Mittwoch, 23. Juli 2014

3-Ecksbeziehung im WM-Finale

Gut eine Woche sind wir jetzt Weltmeister. Und in Brasilien selber, so kurz nach dem Finale, sind wir natürlich noch viel mehr Weltmeister als irgendwo sonst. Das Finale war ganz sich in jeder Minute ein Höhepunkt unserer Reise. Außerdem Vor haben wir in den letzten zwei Wochen eine interessante Fan-Dreiecksgeschichte erlebt. Aber von Anfang an.

Wir haben in Südamerika so einige Argentinier getroffen und sie eigentlich immer gemocht. Viele waren so gut wie ohne Geld unterwegs. Das liegt daran, dass das argentinische Geld nicht so einfach umtauschbar ist. Daher finanzierten sich viele ihre Reisen mit dem Verkauf von Handarbeiten, kleinen Kunststückchen oder anderen alternativen Methoden. Im Parque Tayrona an der kolumbianischen Karibikküste haben wir zum Beispiel den fußballverrückten Damian kennen gelernt, der per Bus nach Buenos Aires zurück wollte und sich das finanzieren wollte, indem er in größeren Städten auf Kreuzungen Fußballtricks zeigt. Wir fanden die Argentinier immer sehr nett, haben aber auch schon gemerkt, dass sie in ganz Südamerika unbeliebt waren. Während zum Beispiel auf dem Amazonasboot die anwesenden Kolumbianer, Peruaner und Brasilianer ganz selbstverständlich sich gegenseitig aber auch Costa Rica, Chile oder Uruguay anfeuerten, hielt keiner für Argentinien. Auf den Fanfesten in Brasilien hörten wir dann den Ruf "America latina, menos Argentina". (Lateinamerika, außer Argentinien)

Deutschlands 7:1 gegen den Gastgeber war eigentlich auch nicht unbedingt ein freundlicher Akt. Aber Brasilien war nach diesem Spiel so mit sich selber beschäftigt, dass kaum Zeit blieb, sauer auf Deutschland zu sein. Im Gegenteil, wir haben immer wieder gehört, wie toll es doch gewesen sei, das sich die deutschen Spieler und Fans hinterher so fair verhalten hätten. Sie hätten sich gar nicht über Brasilien lustig gemacht - was die Argentinier bestimmt gemacht hätten. Zu dem Zeitpunkt fanden wir das Lob etwas übertrieben, und das Argentinien-Bashing auch. Was übrigens auch extrem gut ankam und in den Medien viel beachtet wurde, waren viele kleine und größere Gesten. Dass die deutsche Mannschaft ihr Quartier nach der WM als Schule umfunktioniert, dass die Spieler am Strand mit lokalen Leuten Futevolley spielten, dass Lukas Podolski sich im Flamengo Rio de Janeiro Trikot zeigte (überhaupt ist Prinz Poldi hier der beliebteste deutsche Spieler weil er auf Portugiesisch gebloggt hat) und so weiter, all das machte Deutschland ziemlich beliebt.

Unsere brasilianischen Freunde und Bekannte meldeten sich dann am nächsten Tag wieder. Nachdem klar war, dass Deutschland im Finale auf Argentinien treffen würde, bekamen wir jede Menge Nachrichten. Und alle wollten, dass Deutschland den Titel gewinnt. Gut, das konnte man jetzt noch als eine einfach freundschaftliche Geste sehen. Aber zu dem Zeitpunkt waren wir ja auch noch im Surferdorf Itacare und nicht in Rio de Janeiro, das in diesen Tagen das Zentrum der argentinisch-brasilianischen Freundschaft wurde.

In Rio waren nämlich im Laufe der Weltmeisterschaft immer mehr Argentinier angekommen. Und da sie oft auch kein Geld hatten, schliefen sie in geparkten Autos, und funktionierten die gesamte Copacabana - immerhin ein etwa 6km langer Strand - in einen Park- und Zeltplatz um. Auch das gesamte Sambadrom wurde einfach in Beschlag genommen. Man kann sich ungefähr vorstellen, wie beliebt es ist, wenn bis zu 200.000 Leute vom Nachbar und Rivalen zwei Wahrzeichen des Landes besetzen, vermüllen und zum Ausgleich so gut wie kein Geld in der Stadt ausgeben. Im Internet hatten wir auch schon von der einen oder anderen Schlägerei zwischen brasilianischen und argentinischen Fans an der Copacabana gelesen.


Und in diese herzliche Freundschaft kamen dann die deutschen Fans. Viele waren schon länger in Brasilien unterwegs und hatten wie wir Freunde oder zumindest gute Erfahrungen gemacht. Und da uns keiner das 7:1 wirklich krumm zu nehmen schien, landeten die schwarzweißroten Fans in der Sympathie deutlich vor den Blauweißen. Bemerkenswert fand ich, wie einstimmig dieses Votum war. Bei uns würde man in ähnlicher Situation doch wohl immer ein paar Sympathisanten für Holland finden (mich zum Beispiel wahrscheinlich). Nur zwei Ausnahmen gab es: Respekt für Messi als starken und vor allem fairen Spieler und ein Interview von Neymar. Ich glaube der Junge hat noch nicht genug Medienschulungen bekommen. Jedenfalls hat er erstmal ein paar Sätze dazu rausgehauen, dass er nicht sicher sei, ob Carlos Zuñiga (der Kolumbianer, der ihn im Viertelfinale gefoult hat) ihn vielleicht absichtlich verletzen wollte und dann, dass er für Argentinien hält, weil seine Barca-Kumpel Messi und Mascherano dort spielen.

Trotz dieser kleinen Ausnahmen war dann spätestens bei Ankunft am Maracanã klar, dass auf den Tribünen Deutschland-Brasilien gegen Argentinien spielen würde. Die argentinischen Fans - von denen es richtig, richtig viele gab - hatten eigentlich nur zwei Fangesänge. Der eine war das Lied, über das ja schon viel geschrieben wurde, mit "wir werden nie vergessen, wie Maradona euch ausgedribbelt hat" und ein paar Pele-Beleidigungen. Das andere war noch kurioser, und ging so: "1,2,3,4,5,6,7 - Jubel" Noch Fragen? Die spielen im WM-Finale gegen Deutschland, und ihnen fällt nichts besseres zum Besingen ein, als dass Deutschland 7:1 gewonnen hat. Also sozusagen, egal wer Weltmeister wird, Hauptsache Brasilien hat auf den Sack gekriegt. Die deutschen Fans hörten sich das etwas amüsiert und verwirrt an, die hätten wahrscheinlich eher etwas über Mexico '86 erwartet, aber naja.




Endgültig besiegelt wurde dann die deutsch-brasilianische Fanfreundschaft während des Spiel, als die Argentinier immer wieder ihr Anti-Brasilien und Anti-Pele Lied abstimmten. Die offizielle brasilianische Antwort darauf ist nämlich "Mil gols, mil gols (nach brasilianischer Zählung ist Pelé der einzige Spieler, der in seiner Karriere 1000 Tore geschossen hat.), sou Pelé, sou Pelé (Ich bin Pelé), Maradona chelangot (Maradona ist ein Kokser)". Das lernten die Deutschen schnell und die Fronten waren damit klar.

Die gespannte Erwartung beim Betreten des Stadions (wir mussten das 2mal machen, weil ich so nervös war, dass wir erst im falschen Block waren) ist nicht zu beschreiben. Das ganze Stadion schien elektrisiert. Alle schienen extremst nervös. Und so haben wir die Abschlusszeremonie inklusive einer Barbaras Lieblingssängerin, Shakira, und Santana zwar gesehen, aber gar nicht richtig wahrgenommen. Was normalerweise ein ganzes Stadion in Extase hätte bringen können erfuhr kaum Beachtung. Denn alle wollten nur das eine: das Spiel sollte losgehen. Auch Merkel, Gauk und Putin waren nur Randerscheinungen.


Als die ersten Spieler in die Manege, ich meine ins Stadium, kamen wurde es laut. Die Menge tobte. Dann endlich fingen die nervenaufreibensten 110 Minuten meines Lebens an. Barbara, die die Gesämge in den Fanblocks immer für etwas proletisch hielt verstand nun warum ausgewachsene Männer und Familienväter während eines Spiels lautstark sinken, schreien, gröhlen und weinen. Bei so viel Anspannung ist es wie eine Befreiung wenn gerufen wird: "wer nicht hüpft der ist kein Deutscher" und man endlich seine Anspannung weghüpfen kann oder einfach nur lautstark "Auf gehts Deutschland schieß ein Tor..." gröhlen kann. Das befreit und gibt einem das Gefühl etwas beitragen zu können. Der Schock über das vermeintliche 1:0 der Argentinier hielt gottseidank nicht so lange an, weil ich sofort die Abseitsfahne sah. Aber sie schürte die Angst, dass alles ganz schnell vorbei sein konnte. Ihr wisst es selber: unzählige gute Chancen auf beiden Seiten heizten die Stimmung, die zwischen Euphorie und Bangen schwankte , weiter auf. Bis sie schließlich in der 110. Minute in Freudenschreie, furiosen Umarmungen, Tränen, und Bierduschen gipfelte. Mario Götze, unser Held und Erlöser. Es gab kein Halten mehr und die nächsten 12 Minuten feierten wir schon als ob der Titel bereits gewonnen sei, abgesehen von einer Schreckminute als Messi einen Freistoß ausführte.

Dann war es endlich soweit. Erst wurden noch Neuer und Messi geehrt, dann endlich nahmen die Jungs ihre Schüssel entgegen. Am unvergesslichsten war es aber, den Freudentaumel der Nationalspieler hautnah mitzuerleben. Nach der Übergabe auf der Tribüne kamen sie zum Deutschen Fanblock. Sie rissen den Pokal in die Höhe und jubelten UNS zu. WIR alle waren Weltmeister. Ich hatte Gänsehaut. Neuer kam immer wieder in die Fankurve. Schweini und Poldi liefen auch als alles vorbei schien nochmal zu uns um sich feiern zu lassen. Wir konnten uns genauso wenig wie sie losreißen.




Die Party nach dem Spiel war dann leider ein Antiklimax. Als wir an der Copacabana ankamen und feiern wollten, fanden wir nur enttäuschte Argentinier. Die Deutschlandfans musste man wirklich suchen. Ich überhörte zwei Amis die meinten, dass die Deutschen ihre vielversprechende Partynacht sabotiert hätten. Und recht hatten sie. Nach einer Dreiviertelstunde Fußmarsch an der Copacabana gelangten wir endlich zur Deutschen Weltmeister-Party. Das Adrenalin hatte da bereits nachgelassen und wir waren völlig erschöpft... Wir waren 8h lang in höchster Anspannung gewesen und hatten weder gesessen noch gegessen (dafür aber reichlich Bier getrunken). Wir waren fertig. Als wir uns nach einer halben Stunde, um 22h wieder einigermaßen fit fühlten und uns ins Gedränge stürzen wollten, verabschiedete sich DJ Pocher. Und nein, es kam niemand um ihn zu ersetzen.

Die Party war vorbei. Das wäre den Argentiniern nicht passiert. Gottseidank hatte eine Sambaband mehr Standvermögen. Aber nachdem wir 1h zu Samba getanzt hatten war uns nach etwas Deutscherem. In einem Imbiss/Partyzelt am Strand schien die Party  noch in vollem Gange. Zusammen mit Freunden die wir im Norden Brasiliens kennengelernt hatten gingen wir dorthin. Zu unserer Begeisterung wurden dort deutsche Fußballlieder gesungen: "Ooole,ole, ole, oleeee, super Deutschland, ole!" Nach zwanzig Minuten stellten wir fest, dass dies das Einzige war was gesungen wurde. Anscheinend hatten die anwesenden Brasilianer das Lied lieb gewonnen und es wollte keiner etwas anderes singen. Unsere Versuche ebenso einfache aber eben andere Lieder anzustimmen blieben erfolglos. Nach einer weiteren halben Stunde "Super Deutschland, ole" gaben wir es auf. Die Party in Deutschland war mit Sicherheit besser!

Im Nachhinein hörten wir auch noch Geschichten von anderen Deutschen, die ohne Tickets für das Finale nach Rio gekommen waren, um die Stimmung mitzunehmen und das Finale in der Fanmeile an der Copacabana zu gucken. Für die war es leider nicht so ein Erfolg, weil die Copacabana eben von Argentiniern gekapert war. Wir trafen mehrere Gruppen, die sich vor den leicht aggressiven Fans noch vor Anpfiff in ein kleines deutsches Public Viewing ganz am Rand des Strandes flüchteten. Eine weitere Gruppe ging, als die Gruppe Argentinier direkt vor ihnen, sich damit abwechselte, eine Fahne so hoch zu halten, dass die Deutschen nichts sehen konnten. Und ein einziger hielt bis zum Schluss durch, bekam aber dafür beim 1:0 auch ein paar Tritte ab. Insgesamt finden wir also, dass ein kleines bißchen "So gehn die Gauchos, die Gauchos, die gehen so", komplett angemessen war und uns in Brasilien nur noch mehr Freunde machen wird.

In diesem Sinne: Super Deutschland ole!!

PS: Wenn jemand das Halbfinale oder das Finale aufgenommen hat, bitte nicht wegwerfen. Wir würden das gerne nochmal in Ruhe sehen - ist halt doch was anderes als live.

1 Kommentar:

  1. Passend zum Thema:
    http://www.dailymail.co.uk/news/article-2706577/Argentine-fans-refuse-home-World-Cup-defeat-falling-love-Brazil-despite-running-cash.html

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