Montag, 31. März 2014

Vom unromantischen Dorfleben in Chinas idyllischen Karstbergen

Wir hatten uns vorgenommen etwas vom richtigen Leben in Guanxi zu sehen. Und das hat auch ganz gut geklappt, nur eben nicht ganz so wie wir uns das vorgestellt hatten.

Gelandet sind wir in Guilin, der schönsten Stadt Chinas... laut Eigenwerbung und laut eines Zitats von einem amerikanischen Präsidenten. Wir schauten uns um. Auf den ersten Blick sah es weniger entwickelt aus als Kunming und es regnete. Auf den zweiten Blick wurde es auch nicht besser. Weil hier Touristen hin kommen, hat man sich die Mühe gemacht Parks und mit Stacheldraht zu umzäunen und den Blick auf besonders schöne Berge mit eigens angepflanzen Bambus zu versperren, damit man auch ja die (jeweils!) 5-10 Euro Eintritt zahlt. Stattdessen ließen wir uns für 5€ eine Stunde lang massieren. Die beste Massage die wir bisher hatten, ich bin jetzt Fan von Chinesischen Massagen.

Mit dem lokalen Bus statt mit der Li River Cruise holperten wir nach Yangshuo. Hier gibt es die wunderschöne Karst- und Flusslandschaft die wir im Westen als typisch chinesisch bezeichnen würden. Dort wollten wir mit dem Rad durch die Gegend fahren, abseits der Touripfade. Unser Chinesisch ausprobieren und dort schlafen wo wir abends ankommen.

Unser Chinesisch konnten wir auch sehr gut anwenden, meist relativ kurz um nach dem Weg zu fragen. Dabei zeigte sich bald, dass es zwar sehr freundliche, aber eben auch sehr unfreundliche Leute gibt. Ich würde sagen, letztere überwiegen, jedenfalls Ausländern gegenüber. Uns kommt es so vor, als kämen Chinesen untereinander relativ schnell ins Gespräch. Bei uns haben die meisten wahrscheinlich Angst, dass sie Englisch sprechen müssen, was sie nur sehr ungern tun. Uns wurde gesagt, dass zumindest alle Leute ab unserer Generation in der Schule Englisch gelernt haben. Allerdings lernen sie hier nur für Tests, lernen aber nicht wirklich Englisch zu sprechen. Wie dem auch sei, es gab freundliche Menschen. Oft ältere Frauen die Chinesisch mit uns redeten und dabei geduldig alles für uns mehrfach wiederholten.

Am ersten Tag verfuhren wir uns super oft, weil unsere Karte nicht nach Maßstab gemacht war. Das war aber nicht weiter schlimm, schliesslich hatten wir kein bestimmtes Ziel. Irgendwann ging uns aber auf, dass die kleinen Dörfchen keine Gasthäuser hatten, und das die Wege zwischen den Dörfern ziemlich hügelig und weit waren. Also drehten wir um und fuhren an einer Stelle an den See an der ich zuvor Bambusboote gesehen hatte, die in der Gegend überall Touristen rumkutschieren. Dort wollten wir uns wieder etwas mehr in die Tourigegend fahren lassen um die Wahrscheinlichkeit auf ein Hotel zu vergrössern, es fing nämlich schon an dunkel zu werden und unsere Beine waren müde. Am Ufer angekommen sahen wir Boote und Flösse, aber niemanden darauf. Wir sagten einer Frau die am Fluss Wäsche wusch in unserem besten Chinesisch: "Wir wollen nach Luigong." Sie zuckte mit den Schultern und wusch weiter. Wir sagten: "Boot... mit dem Boot." Ein kurzer Blick zu uns gefolgt von: "Gibt es nicht", und dann weiter waschen. Diese Frau wollte sich wirklich nicht mit uns unterhalten.

Wir fuhren wieder ein Stück zurück wo wir eine Gruppe von sechs Männern und Frauen sahen die Karten spielten. Sie guckten uns interessiert an, bis sie merkten, dass wir auf sie zu kamen. Daraufhin guckten sie wieder angestrengt in ihre Karten und spielten weiter. Gleiche Frage, gleiches Prozedere. "Gibts nicht" oder "weiss ich nicht" sind die Standartantworten hier um Leute loszuwerden. Wir fuhren also den gleichen Weg zurück, den wir gekommen waren. Auf der anderen Flussseite gab es dann wieder hilfsbereite Menschen, die uns den richtigen Weg wiesen und uns auch mit dem Floß ein Stück fuhren. Am Abend kamen wir dann in einer kleinen Stadt an. Diese war aber so trostlos und hässlich und die Zimmer im Hotel stanken so nach Schimmel und Zigaretten, dass wir uns wieder aufs Fahrrad setzten und noch im Dunkeln 8 km bis ins touristische Yangshou fuhren um wieder in unser Hostel von der Vornacht zurück zu kehren. Soweit unser erster Versuch etwas vom ausgetretenen Weg abzukommen.

Unerschrocken oder unverbesserlich wie wir sind starteten wir am nächsten Morgen einen zweiten Versuch. Wir fuhren eine kleine Straße entlang, die weder auf der Tourikarte noch auf Googlemaps zu finden war und sich durch die Karsthügel und am Fluss entlang schlängelte. Wir genossen die Aussicht, grüßten die Leute, die sogar öfters mal mit "Hellooo" zurück grüßten. Wie am Tag zuvor sahen wir Orangenhaine, Wasserbüffel bei der Arbeit und Mütter die ihre Kinder rumtrugen.

Als wir auf dem Weg anhielten um ein Foto von einem Büffel zu machen, sprach mich ein alter Mann, der auf seinen Kiosk zeigte. Wir setzten uns in den Kiosk und tranken Wasser und kauften Erdnüsse. Wir fanden es total nett dort und knipsten ein Foto mit dem stolzen Kioskbesitzer und seiner Frau. Dieser fragte uns ob wir schon gegessen hatten. Hatten wir nicht und wir hatten Hunger. Daraufhin fuhr er weg. Wir waren uns nicht sicher, ob wir ihn richtig verstanden hatten. Vielleicht hatte er gesagt, dass er nun essen gehe? Wir wollten uns wieder auf den Weg machen, merkten aber, dass die drei Damen die im Kiosk nicht wollten, dass wir gehen. Als der Mann wieder kam hielt er stolz ein Huhn in der Hand. Er machte deutliche Gesten, dass er es nun schlachten wolle, damit wir es essen könnten.

Thorben und ich berieten uns. Thorben hatte Bedenken, dass das Huhn wohl ziemlich teuer werden könnte, denn der Alte hatte schon Geschäftssinn gezeigt als er doppelt so viel fürs Wasser genommen hatte als wir bisher bezahlt hatten und vor allem würde es ewig lange dauern bis das Huhn fertig wäre. Ich fand es total süß, dass der Alte das Huhn extra besorgt hatte und fand es spannend am Dorfleben teilzuhaben. Aber ich hatte auch Bedenken und zwar wegen der Hygiene. So bedeuteten wir dem Alten, dass wir lieber weiterfahren würden, was er uns ein wenig übel nahm.

Nach 4 km fiel uns dann auf, dass wir die Kamera nicht mehr hatten. Hatten wir sie liegen gelassen oder wurde sie sogar im Hühnertumult geklaut? Wir fuhren zurück zum Kiosk. Thorben kam zuerst an und wurde vom Alten und seiner Frau ignoriert. Thorben machte Zeichensprache, was so viel wie Kamera heißen sollte. Die beiden verstanden ihn nicht. Als ich kam, nutzen wir unser Handy zum übersetzen. Sie wussten von nichts. Daraufhin rief ich in unserem Hostel an und erklärte unserer Gastwirtin die Lage und bat sie mit dem Alten zu reden. Dieser wollte das Telefon aber nicht nehmen. Er tat so als würde er nicht wissen, was er mit dem Handy machen solle. Mir kam der Verdacht, dass er etwas mit dem Verschwinden unserer Kamera zu tun hatte. Ich hielt ihm das Telefon ans Ohr und unsere Gastwirtin sprach mit ihm und erklärte wie wichtig die Kamera für uns sei.

Nach etwas hin und her, fragte ich den Alten wo die Polizei sei. Das verstand er natürlich wieder nicht. Als der Alte merkte, dass wir keine Anstalten machten zu gehen, wurde er nervös. Thorben bekam schon ein schlechtes Gewissen, weil der Alte sich bestimmt Sorgen machte in etwas verwickelt zu werden wofür er nichts konnte. Als unsere Gastwirtin ihm am Telefon sagte, dass sie die Polizei verständigt habe, stapfte er davon. Als er wieder kam zeigte er mir sein Geld im Portemonnaie. Wollte er jetzt Geld haben, dafür, dass er mir meine Kamera gibt? Nein, Thorben meinte der Alte hätte bestimmt Angst, dass er bei der Polizei nun bestimmt eine Strafe oder Schmiergeld bezahlen müsse. Ich sagte dem Alten, ich würde 200Y, 24euro, zahlen. Keine Reaktion. Vielleicht hatte Thorben Recht.

Doch der Alte blieb hartnäckig und zeigte immer wieder auf eine Zahl die er aufgeschrieben hatte: 1000. Ich war mir sicher, dass er das Geld von uns für die Kamera haben wollte. Wir fragten auf Chinesisch: "Wir geben dir 1000Y?" Der Alte strahlte und nickte beherzt. Wir guckten uns an. Der hat ja echt Nerven. Die Polizei kommt und er will, dass wir ihm Geld geben? Offensichtlich hat er uns die Kamera nicht wieder geben wollen, das heißt er hat sie gestohlen, und das gab er grade zu. Wir sagten ihm, dass wir keine 1000Y hätten, was auch stimmte. Nach etwas grübeln, kam er zurück und schrieb 800 auf. Bevor ich einem Dieb auch noch Geld gebe, soll er die Kamera wegschmeißen! Wir sagten ihm, dass wir ihn nicht verstehen würden und warteten auf die Polizei. Als diese kam, zusammen mit unserer Gastwirtin, die mitgekommen war um zu übersetzten, erzählten wir ihnen, dass der Kioskbesitzer wisse wo die Kamera ist, weil er Geld dafür von uns haben wollte. Nach einem langen Gespräch mit der Polizei stampfte der Alte wieder weg und kam mit der Kamera wieder.

So weit so gut. Was ich nicht erwartet hatte war, dass die Polizei meinte, ich solle ihm jetzt seinen Finderlohn von 10% geben, also 200Y bzw. 24 euro. Spinnen die? Wiederwillig gab ich ihm 100. Der Alte wurde böse und die Polizei meinte ich solle mehr geben. Darauf sagte ich, dass mir die Kamera gestohlen wurde und ich nicht einsehe einem Dieb Geld zu geben. Die Polizei sah das anders. Ich hätte die Kamera vergessen. Ein anderer Dorfbewohner hätte sie mitgenommen. Und der Alte sei der Gute, der dafür gesorgt habe, dass er die Kamera wieder rausrücke. Zähneknirchend gab ich nochmal 50Y. Irgendwie hatte ich das Machtverhältnis zwischen chinesischer Polizei und Dorfbewohnern anders eingeschätzt. Ich hätte gedacht, dass sie richtig Angst vor der Polizei haben und dass sie nicht auch noch so dreist wären nach Geld zu fragen.

Nach diesen Ausflügen ins echte China radelten wir etwas ernüchtert zurück in die idyllische Touriwelt. Nachdem wir unseren Schrecken verdaut hatten besuchten wir abends eine Show vom Regisseur der Eröffnung der Pekinger olympischen Spiele. Wir wurden mit einem Büschen vorm Hotel abgeholt und eine Frau mit Fähnchen brachte uns bis zu unseren Sitzplätzen. Dort konnten wir zusammen mit 5000 anderen Zuschauern aus sicherem Abstand den total verklärten und romantisierten Alltag der Minderheiten am Li Fluss anschauen. Die Show war eine beeindruckende Komposition aus Musik, Farben und Choreografie mit 500 Darstellern vor spektakulärer Kulisse. Danach wurden wir und unsere Kamera wieder sicher im Hotel abgeliefert. Pauschaltourismus kann so schön sein ;)

Barbara

Samstag, 29. März 2014

Chinas konsumierbare Natur

Authentisch, unverfälscht, unberührt, natürlich... das sind Worte die wir gerne gebrauchen um besonders schöne Gegenden, Dörfer, Täler oder Begegnungen zu beschreiben. Das sind aber ganz bestimmt nicht die Worte die wir wählen würden, wenn wir vom chinesischen Touristen Büro als "Scenic areas" ausgezeichnete Gegenden beschreiben wollen. Egal ob es sich um ein Dorf oder ein Gebirge handelt, sobald chinesische Touristen dorthin kommen, hört das ursprüngliche Leben auf. Dorfbewohner ziehen weg und machen Platz für kostümierte Verkäufer die örtliche Spezialitäten verkaufen, die wahrscheinlich in einer Fabrik irgendwo anders produziert wurden. Selbst für Berge, Schluchten und Parks muss man Eintritt bezahlen. Im Tausch für Yuan gibt es dann Sicherheit und konsumierbare Natur. Berge werden mit Gondeln einfach zugänglich gemacht, Schluchten werden einbetoniert, bekommen Handläufe und werden mit Wegweisern versehen um ein Verlaufen auszuschliessen, Parks sind einfach nur Parks für die man bezahlen muss. Uns passt es offensichtlich nicht, dass wir dafür Eintritt bezahlen müssen, dass die Natur weniger schön ist, als wenn man sie einfach so belassen hätte. Aber würde es keine Eintrittsgelder geben, wäre das schöne Stück Natur mit Sicherheit bereits an einen Investor verscherbelt worden. Im kommunistischen China regiert nämlich wie in keinem anderen Land, das wir kennen, das Geld. Wer am meisten bietet, bekommt den Zuschlag.

Daher können wir uns also eigentlich glücklich schätzen, dass mehr und mehr Chinesen ihr Land erkunden wollen und in Busladungen zu den ausgezeichneten Scenic Spots gefahren werden. Dort angekommen machen sie mit ihren superteuren Kameras begeistert Fotos vor der Hauptattraktion, egal ob dies ein Berg, eine Pagode oder eine Frau in einem Minderheitenkostüm ist. Danach geht es schnell wieder in den Bus, ins Restaurant oder zum Einkaufen. Das Gute ist, dass die Scenic Areas dadurch erhalten bleiben. Und weil die chinesischen Touristen fast alle - nein wirklich alle - nur auf den als Attraktion ausgewiesenen Pfaden wandeln, bleibt der Rest fast gespenstisch leer. Dort können wir uns in Ruhe umschauen, wenn wir genug vom chinesischen Konsumwahn haben.

Unsere erste Erfahrung in Sachen konsumierbare Natur machten wir direkt in Kunming, beziehungsweise im 100km entfernten "Stone Forest". Dort zahlte jeder von uns erstmal 24 Euro Eintritt. Zu sehen gab es Karstberge, die dün und hoch wie Bäume aus dem Boden kamen und in denen man sich verlaufen konnte. Na ja, man könnte sich verlaufen, wenn nicht an jeder Ecke ein Wegweiser gestanden hätte. An jeder zweiten Ecke war eine Überwachungskamera und an jeder dritten Ecke saßen zwei Ranger, die einem in einer Gefahrensituation weitergeholfen hätten. Verletzen konnte man sich auch nicht, da man auf Grund der allgegenwärtigen betonierten Wege und Treppen nicht zwischen den Steinen umherklettern konnte. Die meisten Chinesen kriegten davon jedoch nichts mit, da sie immer nur vom Elektrobus zur Aussichtsplattform und zurück gingen. Immer hinter einer Frau mit Fahne hinterher, die in der Tracht der örtlichen Yi-Minderheit gekleidtet war.

Im wunderschönen Dali, welches im Norden von Yunnan zwischen Bergen und einem See liegt und ursprüglich von der Bai-Minderheit bewohnt wurde, bogen wir mitten in der überfüllten Altstadt nur einmal in eine Nebenstrasse ab und fanden uns ganz alleine vor einer alten katholischen Kirche im Bai-Stil wieder. Die chinesischen Touristen flanierten auf der Hauptstrasse oder wurden von Elektrobussen durch die Stadt kutschiert. Von der zwar hübschen aber eben nicht authentischen Stadt gelangweilt mieteten wir uns Fahrräder. Nur 1km außerhalb der Altstadtmauern fing das wirkliche Leben an. Kleine Felder auf denen mit viel Handarbeit Bohnen, Knoblauch und anderes angebaut werden und dank des nahen Sees sehr gut gedeihen. In den auffallend sauberen Dörfern durch die wir fuhren saßen alte Frauen und Männer in blauen Maoanzügen zusammen, verkauften Gemüse oder warteten vor der Schule auf ihre Enkel während deren Eltern auf dem Feld oder in der Altstadt arbeiteten. Wenn auch die in Myanmar zu spührende Begeisterung für Westler fehlt, so waren wir doch eine Attraktion. Von Erwachsenen wurden wir nur unauffällig aus den Augenwinkeln angeschaut, während Kinder uns manchmal mit offenem Mund hinterher schauten.

Unsere nächste Station, die Tiger Leaping Gorge, eine wunderschöne Schlucht die auf der einen Seite von schneebedeckten 5000 m hohen Gebirge und auf der anderen Seite von mit Terrassen bewirtschafteten 3000m hohen Hügeln umgeben ist, ist eine der Hauptattraktion in China. Für die chinesischen Touristen werden fleißig riesige Parkplätze für Busse neben das Flussbett betoniert und hässliche Aussichtstürme gebaut. Natürlich hat alles seinen Preis. Um zum besten Aussichtspunkt zu kommen muss man zunächst 65Yuan Eintritt für die Schlucht zahlen. Dann nochmal 10Y für das Stück Abstieg zum Fluss und nochmal 10Y, um auf dem berühmten Stein selber stehen zu dürfen und nochmal 10Y falls man das fotografieren will. Insgesamt also etwa 12 Euro - zum Vergleich, eine Stunde Massage kostet hier 4-10€. Die wunderschöne aber eben auch anstrengende Wanderung, die auf etwa 3000m Höhe führt und von der aus man immer den schönen Ausblick auf Fluss und die schneebedeckten Hügeln hat, machen nur etwa 30 Leute am Tag, davon 5 Chinesen. Die Chinesen, die wir unterwegs getroffen haben, sprachen alle auffällig gut Englisch und wir saßen abends noch mit ihnen zusammen.

Kurz vor Ende des offiziellen Wegs, bogen wir nochmal ab um zu einer Gaststätte zu wandern. Diese war das Highlight unserer Wanderung. Nach einem unerwartet anstrengenden und unwegsamen Aufstieg zum Naxi-Dorf, einer der Minderheiten in Yunnan, wurden wir herzlich von den Dorfbewohnern begrüßt die uns den Weg zur Gaststätte wiesen. Dort angekommen waren wir die einzigen Gäste und schnell wurde eine Bank herangebracht von der aus wir die Sonne und die Aussicht auf den Berg genießen konnten. Eine alte Frau, vermutlich die Mutter der Gastwirtin, war besonders angetan von unserem Besuch und versuchte mit uns zu sprechen. Wir packten also unsere gesamten Sprachkenntnisse aus, fragten nach Namen und Alter und sagten aus welchem Land wir kommen und wie uns die Gegend gefällt. Dieser Abschluss unserer Wanderung gefiel uns jedenfalls wesentlich besser als es der Abstieg bis zum Scenic spot direkt am Fluss gekonnt hätte.

Unser Fazit: Es lebe der chinesische Massentourismus der mit seinen Yuan schöne Orte erhält und unsere kleinen Tricks um ihm zu entkommen.

Barbara

Freitag, 28. März 2014

Willkommen in Zensuristan

Und noch ein Post ganz ohne Fotos. Das liegt nicht an uns, sondern an unseren Gastgebern, der chinesischen Regierung.

Es ist schon ein komisches Gefühl. Viele nutzen das Internet hier täglich, ja sogar minütlich auf ihren Handys, mehr noch als bei uns. Nebenher bemerkt: Die Telefone sind meist von Apple, Samsung oder Huawei, aber müssen eine ganz schlechte Qualität haben. Jedenfalls schreien beim Sprechen alle, als ob wären es Dosen-Telefone. Aber viele Seiten und Dienste sind gesperrt, und damit meinen wir nicht die Voice of America oder Amnesty International.

Geblockt sind neben politischen Inhalten auch fast alle Dienste, bei denen die User eigene Inhalte erzeugen: Blogger natürlich, Facebook und viele Seiten von Wikipedia. Auch der Fotodienst Picasa ist nur als Download verfügbar, selber Fotos hochladen geht nicht. Man kann das Internet eigentlich fast nur zum Konsumieren nutzen. Eigentlich ironisch, beim Kommunismus geht es ja eigentlich um die Ermächtigung der Massen. Das Internet mit seiner Vereinfachung von Zugang zu und Verteilung von Informationen ist ein unglaubliche Gelegenheit genau dafür, und sie wird komplett ignoriert. Naja, bei uns konsumieren auch viele Leute im Netz fast nur, aber wir fühlen uns trotzdem ein wenig entmündigt.

Mehr Freiheit hat man dann wiederum im privaten Bereich. Whattsapp und Skype funktionieren, sie sind ja auch beide mehr oder weniger für die 1:1-Kommunikation gedacht, die scheint also nicht so gefährlich zu sein. Für Facebook gibt es eine lokale Alternative, nämlich Wechat. Wechat wird von einer chinesischen Firma betrieben, und ist wahrscheinlich im Falle des Falles einfacher zu erreichen, als Mark Zuckerberg, wenn es um Sperrungen geht.

Erstaunlich ist, wie einfach und offen die Beschränkungen umgangen werden können. Hostels haben auf ihren PCs VPN-Tools installiert, mit denen man eine Art Tunnel in das Rest-der-Welt-Netz aufbauen kann, sogar auf dem Handy kann man das relativ einfach installieren. Eine Hostel wirbt sogar auf ihren Flyern mit "Internet- und Facebook-Zugang". Die Zensur ist also keine ganz harte. Sie setzt vielmehr auf die Bequemlichkeit der User und das  funktioniert. Dadurch, dass Facebook hier etwas unpraktischer ist als die chinesische Konkurrenz, nutzen es weniger Leute. Von da an machen Netzwerkeffekte ihre Arbeit und zack - ist Wechat in der marktbeherrschenden Position. Irgendwie doof, andererseits ist es bei uns kaum anders. Oder wer hat nach dem NSA Skandal von Whattsapp auf eine der verfügbaren ordentlich verschlüsselten Chat-Programme gewechselt?

Noch etwas weicher geht die Beeinflussung in manchen Bereichen vor, wo es um die Bevorzugung genehmer Firmen geht. Immer wieder fällt mir auf, dass Google und GoogleMaps hier sehr langsam sind. Das scheint eine bewusste Verlangsamung zu sein, denn sowohl die lokalen Alternativen (die mir nach 2 Wochen Sprachkurs nicht viel helfen) als auch Bing von Microsoft laufen viel besser. Ich habe gelesen, dass das immer mal wieder eingestreut wird, seit sich Google mit der Regierung angelegt hat und nicht mehr selber zensiert. Und wieder erreicht die Manipulation ihr Ziel. Unsere Chinesischlehrerin zB nutzt Google nicht so gerne, weil es zu langsam ist. Andererseits kann man das natürlich schwerer nachweisen als eine volle Zensur - sehr praktisch für das Image.

Die Mehrzahl der Leute hier merkt von alldem nichts. Wie bei uns auch, sind viele nicht politisch interessiert, und wenn doch, dann drückt sich das vor allem darin aus, das die Nachrichten des Regierungssenders CCTV (quasi die Tagesschau) geguckt werden. Kritische Gedanken sind einfach zu anstrengend. Letztens fragten uns zum Beispiel beim Wandern ein paar Chinesen, ob wir auch nach Tibet wollen, dort könne man so gut wandern. Als ich sagte, dass Ausländer dort nicht erlaubt sind, konnten sie es kaum glauben, und vor allem fiel ihnen beim besten Willen kein Grund dafür ein. Wir haben es dann dabei belassen.

Neben solch deutlichen Lücken im Wissen ist mir auch aufgefallen,  dass natürlich jede Nachricht immer einen Spin hat. Während ich auf SpiegelOnline und FAZ in den letzten Wochen die westliche Perspektive der Krim-Krise bekamen, zeigte der englische CCTV-Kanal ein ganz anderes Bild. Noch bevor sich die chinesische Regierung offiziell geäußert hatte, war klar, wo sie stehen. Bilder von pro-Russland-Demonstranten und eine ausführliche Beschreibung des Referendums mitsamt Bildern der Wahlurnen, Statistiken zur Wahlbeteiligung etc sprechen eine deutliche Sprache.

Alles in allem hat uns der Aufenthalt hier gezeigt, warum so viele Leute kaum Notiz von Zensur nehmen - es betrifft sie einfach im täglichen Leben nicht. Das ist zwar eine gute Nachricht für die Leute hier, macht mir aber auch Angst, dass es auch bei uns wohl keinen Widerspruch gegen die Aushöhlung aller Bürgerrechte im Internet geben wird, solange man nur weiter Smileys und Katzenbildchen verschicken kann.

Montag, 24. März 2014

Ja spreche ich denn chinesisch?

Unser Abenteuer China haben wir mit einem 2-wöchigen Sprachkurs in Kunming begonnen. Zum Einen hat uns das noch mal die Gelegenheit gegeben, ein paar Tage hintereinander im gleichen Bett zu schlafen und und unser Gehirn heraus zu fordern, zum Anderen hatten wir auch gehört, dass nur wenig Leute in China englisch sprechen. Um also reisen zu können, wären ein paar grundlegende Sprachkenntnisse nicht schlecht. Es stellte sich schnell heraus, dass die Einschätzung richtig war. Ein wenig hilflos fühlt man sich schon, wenn man gar nichts versteht und vor allem auch gar nichts lesen kann.

Unser Sprachkurs fing eigentlich schon vor dem Unterricht an, wenn wir 90min mit dem Bus quer durch die ganze Stadt fuhren und sogar einmal umsteigen mussten. Die Umsteige-Haltestelle fanden wir nur mithilfe vom Google Maps und indem wir aufpassten wie die Luchse. Einmal sagte uns der Fahrer beim Einsteigen etwas und zeigte auf ein großes Schild. Da wir nichts verstanden und die Nummer stimmte, sind wir trotzdem eingestiegen. Erst als der Bus nach ein paar Kilometern auf eine andere Strecke als normal abbog hatten wir dann so eine grobe Idee, was das Schild wohl bedeutet hatte. Gerettet hat uns dann unsere Geheimwaffe: Geld. Wir nahmen ein Taxi nach Hause - indem wir dem Fahrer die Email mit der Adresse auf chinesisch unter die Nase hielten.

Ein anderes mal stiegen wir an der gewohnten Haltestelle um. Der Anschlussbus kam prompt und der Fahrer zeigte auch nicht auf ein Schild. Alles gut, dachten wir. Der Fahrer wollte uns zwar kein Busticket verkaufen, ließ uns aber trotzdem einsteigen. Wir hatten ein komisches Gefühl, waren aber noch guter Dinge da wir in die richtige Richtung fuhren. Eine gute halbe Stunde später waren wir dann fast wieder an der gleichen Stelle, weil der Bus gedreht hatte. Wir waren richtig sauer. Warum versucht denn keiner uns darauf hinzuweisen, dass der Bus anders fährt als normal? Wir liefen zurück zur Hauptstrasse um den nächsten Bus zu nehmen. Zu unserer Verwunderung fuhr aber nicht der Anschlussbus 96 sondern nur der Ausgangsbus 160 hier lang. Mit unserem 6 Tage alten Chinesisch fragten wir ein altes Paar wo denn der Bus 96 fahre. Sie wussten es nicht, sagten aber gefühlte 100 Wörter, von denen wir drei verstanden. Wir sagten ihnen wo wir hin wollten, woraufhin sie mit uns zum Fahrplan liefen und uns erklärten, dass wir den Ausgangsbus 160 nehmen sollten. Wir glaubten, dass das keine gute Idee sei, stiegen aber trotzdem ein. Erst nach einer Viertelstunde, als der Bus richtig zu fahren schien fielen die Puzzlesteine in unserem Kopf zusammen. Der Ausgangsbus war Bus 96 und nicht 160 und wir waren am Ende der Bushaltestelle ausgestiegen und am Anfang der Bushaltestelle wieder in den selben Bus eingestiegen. Deswegen wollte der Busfahrer auch kein Geld und deswegen saß der Alte, der bereits im ersten Bus gesessen hatte bereits wieder im Bus als wir abgehetzt einstiegen. Wir haben so gelacht! Wir kamen zwar zu spät zum Unterricht, aber hatten ja schon etwas chinesisch geübt.

Aber zurück zur Sprache selber: wir hatten natürlich gehört, wie unglaublich schwer Chinesisch zu lernen sei: Wegen der 30.000 Schriftzeichen und wegen der Tonhöhen, die die Bedeutung eines Worts so verändern kann, dass man den gegenüber tödlich beleidigt obwohl man nichts Böses im Sinn hat. Aber soweit kamen wir erstmal gar nicht. Die ersten Lektionen waren, Pinyin zu lernen. Pinyin ist eine Art offizielle Lautschrift für chinesisch, die das lateinische Alphabet nutzt. Das brauchten wir, um überhaupt etwas notieren zu können, denn die chinesischen Zeichen haben wir direkt vom Lehrplan gestrichen. Jetzt könnte man sich fragen, warum wir Pinyin erst lernen müssen. Das lateinische Alphabet sollten wir doch hin bekommen. Das liegt daran, dass das chinesische ein paar Laute hat, die wir so nicht kennen, und daher werden in Pinyin einfach ein paar Buchstaben umgewidmet. Am meisten Spaß machen dabei die Zischlaute. Davon gibt es nämlich 10 Stück: j, q, x, zh, ch, sh, z, c, s und r. Und manche davon klingen für uns fast gleich, für Chinesen aber total unterschiedlich.

Unser Bemühen, die verschiedenen Laute nach zu machen und auch beim Hören auseinander zu halten, war ein wenig so, als müsste ein Chinese lernen, ein r auszusprechen, als müsste ein Amerikaner lernen, ein r zu rollen oder ein Franzose den Unterschied zwischen Halt! und alt erkennen. Die Chinesen haben mit dem Englischen ganz ähnliche Probleme, wenn es Laute hat, die es auf chinesisch nicht gibt. Und das hat uns dann auch manchmal beruhigt, wenn wir das Gefühl hatten, uns doof anzustellen. Lustig ist zum Beispiel, dass sie gerne bei Mài dàn lao einen Ham bao bao essen (Übersetzung gibt es auf Anfrage ☺, kleiner Tipp: es hat mit einer bekannten Amerikanischen Fastfoodkette zu tuen.).

Nach 2-3 Tagen ging das mit den Zischlauten und dem sonstigen Pinyin ganz ok. Damit konnten wir also die ersten Worte lernen. Und man glaubt kaum, wir schwer das ist, einfach weil die Worte nichts ähneln, was man kennt. Man kann ein Wort minutenlang anstarren, nachsprechen, sich vor das innere Auge halten oder was auch immer. Manchmal ist es 10 Sekunden später einfach wieder weg. Wer es nicht glaubt, einfach mal ausprobieren. "Nice to meet you", heißt "Hen gao xing ren she ni", oder etwas einfacher: Taxi ist Chu Zu Che. So, jetzt bitte lernen und mal gucken, ob ihr es am Ende des Textes noch wisst...

Aber auch hier kommt man mit etwas Fleiß und viel Wiederholung weiter. Man lernt halt einfach langsamer, als man es bei europäischen Sprachen tun würde. Dafür kommen jetzt die positiven Überraschungen. Die erste: das mit den Tonhöhen tut nicht weh. Jedenfalls wenn man sie mit dem Wort einfach mit lernt, wie im Deutschen oder Französischen die Artikel. Barbara hatte am Anfang beschlossen erstmal die 10 Zischlaute hinzubekommen und sich dann mit den Tonhöhen zu beschäftigen. Sie wurde später davon eingeholt, dass es die gleichen Wörter mit unterschiedlichen Tonhöhen und unterschiedlichen Wortkombinantionen vollkommen andere Bedeutungen erhalten. Thorben kriegte die Tonhöhen aber ganz gut hin. Jedenfalls wenn er sie nicht vergisst, oder probiert, einen Satz zu bauen. Dann überlagert unsere Satzmelodie nämlich gerne die richtigen Tonhöhen. Aber mit etwas Übung klappte auch bei Barbara. Die nächste positive Überraschung ist die Grammatik. Die ist nämlich sehr einfach. Es gibt keine Konjugation (ich gehe, ausgedrückt.) und keine Deklinationen (das Auto, des Autos, ...) nicht mal der Plural verändert ein Wort, es bleibt einfach, wie es ist. Die Vergangenheit wird einfach durch ein Zeitwort wie gestern eingeleitet oder wird durch "le" nach dem Verb ausgedrueckt.

Neben dem Chinesischen lernten wir auch ein paar kulturelle Eigenheiten in der Sprachschule. So sind die Chinesen seehr Abergläubig was Zahlen angeht. Die acht steht für Reichtum und die vier hat mit dem Tod zu tuen, da das Wort für vier und für Tod ähnlich klingen. Preise enden also häufig mit einer 8 und wenn man Geldgeschenke sollten man nicht mit 4, 7 oder 3 anfangen oder aufhören. Die chinesische Sprache verwendet oft sehr bildliche Ausdrücke um komplexere Dinge auszudrücken. So bedeuten die Zeichen für Widerspruch wörtlich über setzt "Schild-Speer", ein Widerspruch.

Interessant fanden wir auch, dass man im Restaurant bestellt in dem man sagt: "Ich will gebratenen Reis mit Rindfleisch." Wir kamen uns ziemlich unhöflich vor und fragten was wie man denn sagt: "Ich hätte gerne gebratenen Reis." Unsere Lehrerin meinte, dass man in China so bestellen würde wie wir es gelernt hatten. Das erklärt vielleicht, warum Chinesen bei uns oft etwas unhöflich rueberkommen. Warscheinlich übersetzen sie einfach aus ihrer Sprache. So etwas wie: Bitte, oder Ich wünsche dir ein schönes Wochenende... sagt man im Chinsischen auch nicht. Auch die etwas schroffe Satzmelodie, die uns manchmal denken lies, dass sich unsere Gastgeber stritten obwohl sie sich nur unterhielten, ist nicht so gemeint sondern kommt meist von den Tonhöhen und Zischlauten.

Nachdem wir nach 12 Tagen den sicheren Hafen der Sprachschule und George und Sofies Wohnung verlassen hatten, musste sich unsere etwa 200 gelernten chinesischen Worte bewähren. Abgesehen von den Leuten in den Hostels spricht kaum jemand Englisch und sogar westliche Touristen sehen wir sehr selten. Wir werden also immer auf Chinesisch angesprochen oder müssen auf Chinesisch nach dem Weg fragen, Essen bestellen oder ein Busfahrticket organisieren. Glücklicherweise sprechen Chinesen halbwegs deutlich. Im gefühlten Wortbrei der fremden Sprache können wir jedenfalls die Worte, die wir gelernt haben, meistens ganz gut wieder finden und manchmal daraus schließen, was gemeint ist. Im Gegensatz zu uns, sind die Chinesen aber nicht sehr gut darin aus unserer limitierten Wortwahl und wahrscheinlich mangelhaften Aussprache zu erraten, was wir möchten. Selbst dann nicht, wenn es unserer Meinung nach etwas Offensichtliches ist. Manchmal kommt es uns aber auch entgegen, dass keiner Englisch spricht. Uns versucht niemand etwas aufzuschwatzen. Im Gegenteil, die Verkäufer verstecken sich regelrecht, wenn wir in den Laden kommen, weil sie Angst haben englisch sprechen zu müssen.

Was hier im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern in denen wir gereist sind nicht so gut klappt, ist die non-verbale Kommunikation. Für gewöhnlich schlagen wir uns ganz gut mit Händen und Füßen und einem großen Lächeln durch. Hier erntet man dafür nur blanke Gesichter in denen keinerlei Zeichen des Verstehens zu erkennen ist. Wir fragen uns warum die Chinesen unsere Gebärdensprache nicht verstehen. Vielleicht weil sie so wenig Ausländer treffen, dass sie es nicht gewöhnt sind sich ohne Chinesisch zu verständigen. Vielleicht weil sie selber kaum Mimik oder Gestik verwenden oder weil unsere Zeichensprache anders ist als ihre. Zum Beispiel wäre für uns ein Zeichen für Restaurant entweder die rechte Hand zum Mund zu führen oder beide Hände wie beim Essen mit Messer und Gabel zu bewegen. Chinesen würden wohl eher die linke Hand zu einer Schüssel formen, sie an den Mund halten und dann mit imaginären Stäbchen in der rechten Hand alles in den Mund schaufeln. So jedenfalls stellen wir uns das vor. Gesehen haben wir es noch nicht, weil hier ja kaum jemand gestikuliert.

Ein Grund mehr, die Sprache irgendwann vielleicht einmal richtig zu lernen. Ach ja... Wisst ihr noch was Taxi heisst??

Babala und Tübin

Samstag, 15. März 2014

Ankommen in Chinas Hinterland

China: das sind überfüllte, etwas schmuddelige Städte, in denen die Bewohner auf den Boden rotzen und man vor Smog kaum bis zum Nachbarn gucken kann. Kunming ist eine 7-Millionen-Stadt in der südwestlichen Provinz Yunnan. Westen heißt in China soviel wie unterentwickelt. Alle wichtigen Wirtschaftszentren liegen an der Ostküste - von Peking über Shanghai und Xiamen bis zum Perlflussdelta mit Guangzhou, Shenzhen und Hongkong. Wir hatten uns Kunming daher auch für den Start nach China ausgesucht, weil gehofft hatten, hier eher etwas vom alten, puren China zu erleben als in Städten wie Shanghai.

Weiter weg von diesem Bild hätte die Realität kaum sein können. Kunming wirkt (bis auf die Schriftzeichen) wie eine westliche Großstadt. Die Straßen sind quasi so gut wie in Deutschland, darauf fahren jede Menge deutsche Autos (alles zwischen Golf-Klasse und S-Klasse, alles ab A4 in der L-Version), ansonsten Japaner und Amis und ein paar chinesische Wagen. Die in China früher sprichwörtlichen Fahrräder gibt es noch, aber das sind nur ein paar junge Leute auf Sporträdern. Dazu surrt eine große Flotte von Elektrorollern herum. Die Strassen sind auch nicht eng, im Gegenteil, an vielen Stellen sind die Straßen eher überbreit, zwischen den Hochhäusern und am Straßenrand ist Platz für Bäume. Da dadurch alles recht weit auseinander liegt und viele Leute in umzäunten Komplexen leben, erinnert mich die Stadt an Amerika. Dazu passt auch, dass es viele Malls gibt, und natürlich von Starbucks über McDonalds bis Walmart viele amerikanische Ketten. Die deutsche Fahne wird durch einen Metro-Markt hochgehalten. Was uns sehr überrascht hat ist, dass es sehr sauber ist. Kaum zu glauben ist der Kontrast zu Indien. Beide werden in unseren Medien als Schwellenländer quasi gleich gehandelt, aber während Indien ein Entwicklungsland ist und manchmal im Chaos zu versinken scheint, wirkt China hier wie ein Land, das wohl bald zum Westen aufgeschlossen haben wird.

Unter all dem westlichen Anschein finden wir aber immer wieder kleine Dinge, die uns darean erinnern, dass wir in China sind, und dass viele Traditionen hier noch sehr lebendig sind. Das fängt an, mit vielen Grüppchen vor allem älterer Leute, die sich morgens und abends auf Parkplätzen, in Parks und einfach auf dem Gehweg treffen, und zu Popmusik oder klassischer chinesischer Musik irgendwas zwischen Gymnastik und Tanz machen. Andere Grüppchen, die man morgens sieht, sind in Reih und Glied stehende Angestellte von Geschäften und Restaurants. Sie werden vom Chef auf den Tag eingeschworen, die Uniform wird kontrolliert und ein bisschen Gymnastik müssen sie auch machen. Ich stelle mir das bei uns vor, die ganze Abteilung steht auf der Hauptstraße und der Chef turnt vor.

Überhaupt bekommen wir schon einiges von der chinesischen Kultur mit. Wir wurden von unseren chinesischen Anfang fünfzig jährigen Gastgebern George und Sophie sehr freundlich aufgenommen, so dass wir uns direkt sehr wohl gefühlt haben. Wir sitzen manchmal Abends noch mit ihnen zusammen und trinken Tee, den Sophie mit gefühlten 100 geübten Handgriffen zubereitet, oder haben eine Lehrstunde Tai Chi von einem von George's Freunden bekommen. Dieser Freund ist auch sonst sehr tief in den chinesischen Traditionen. Neben Kung Fu (wozu hier Tai Chi zählt) macht er auch Kalligrafie und sammelt alte Schwerter.

Wichtig scheint es zu sein, eine Lehrer-Schüler-Beziehung zu etablieren. Es gibt sogar ein eigenes Wort für "als Lehrer anerkennen". Immer, wenn uns jemand etwas zeigt oder wenn wir jemand etwas zeigen oder erklären, sagen uns die jeweiligen Gesprächspartner nach einer Weile: "Du bist der Lehrer oder "Ich bin der Lehrer". Da wir ja viel Zeit in der Sprachschule verbringen, sind wir jetzt auch oft Schüler. Auch sonst fühlen wir uns in China wie kleine Kinder, weil wir nicht lesen können. Keine Buspläne, Preisschilder, Speisekarten, teilweise nicht mal die Beschriftung von Herren- und Damenklo. Nimmt man noch dazu, dass nur sehr wenig Leute hier englisch können, so das fragen auch nicht so einfach ist, dann kann man sich vorstellen, dass wir uns manchmal etwas isoliert oder hilflos fühlen.

Dank unserer langsam einsetzenden Sprachkenntnisse (ok, seeehr langsam einsetzenden, aber das wird ein eigener Post) können wir aber mittlerweile im Restaurant bestellen. Die für Yunnan typischen Reisnudeln, Dumplings (sowas wie Maultaschen, Gruß an alle Schwaben) und manchmal auch Reis, das alles ist nicht so spektakulär im Geschmack wie in Indien oder Thai aber es ist immer sehr sorgfältig und lecker gekocht. Grade auch Sophie, unsere Gast"mutter" kocht sehr lecker - zum Frühstück. Und nachher bringt sie uns Zhōu Yué bei, gebratene Dumplings zu kochen.



Dienstag, 11. März 2014

VIP in der Glitzerwelt

Vorab: dieser Post ist ohne Labels, Fotos und ohne Facebook-Promotion, weil wir aus China Posten. Das geht von hier nur per Mail, Blogspot ist ansonsten gesperrt...

Der allererste Eindruck von Hongkong - noch bevor wir landeten - war der herrschende Platzmangel. Hotels sind sehr teuer und die Zimmer winzig. Wir schliefen also in einer Jugendherberge in einem Arbeiterviertel. Die frisch renovierte Jugendherberge wurde nach einem riesigen Brand 1952, in dem mehrere Dörfer zerstört wurden, als Sozialwohnheim gebaut um die nun Obdachlosen zu beherbergen. Im Stadtteil Shim Sha Shui gibt es, wie in ganz Hong Kong, fast ausschliesslich Hochhäuser. Dementsprechend leben die Leute auf engstem Raum und nutzen den ganze Platz aus. So wird nicht selten der Platz vor dem Fenster vollgestellt mit Kisten oder wird ein kleine Erker als Kleiderschrank genutzt. Viel Licht kommt sowieso nicht durch die Fenster rein, weil die Hochhäuser so dicht nebeneinander stehen.

Auf dem Weg in die Innenstadt nutzten wir das grandiose Metrosystem. Dort fielen uns langsam gehende Schlafwandler auf, die wir auch Handyzombies nannten. Mit dem Handy 15cm vor ihrem Gesicht, schauen sie noch nicht mal beim Einsteigen in die Metro auf. Stattdessen lesen sie Zeitung, chatten, telefonieren, hören Musik und spielen vor allem laute, bunte Spiele auf ihren Handys. Dank der Handyzombies wissen wir nun wie man mit dem Handy auf chinesisch tippt. Die Leute nehmen entweder die lateinischen Buchstaben und schreiben Lautschrift (Pinyin), was dann automatisch in Schriftzeichen übersetzt wird oder sie malen mit dem Finger die Schriftzeichen aufs Handy. Eine Software, genau wie beim T9, gibt nach einigen Strichen dann verschiedene Zeichen zur Auswahl. Den neusten Modetrend konnten wir auch direkt in der Metro kennenlernen: grosse RayBan Brillen mit dicken, schwarzem Gestell und Fensterglas oder gar keinen Gläsern. Sehr witzig. Als es uns einmal aufgefallen ist, merkten wir, dass 80% der jugendlichen Brillentäger nur aus modischen Gründen eine Brille trug.

Unsere nächstes Schlüsselerlebnis hatten wir in mitten der schicken Einkaufsstrassen von Hongkong. Zu unserem Erstaunen konnte man auf den Strassenübergängen kaum gehen weil dort sehr viele Frauen mit Kopftüchern - ein sonst eher seltener Anblick in Hongkong, saßen. Nach unserer Erfahrung in Bangkok glaubten wir an eine Demonstration, konnten aber nicht herausfinden wofür die Frauen demonstrierten. Wir lagen vollkommen falsch: die Frauen waren philipinische und lalayische Hausangestellte, die den Sonntag, ihren freien Tag, gerne zusammen und natürlich außerhalb des Hauses verbrachten. Da es regnete, setzten sie sich unter anderem in dem überdachten Übergang zusammen. Es ist krass wie dicht super Arme und super Reiche in dieser Stadt zusammen leben. Was mich zu Brian bringt.

Brian ist ein gebürtiger Hong Konger und ein Schulfreund aus meiner Zeit in den USA. Als wir zusammen zur Schule gingen, wusste ich nicht, dass Brians Familie so wohlhabend ist. Nachdem wir aber von seinem Chauffeur in einem Luxusvan durch die Stadt gefahren wurden und anschliessend seine Penthousewohnung mit Dachterasse bestaunten, war ich wirklich beeindruckt. In einer Stadt in der es an Wohnraum mangelt, wohnte er mit seinem Bruder in einer 300m2 grossen Wohnung mit Aussicht auf die HK Skyline. Die Eingangshalle des Hauses hat eine Lobby wie ein 5-Sterne Hotel und es gibt sogar ein super elegantes Schwimmbad mit Sauna und einen Fitnessraum im Gebäude.

Brian, Thorben und ich verbrachten die meiste Zeit damit, von einem Restaurant ins nächste zu gehen und zu schlemmen. Brian kannte immer die besten Restaurants und bestellte fabelhaftes Essen. In den Restaurants zu denen Brian uns brachte kannte er immer jemanden und so bekamen wir nur den besten Service und das beste Essen. Schliesslich fuhren wir zu einem von Brians beiden eigenen Restaurants, Three Monkeys: Tolles Ambiente und super Essen. Ich fühlte mich den ganze Tag wie ein VIP.

Ich fand es auch spannend zu beobachten, wie Brian nebenbei immer kurz irgendwelche geschäftlichen Dinge regelte. So erinnerte Brian den Manager eines Restaurants in dem wir aßen nach einigen Scherzen nochmal daran, dass dieser ja noch nicht so viel von dem japanischen Bier, welches Brian vertreibt, bestellt habe und dass da bestimmt noch mehr drin sei. Wir lernten auch andere Geschäftspartner/Freunde kennen. Ganz anders als bei uns trennt man hier Privates und Geschäftliches nicht. Und so hatten wir am Ende des Abends jede Menge Visitenkarten und waren beeindruckt wie geschäftstüchtig aber besonders auch gastfreundlich die Hongkonger sind.

Die Harmonie wurde nur kurz gestört als wir mit Brian und mehreren seiner (Geschäfts)Freunde im Restaurant eines weiteren Freundes aßen. Dieser tischte uns das beste Fleisch aus, das ich je gegessen hatte auf. Dünn geschnittenes Fleisch von einem besonderen japanischen Rind auf einem japanischen Grill zubereitet. Dazu gab es jede Menge Reisschnaps. Die Rechnung war dann aber genauso sagenhaft... . Natürlich zeigte uns keiner die Rechnung, aber ich schaffte es trotzdem einen Blick darauf zu werfen und Thorben schaffte es irgendwie Brian etwas Geld zuzustecken. Denn bisher hatten wir nie die Möglichkeit bekommen etwas zu bezahlen. Brian aber war nicht amüsiert darueber, dass das Essen voll in Rechnung gestellt wurde. Unter (Geschäfts) Freunden ist das eigentlich nicht üblich, erklärte mir Janeece, die Freundin von Brians Geschäftspartner.

Die eigentlichen Sehenswürdigkeiten in HK fanden wir nur so mittelspannend. Ein "Fischerdorf" was wir mit Brian besuchten, scheint schon lange vom Fischen auf Fischimport umgestellt zu haben und man serviert hier Fischarten und Meeresfrüchte aus der ganzen Welt. Die "Avenue of the Stars" und eine Lichtshow am Hafen, DIE Touri-Attraktionen, waren auch wenig beeindruckend. Was Hong Kong spannend macht sind neben dem guten Essen die Menschenmassen und der Konsumwahn. Egal wo man ist, man ist umgeben von Menschen - in den Häusern und auf den Straßen. Außer Menschen finden sich überall Geschäfte und Schilder die etwas anpreisen. Am lustigsten fanden wir, dass es hier Leute gibt, die vor Prada Schlange stehen.

Zusammenfassend ist HK eine glitzernde Welt, mit erstklassigen Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten, in der Gastfreundschaft und Geschäftemachen groß geschrieben werden.

Dienstag, 4. März 2014

Bootcamp für den Geist: 7 Tage Meditation

Im letzten halben Jahr habe ich von Freunden und in Büchern über die positive Wirkung von Meditation gehört bzw gelesen und es war etwas was ich unbedingt auf unseren Reise ausprobieren wollte. Die ersten beiden Meditationsstuden in Bangalore, Indien, waren ehr weniger inspirierend, weil der Lehrer so schlechtes Englisch gesprochen hatte, dass ich überhaupt nicht wusste, was ich machen sollte. Mehr ist besser, dachte ich mir und meldete mich für einen siebentägigen Meditationskurs im Dipabhavan Meditationszentrum (http://dipabhavan.weebly.com) an. Das Zentrum ist wunderschön auf einem Berg inmitten des Urwalds von Koh Samui gelegen. Koh Samui, weil Thorben sich hier bestens alleine beschäftigen kann, aber davon wird er noch berichten.

Am späten Abend auf der Insel angekommen sollte ich am nächsten Tag zwischen 13 und 16 Uhr bereits im Meditationszentrum sein. Natürlich wollte ich die Zeit am Strand mit Thorben maximieren und um 15:30 am Pick-up Point sein. Da wir aber unsere Uhr nicht von Myanmar Zeit auf Thai Zeit um eine halbe Stunde vorgestellt hatten kam ich auf dem letzten Drücker an. Das hatte unter anderem zur Folge, dass ich  mir weder den Schlafplatz noch den "Gemeinschaftsdienst" aussuchen konnte. Also durfte ich jeden Morgen die Toiletten im Frauenschlafsaal säubern und konnte dann direkt damit weitermachen die Speisereste und die Köttel meiner Zimmergenossin wegzufegen. Die Speisereste waren Mottenflügel, die anscheinend ungenießbar sind, und die Zimmergenossin eine Fledermaus.

Die Unterkunft war spartanisch. Im ersten Stock schliefen ca. 35 Frauen. Die Spätankommer bekamen Betten im Erdgeschoss, dessen einer Trakt von zwei Nonnen bewohnt wurde und dessen anderer Trakt kaum bzw nur als Notunterkunft genutzt wurde. Dementsprechend wohl fühlten sich Fledermäuse hier. Auch eine riesige Kakalake haben wir entfernt und komische Kokons die wir nicht identifizieren konnten. Wir schliefen also zu fünft bzw. zu viert im Spukkabinet. Die Fünfte verlies schon nach der ersten Nacht das Meditationszentrum. Vielleicht wegen der Matraze bzw der beiden Bastmatten die diese ersetzen sollten oder des Holzklotzes welches das Kopfkissen ersetzen sollte. Ich war noch nie so froh ein Reisekopfkissen und einen Seidenschlafsack zu haben. Der Grund für die spartanische Unterkunft war die letzte der acht Regeln die üblicherweise von Meditierenden in einem Meditationszentrum eingehalten werden sollen: nicht in luxuriösen Betten zu schlafen.

Die erste Regel besagt, dass man kein Lebewesen töten soll. Aus diesem Grund wurden Moskitos nicht erschlagen sondern weggepustet und das Essen war natürlich vegetarisch. Was uns zur nächsten Regel bringt: Zwischen Mittag und Sonnenaufgang soll man versuchen nichts zu essen. Also gab es um 8:30 und um 11:30 etwas zu essen. Um 17:30 gabs nur noch Bananen und trockenen Toast für die Hungrigen, mich eingeschlossen. Das Essen, wie könnte es in Thailand anders sein, war aber meist gut.

Eine weitere dieser Regeln besagt, dass man andere nicht mit Worten verletzen soll oder lügen soll. Auch hierfür wurde mit der Holzhammermethode gesorgt. Man durfte nach der Einführungsveranstaltung während des gesamten Retreats nicht mehr sprechen. Natürlich sollte das Sprechverbot in erster Linie die Meditation erleichtern. Aber es ist schon ziemlich skuril wenn 60 Leute gemeinsam essen, schlafen und meditieren und keiner dabei ein Wort sagt. Den ganzen Tag nicht und die ganze Nacht nicht. Die weiteren der acht Regeln waren: nicht zu stehlen; sich jeglicher sexueller Aktivitäten zu enthalten; keine Rauschmittel irgendwelcher Art (einschl. Tabak und Alkohol) zu sich zu nehmen; auf sinnliche Vergnügungen, wie singen, tanzen, Musik hören sowie Körperschmückungen zu verzichten. Ach ja, das Meditationszentrumsgelände durfte man auch nicht verlassen.

Die Tage waren genau geplant: 4:30 läutete die Glocke um uns aufzuwecken. VIER UHR DREISSIG MORGENS... Könnt ihr euch das bei mir vorstellen?! Zu der frühen Stunde kam mir das Schweigen sehr entgegen. Danach ging es wie folgt weiter:

05.00        Morning Reading
05.15        Sitting meditation
05.45        Yoga / Exercise
07.00        Sitting meditation
07.30        Breakfast & Chores
09.30        Dhamma talk
10.30        Walking or standing meditation
11.00        Sitting meditation
11.30        Lunch & chores
14.00        Meditation instruction & Sitting meditation
15.00        Walking or standing meditation
15.30        Sitting meditation
16.00        Walking or standing meditation
16.30        Chanting & Loving Kindness meditation
17.30        Tea
19.30        Sitting meditation
20.00        Group walking meditation
20.30        Sitting meditation
21.00        Bedtime
21.30        LIGHTS OUT

Hört sich erstmal alles ziemlich gefängnismäßig an und mit Recht darf man fragen: warum macht man sowas freiwillig mit wenn man am Traumstrand von Koh Samui liegen, tauchen gehen und Beachvolleyball spielen könnte. Die Antwort ist einfach: weil es sich lohnt. Auch wenn ich in den ersten Tagen Zweifel hatte möchte ich die Erfahrung nun nicht mehr missen.

Durch die Meditation wurde mir klar wie wenig ich in der Gegenwart denke und wie wenig Kontrolle ich über meine Gedanken habe. Statt selber zu entscheiden, worüber ich nachdenken möchte, übernimmt der Autopilot die Kontrolle und fährt mit meinen Gedanken Achterbahn. Die Kontrolle über die Gedanken kann man aber genauso trainieren wie Bauch/Beine/Po - mit Meditation.

Die Aufgabe beim Vipassana meditieren ist einfach: "breath in and breath out." Das Schwierige dabei ist, dass man NUR an seinen Atem denken soll. Andere Gedanken sollten wir zur Kenntnis nehmen und als "planen/erinnern" kategorisieren wenn sie sich um die Zukunft/Vergangenheit drehen oder als "umherwandern" wenn man einfach an irgendwas denkt. Insbesondere das Planen passiert wirklich ständig in meinem Kopf ohne das ich es will. Ich saß also 30min am Stück auf einem Kissen in der burmesischen Sitzhaltung, die gar nicht so unbequem war wie ich befürchtet hatte und atmete, während meine Gedanken umherschossen und ich die ganze Zeit kategorisierte: "planning",  "planning", "planning". Mit der Zeit gelang es mir aber mehr und mehr meine Gedanken bzw den Autopilot unter Kontrolle zu bekommen und wirklich nur an das zu denken auf das ich mich konzentrieren wollte: meinen Atem. Da ich oft unbewusst ins Grübeln komme und gerne gedanklich abschweife, ist die Meditation ein wunderbares Werkzeug für mich.

Neben der Meditation lernte ich auch etwas über den Buddhismus, was ich sehr spannend fand. Schliesslich meditierten wir zusammen mit buddhistischen Mönchen und ich hatte mir in Myanmar viele Pagoden die Buddha gewidmet waren angeschaut und die Gläubigen bei Ihren Anbetungen beobachtet. Mein Interesse war auf jeden Fall geweckt und da ich auch sonst wenig Ablenkung hatte lauschte ich gespannt dem täglich standfindenen einstündigen "Dhamma talk".

Der Hauptgedanke im Buddhismus scheint der zu sein, dass alles vergänglich ist. Glück und Erfolg kommen und gehen, aber auch Unglück und Misserfolg kommen und gehen. Darum sollte man sich nicht von solchen Zuständen oder materiellen Dingen einnehmen lassen sondern gelassen mit ihnen umgehen. Sie sind vergänglich.

Ein weiterer simpler Gedanke ist der, dass sich die Vergangenheit nicht ändern lässt  und die Zukunft höchst ungewiss ist. Wieso sollten wir also verpassten Chancen oder alten Fehden hinterherhängen und Pläne schmieden oder Angst vor Ereignissen haben die wahrscheinlich eh nicht eintreten. Natürlich muss man im normalen Leben planen, aber man sollte sich bewusst dafür Zeit nehmen und nicht dem Autopiloten oder Unterbewusstsein wertvolle Energiereserven dafür bereitstellen.

Das Ziel des Meditationsretreats ist es einen ruhigen Geist zu bekommen. Sich nicht von jeder Woge des Schicksals aus der Bahn werfen zu lassen und sich auch im täglichen Leben weniger leicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Mit so einem ruhigen Geist lässt es sich auf jeden Fall viel leichter leben. Nach 7 Tagen bin ich natürlich noch einen weiten Weg entfernt davon einen ruhigen Geist zu haben, aber ich fühle mich erholt und voller Energie und habe Lust auf mehr Meditation bekommen.

Übrigens... wenn die Domain nicht schon vergriffen gewesen wäre, würde unser blog "im hier und jetzt" heissen. Das ist es, was Thorben und ich uns für unser Jahr in der Weltgeschichte vorgenommen haben. Und nirgendwo sonst auf dieser Reise war ich mehr im hier uns jetzt als in diesem Meditationszentrum. Das Gute ist, dass ich dieses Wissen einpacken kann und mitnehmen kann an all die wundervollen Orte die wir noch besuchen werden und schliesslich mit nach Hause.

Barbara