise ist oder der Weg vom/zum Markt, und daher jeder Gepäck dabei hat, dass irgendwo vorne beim Fahrer gestapelt wird, kann man sich vorstellen, dass es etwas eng wird. Ach ja, bei der Zählung der Passagiere pro Sitzplatz werden Kinder unter etwa 8 Jahren natürlich nicht mitgezählt. Die können ja entweder auf dem Schoß oder noch irgendwo dazwischen sitzen. Und am Ende passen auch noch jede Menge Leute ohne Sitzplatz rein.

Ein anderes interessantes Thema sind Abfahrtszeiten. Wenn man fragt, fahren Busse immer "jetzt sofort" ab. In Wirklichkeit kann man sich aber sicher sein, dass der Bus genau dann abfährt, wenn der oben beschriebene Füllstand erreicht ist. Man kann sich also oft aussuchen, ob man in einen Bus steigt, der noch leer ist - dann kann man sich Plätze aussuchen, wartet aber noch 5-60min oder man quetscht sich in ein schon volles Fahrzeug, und fährt fast direkt los. Da ich über 1,90 groß bin und daher in Bussen nicht stehen kann (ja, Stehplätze gibt auch noch, wenn gleich nur 1,75m hoch und oft mit Platz für nur einen Fuß) und mich ungerne als fünfter in eine Reihe quetschen lasse, wählen wir oft die Warteoption. Dadurch kommen wir meist in den besonderen Genuss von dem, was wir den rituellen Abfahrtstanz nennen.

Der Tanz kommt in Schwung, wenn die regulären Sitzplätze voll sind. Wichtigster Akteur dabei ist der Co-Fahrer. Jeder Bus hat einen Co-Fahrer, der unterwegs den Fahrpreis einsammelt, Leuten Plätze zuweist, immer noch ein Eckchen für das Gepäck findet und überhaupt allen zeigt, dass der Bus sein Revier ist, in dem er der King ist. Wenn man noch am Busbahnhof steht, weiß man nicht genau, wer der zuständige Co-Fahrer ist, weil mindestens drei junge Männer mit diesen Aufgaben beschäftigt sind. Etwa alle zwei Minuten werden diese drei Männer ganz aufgeregt, fangen an rum zu brüllen, dass der Bus jetzt los fährt, schlagen 2mal gegen den Bus (das ist bei kurzen Haltestellen das Zeichen an den Fahrer für "Ok, wir können weiter") und springen in den Bus. Das Ergebnis ist, dass der ein oder andere Fahrgast noch hektisch in den Bus springt. Daraufhin entspannen sich die Co-Fahrer wieder, grinsen und machen erstmal noch Pause.

Das System kennen die meisten Fahrgäste natürlich und daher gibt es Stufe zwei des Tanzes. Diese sieht im Prinzip so aus wie Stufe eins, nur dass es zusätzlich noch einen Fahrer gibt, der wild rumhupt und den Bus anfährt. Dieser Fahrer muss nicht notwendigerweise der endgültige Busfahrer sein, denn er muss ja nur ein bis zwei Meter weit fahren bis wieder jemand die Nerven verliert und einsteigt. Danach lässt er den Motor an, steigt aus und macht Pause. Nach unseren empirischen Studien muss Stufe zwei mindestens 3mal aufgeführt werden bevor der Tanz zum Finale - der Abfahrt - kommen kann.

Für den Erfolg von Stufe zwei ist es eigentlich wichtig, dass sie von der Abfahrt schwer zu unterscheiden ist. Das geübte Auge erkennt aber ein paar wichtige Unterschiede. Zuerstmal ist bei der echten Abfahrt der Fahrer deutlich entspannter - klar, die Abfahrt erfolgt ja auch erst, wenn genug Leute eingestiegen sind. Warum also noch Stress machen? Außerdem wird kein sich selbst respektierender Co-Fahrer jemals beim Anfahren schon im Bus sein. Nein, alle drei bis fünf Co-Fahrer sind just in dem Moment in der Nähe der Tür aber eben draußen. Wenn der Bus dann los fährt, geben sie noch mal alles in Sachen brüllen, klopfen, winken und laufen neben dem Bus her. Erst nach mindestens 10m springen dann alle Co-Fahrer in den fahrenden Bus. Mich erinnert die große coole Geste mit der das geschieht immer an Ticket-Einsammler auf Kirmes-Karusselen. Am Ende des Busbahnhofs wird der Bus dann noch einmal etwas langsamer, damit alle bis auf den einen zuständigen Co-Fahrer wieder abspringen können, und die Reise kann los gehen.

Etwas genauer nach Plan läuft es höchstens bei Langstreckenbussen. Die haben zwar auch 5 Plätze, wo man normalerweise vier hat (oder in Südamerika drei), aber immerhin hat jeder einen Sitz und der Bus fährt grob zur offiziellen Abfahrtszeit ab. Bisher hatten wir auch trotz des teilweise abenteuerlichen Zustands von Bussen und Straßen nicht mehr als eine Reifenpanne zu verzeichnen. Dafür aber eine Verzögerung aus einem ganz anderen und unerwarteten Grund.

Unser Bus von Mpanda am Katavi-Nationalpark nach Kigoma am Tanganjikasee fuhr fast pünktlich ab - kam aber nur etwa einen Kilometer weit. Dann bog er auf den Hof des Polizeipräsidiums und blieb stehen. Mehrere Polizisten stiegen ein und erklärten (unsere Nachbarin über setzte für uns), dass sie jemanden suchten, der etwas verbotenes mit habe. Ich dachte natürlich an Drogen, aber es ging um etwas ganz anderes. Die Polizisten identifizierten recht schnell anhand der T-Shirts drei Männer, die sie nach draußen brachten. Nicht ohne allerdings zu sagen, dass sie den im Bus wartenden Neugierigen mitteilen würden, was sie finden würden. Und 10min später kamen sie auch tatsächlich zurück und zeigten ein Sack, in den unten große Stücke Elfenbein eingenäht waren. Später wurden in weiteren Taschen der Männer noch mehrere Stücke gefunden. Insgesamt Stoßzähne von mehreren Metern Länge und nach Polizeiangaben 20 000 € wert. Im Ausland jedoch wesentlich mehr, denken wir.


Da danach alles "afrikanisch schnell" also elend langsam weiter ging, Leute interviewt werden mussten und sich keiner mehr für den Bus verantwortlich fühlte, blieben wir stehen. Da wir in der Reihe genau hinter den Tätern saßen, sollten wir eigentlich auch verhört werden. Auf Grund von  Kommunikationsproblemen nahmen sie davon jedoch Abstand, wie und unsere Sitznachbarin erklärte. Stattdessen wurde nur unser Gepäck durchsucht. Das alles zog sich in der brütenden Hitze über den ganzen Nachmittag hin. Die Tansanianer nahmen es gewohnt stoisch hin. Bis wir dann um 5Uhr fahren durften. Allerdings entschied dann das Busunternehmen, dass es zu gefährlich sei, nachts zu fahren und die neue Abfahrt wurde auf den nächsten Morgen verschoben. In diesem Fall hatte das ganze für uns übrigens noch ein Happy End, weil wir an dem unerwarteten Abend in Mpanda eine nette Lodge fanden und vor allem im Internetcafé Anderson kennen lernten, der uns das beste Restaurant der Stadt zeigte und uns danach zu sich nach Hause einlud und seiner ganzen Familie vorstellte. Ein unverhofft schöner Abend.

Und um die Transportwege halbwegs zu vervollständigen, fehlt noch das Boot (Flugzeuge zählen nicht, die sind überall gleich und langweilig). Und welch besseren Tag gäbe es, als heute darüber zu schreiben. Seit dem Anfang dieses Posts sind nämlich etwa 2 Wochen vergangen und wir haben einen Wassertag hinter uns. Morgens früh um sechs sind wir mit dem See-Taxi auf dem Tanjika-See vom Gombe-Nationalpark (der mit den Schimpansen) zurück nach Kigoma gefahren. Und See-Taxi ist eine sehr beschönigende Beschreibung. See-Taxis sind nämlich große Nussschalen, die bei allen Fischerdörfern am Ufer vorbei fahren, jeweils ein paar Meter vom Strand anhalten und dann bis zur Schmerzgrenze mit Fisch, Menschen und anderen Waren vollgeladen werden. Auf so einem Taxi durften wir also heute morgen mit etwa 100 anderen Passagieren drei Stunden lang in der Sonne schmoren.



Aber das eigentliche Highlight des Tages ist unsere Fahrt, mit dem ältesten Gefährt unserer gesamten Weltreise - der Fähre MV Liemba. Die wurde 1910 in Deutschland gebaut, in Teilen bis nach Kigoma transportiert und 1914 in Betrieb genommen. Seitdem fährt sie den See hoch und runter mit Ausnahme von den Paar Jahren, als sie auf dem Seeboden lag, weil die Deutschen sie lieber versenkt hatten als sie den Engländern zu übergeben. Aber die Fahrt auf dieser Berühmtheit bietet soviel zu erzählen, dass ich jetzt erstmal weiter beobachte und daraus einen eigenen Post mache.

Montag, 13. Oktober 2014

Die Schätze der Deutschen in Tansania

Wir haben uns Tansania nicht ausgesucht, weil es eine der wenigen deutschen Kolonien war, aber irgendwie verbindet so eine gemeinsame Vergangenheit schon. Bisher waren es immer die Briten, die Portugiesen und die Spanier, deren kulturelle und architektonische Überreste wir bestaunt haben. In Tansania waren also die Deutschen, wenn auch nur 30 Jahre, und haben etwas aus unserer Heimat hierher gebracht.

In den Usambara Bergen, genauer in Lushoto, und an der Küste, in der ehemaligen deutsch-ostafrikanischen Hauptstadt Bagamoyo sahen wir deutsche Häuser, Friedhöfe, Kirchen und sogar eine deutsche Burg, die allerdings eindeutig einen arabischen Einschlag hatte. Lushoto ist ein ehemaliger Kurort deutscher Offiziere, damals Wilhelmstal genannt. Dort sahen wir die ersten deutschen Häuser und erkannten wir sie ohne dass es uns jemand hätte sagen müssen. Die mittlerweile 100 Jahre alten Häuser sahen noch immer um einiges stabiler aus als die neuen Gebäude im Städtchen. Sie waren aus Stein gebaut und standen grade. Die Deutschen lieben eben Qualität :) Nicht nur die Architektur der Häuser sondern auch die Wege und die Landschaft der Usambara Berge erinnern in mancherlei Hinsicht an Deutschland, vielleicht an die Eifel. Es gibt sanfte Hügel mit fruchtbarem Boden, auf dem vorwiegend Kartoffeln angebaut werden. Die alten Häuser dort sind aber nicht der Schatz der Deutschen.



Viel eher könnte man die teils mit den Deutschen teils auch später noch gekommenen Missionare als Schatz bezeichnen. Ich bin bestimmt kein großer Fan von dem Gedanken, die andersgläubige Welt zu "bekehren". Für mich hat das etwas überhebliches, weil man der Meinung ist, das der Glaube einer anderen Kultur weniger wert sei als der eigene. Ich finde die fremden Glaubensrichtungen und Rituale viel interessanter als einen Einheitsbrei. Dementsprechend kritisch stehe ich der Missionarsarbeit gegenüber. Was ich aber in Tanzania gesehen habe, lässt mich diese Position überdenken. In den Usambara Bergen übernachteten wir in einem Kloster und lernten dort eine Nonne kennen: Schwester Mary Thomas. Wir trafen sie als sie, wie wir auch, auf dem Weg vom Markt zum Kloster war und sich unter einem Baum von den Strapazen ausruhte. Eigentlich waren es nur 500m, aber wir boten ihr an ihre Einkäufe zu tragen.


Mary Thomas ging mit winzigen Schritten und mit unzähligen Pausen, wahrscheinlich um unsere Gesellschaft so lange wie möglich auszukosten. Denn sie nutzte die Zeit um uns ihre gesamte Lebensgeschichte zu erzählen: sie wurde als Waisenkind von deutschen Nonnen aufgezogen, erhielt eine gute Ausbildung, von der ihr exzellentes Englisch zeugte, und entschied sich Lehrerin zu werden. Am Ende ihres Studiums wurde sie dann auch Nonne und muss zu ihrem Leidwesen bis zum heutigen Tag als Lehrerin arbeiten. Sie fand, dass die mit Anfang sechzig ein Anrecht auf Gartenarbeit statt Schulunterricht hatte. Irgendwie erinnerte sie mich an meine liebe Oma, die auch gerne ungefragt Geschichten in voller Länge erzählt und sich nur selber unterbricht um rethorische Fragen zu stellen. Insgesamt beeindruckte mich ihre Geschichte aber, denn sie erzählte von einem Mädchen, dass ohne die Nonnen wahrscheinlich nur als Hausmädchen oder Schlechterem hätte überleben können, und die nun stattdessen andere Kinder unterrichtet.

Das ganze ehemals deutsche Kloster hätte auch in Deutschland sein können. Alle Nonnen liefen emsig umher, arbeiteten, beteten und lernten. Der einzige Unterschied ist, das in Deutschland wohl 80% der Nonnen über 60 Jahre alt sind, während sie hier 80% der Nonnen unter 30 Jahre alt waren. Der heute tansanianische Konvent schien genauso geschmiert und organisiert zu laufen wie in Deutschland, ohne jegliche deutsche Nonnen vor Ort. Und das finde ich, nach mehreren Wochen in Afrika, ziemlich beeindruckend. Denn bisher hatte ich den Eindruck, dass viele von Ausländern gestartete Projekte zunächst vielversprechend anlaufen, aber nach einer Zeit fehlschlagen, weil die Geräte oder Gebäude nicht gewartet werden. Hier aber war eine funktionierende Gemeinschaft geschaffen worden, die ohne fremde Hilfe die nächste Generation ausbildet und einen wirklichen Mehrwert für die Gesellschaft schafft.

In Matema, dem ehemals deutschen Langenburg am Malawi-See, schliefen wir in einem von schweizer Missionaren aufgebauten Gasthaus. Die Häuser und die Möbel sahen aus wie in der Schweiz, und wir hatten lange keine solche Handwerkskunst mehr gesehen. Wie uns der Sohn einer Missionarsfamilie, der dort Urlaub machte, erzählte, waren aber alle Sachen in der Region hergestellt worden. Bereits der Urgrossvater des 18-Jährigen war in den Südwesten Tansanias als Missionar gegangen und alle seine Nachfahren nach ihm. Die Eltern waren jeweils mit ihren Kindern wieder in die Schweiz gegangen damit diese eine Lehre dort machen konnten. Sie sprachen alle perfekt Kisuaheli und brachten den Menschen der Region ihre verschiedenen Handwerke bei: Schreiner, KFZ-Mechaniker, Maurer ect. Das Gasthaus wird mittlerweile von Tansanianern geführt. Auch der langanhaltene und nachhaltige Einsatz dieser Familie beeindruckte mich sehr. Die Missionare sollen es auch gewesen sein, um den Punkt abzuschließen, die die gemeinsame Sprache - das Kisuaheli - in dem Viel-Stämme-Land Tansania verbreitet haben.

Von ganz anderen Schätzen der Deutschen, Truhen voller Geld und Edelsteinen, hörten wir ebenfalls im Südwesten Tansanias. In Matema sollten sich verschiedene deutsche Schatztruhen befinden: im See eines Wasserfalls und in unmittelbarer Ufernähe des Malawi Sees. Heute ist Matema ein Urlaubsort für Tansanianer und in Tansania lebende Ausländer. Dieser Ort ist wirklich ein "hidden gem", ein schwer zu findender und auf Grund schlechter Straßen schwer erreichbarer Schatz. Mit einem Sandstrand, teilweise sogar surfbaren Wellen und jeder Menge einheimischem Leben. Man bekommt wirklich viel mit, da das Leben vor allem am oder auf dem Wasser stattfindet. Die Männer gehen spät Abends und früh morgens in kleinen Boten, welche ausgehöhlte Mangobäume sind, fischen. Den Rest des Tages verbringen sie am Strand mit Netz flicken und Boot ausbessern. Die Frauen waschen sich und ihre Wäsche am Strand, während die Kinder im Wasser spielen. Da die Tansanianer hier, im Gegensatz zur Küste, keine Muslime sind und selber (halb) nackt dort baden, fühlt man sich auch nicht unwohl im Bikini ins Wasser zu gehen. Auf unserem Schnorchelausflug fanden wir jedoch keinen Schatz, dafür aber viele tolle blaue und gelbe Fische, die man sonst nur aus dem Aquarium kennt.


Matema wurde von den Deutschen aufgrund von Malaria aufgegeben und sie gründeten das höher gelegene Neu-Langenburg, das heutige Tukuyu. Dort wurde uns berichtet, dass die Deutschen eine Schatztruhe im Kratersee Masoko versenkt hätten, als sie auf der Flucht vor den Engländern waren. Viele tansanianische Taucher hätten vergeblich versucht, den Schatz zu finden oder seien beim Versuch ihn zu bergen gestorben. Denn der Schatz werde von einer siebenköpfigen Schlange bewacht und nur ein Deutscher könne den Schatz bergen. Als wir uns von Tukuyu mit dem Fahrrad auf dem Weg zum See machten, führen wir an Hängen mit Tee- und Bananenplantagen vorbei. Am Ufer des Sees fanden wir einige Mamas die im See ihre Wäsche wuschen und jede Menge Kinder die badeten. Doch obwohl das Wasser glasklar war, sahen wir weder den Schatz noch die Schlange. Das einzige was uns fast umbrachte war der Rückweg, da es unter sengender Hitze und ohne Gangschaltung über 13km steil bergauf ging.


Einen Schatz den man bis heute besichtigen kann, haben die Deutschen in Form von Infrastruktur hinterlassen. Denn eine der beiden großen Bahnlinien wurde von den Deutschen vor hundert Jahren gebaut und ist bis heute im Einsatz. Auch eine der beiden großen Passagierfährenauf dem zweitgrößten See Afrikas, dem Tanganjikasee See, wurde in Deutschland gebaut und hierher gebracht. Mit etwas Glück werden wir in ein paar Tagen damit fahren können, denn vor zwei Wochen wurde die MS Liemba (ehemals MS Graf von Götzen) von deutschen Ingeneuren gewartet und kann nach einem Monat Pause wieder fahren. Da man im Vorraus aber nie sicher weiß, wann die Fähre fährt, kann man mit ihr auch nicht wirklich einplanen. Die Deutschen hatten zu ihrer Zeit übrigens wenig von ihren Investitionen, weil sie kurz nach in Betriebnahme im ersten Weltkrieg von den Engländern "abgelöst" wurden. Aus diesem Grund hatten sie die MS Graf von Götzen 1916 auch demontiert und versenkt.

Einen letzten vermeintlichen Schatz haben die Deutschen in Form des noch immer angebauten Sisals hinterlassen. Ich wünschte nur, sie hätten auch die Brot- und Käseproduktion eingeführt. Aber auf den Genuss muss ich wohl noch warten bis wir wieder zu Hause sind.

Dienstag, 7. Oktober 2014

Bagamoyo Festival

Von den Bergen an die Küste und somit hinein in ein arabisches Tanzania. In Tanga, Bagamoyo und Dar es Salaam tragen fast alle Frauen Schleier und viele Männer Gebetskappen. Sie sehen teilweise sehr viel heller aus als im Norden und haben arabische Gesichtszüge. Auch Teemänner sieht man häufig auf der Straße, sie laufen mit einer großen Teekannen die auf glühenden Kohlen steht herum und verkaufen Tee. Fünfmal am Tag ertönt der Gebetsruf. Tanga und Dar es Salaam erinnern uns an etwas saubere Versionen einer indischen Stadt, sie sind geschäftig, haben zu viel Verkehr und es fahren überall Autorikschas herum.

Unsere Lieblingsstadt an der Küste war Bagamoyo, die alte deutsche Hauptstadt in Tanzania. Die Stadt lebt vor allem von der Fischerei. Jeden Tag fahren hunderte kleine Fischerbötchen auf See und fischen. Wir konnten am Strand sehen, wie die Schiffe ausgebessert wurden und wie die Fische am Nachmittag verkauft wurden. Die Fischerei ist von Männern dominiert, aber auf dem Fischmarkt gibt es auch ein paar Frauen. Wir beobachteten drei Frauen, die zusammen einen großen Sack Fische gekauft hatten und ihn dann vor sich auf den Strand kippten. Jede Frau durfte sich reihum drei Fische aussuchen, bis die Beute aufgeteilt war. Danach ging es ans schuppen und ausnehmen. Alles direkt am Strand. Hinter dem Strand befindet sich der Marktplatz. Dort werden die grade erworbenen Fische direkt, in etwas fragwürdig aussehenden Fett, frittiert. Ich freute mich auf einen frisch gebratenen Fisch. Aber alles was wir fanden, waren wieder nur kleine, frittierte Fische und Garnelen, voller Fett. Der gute Fang wird sofort verkauft und findet wahrscheinlich seinen Weg in die teuren Restaurants in Dar es Salaam. Für die Familien vor Ort bleiben nur die kleinen Fische.

Neben dem Fischfang ist Bagamoyo bekannt für seine Kunsthochschule. Dementsprechend viele Künstler gibt es in der Stadt, vor allem Maler und Schnitzer. Zwar sind die meisten Werke eindeutig am Geschmack der Touristen orientiert, aber sie sind dennoch kreativ und sehr gut gemacht. Insbesondere die Schnitzer, denen wir bei der Arbeit zugucken konnten, beeindruckten mich. Aber auch die Arbeit eines Malers gefiel uns gut und wir kamen mit ihm ins Gespräch. Er erzählte uns von einem Festival was zur Zeit an der Kunsthochschule stattfand.

Und dieses Festival war dann auch der Grund warum uns Bagamoyo so gut gefallen hat. An einer Bar mit Reggae Musik quatschte uns ein Einheimischer an und erzählte uns ziemlich wirres Zeug von den Deutschen und den Engländern und davon das sein Land so am Ende sei. Wir verstanden wirklich nicht was er von uns wollte und überlegten wie wir ihn loswerden konnten. Gut, dass wir nicht sehr weit mit unseren Überlegungen kamen, denn er stellte uns seine Freunde vor und bald kannten wir fast jeden am Stand. Auch trafen wir dort den Besitzer des Imbisses, bei dem wir gegessen hatten, den Maler, der uns von dem Festival erzählt hatte und einen Rasta, den wir und er uns am Fischmarkt gesehen hatten. Wir wurden von jedem einzelnen wie alte Freunde begrüßt. Bald lud man uns zum Bier ein und wir sie. Wir verbrachten einen wirklich schönen Abend, ohne das nervige Gefühl der Ausländer zu sein. Natürlich bekamen wir so viel Aufmerksamkeit, weil wir anders sind. Aber eben nicht die nervige Aufmerksamkeit die einem das Gefühl gibt: ihr seid reich und wir sind arm, gebt uns euer Geld. Eher eine interessierte Aufmerksamkeit, denn die Jungs waren zwar bestimmt nicht reich, aber kamen auch nicht aus prekären Verhältnissen, wie man ihrer Kleidung und ihrer Art anmerkte. Zugegebenermaßen ließen es die eingeschränkten Englischkenntnisse und vor allem der Bierkonsum nicht zu, dass man sich tiefgehend unterhielt. Aber wir hatten unseren Spaß. Ein Mädel, dass die ganze Zeit aufreizend getanzt hatte, war sichtlich frustriert, dass sie dank uns kaum Aufmerksamkeit erhielt. Und so kam sie kurzehand zu mir rüber um mit mir zu tanzen. Was ich ganz gut fand, weil ich sehr gerne tanze und Thorben nicht ;) Für sie lohnte es sich auch, denn kurze Zeit später war sie von Verehrern umringt.

Als unsere neugewonnenen Freunde etwas zu betrunken wurden und die Tänze heißer wurden, machten wir einen Abstecher zum eigentlichen Event: eine kunterbunte Show im Hörsaal der Hochschule. Wir schauten uns dort an, was Bagamoyo so an Künsten zu bieten hat und fanden es super spannend, ein ganz anderes Tanzania als bisher zu erleben: ein kulturinteressiertes Tanzania, in dem es nicht nur ums Überleben sondern um die schönen Dinge des Lebens geht. Die Vorstellung war wirklich bunt zusammengewürfelt und wirkte teilweise recht improvisiert. Wir sahen einen Schlangenmann und seine Tochter, die sich zwar beeindruckend verrenken konnten, aber irgendwie nicht so ästhetisch rüberkamen wie sie es mit einer guten Choreografie gekonnt hätten. Danach kam die afrikanische Version des chinesischen Drachentanzes. Mehrere Leute trommelten beste afrikanische Rythmen und dazu tanzte ein typisch chinesischer Drache, von afrikanischen Tänzern zum Leben erweckt. Das ganze Auditorium war begeistert. Danach folgte eine etwas längliche Komödie auf Kisuaheli, die für uns ziemlich langweilig war und auch der danach spielende tanzanianische Rap riss uns nicht mit. Also machten wir uns auf den Weg zum Hotel, welches an einem traumhaften Strand lag, den wir vor lauter Festival gar nicht richtig gewürdigt hatten.

Manchmal sind es eben die unvorhersehbaren Dinge, die aus einen Zwischenstopp ein Highlight machen.