Freitag, 23. Mai 2014

Halbzeit

Am 15. Mai waren in Baracoa und haben einen Ausflug zum Strand gemacht. Eigentlich ein ganz normaler Tag auf der Reise, aber eines war besonders. An dem Tag waren wir genau 5 1/2 Monate unterwegs - die Hälfte unserer Reise. Bergfest. Wir sind jetzt auf dem Rückweg. Dazu passt ganz gut, dass wir jetzt den Nordamerikanischen Kontinent verlassen haben und den Rest der Reise mehr oder weniger auf der Suedhalbkugel verbringen werden.

Von zu Hause hören wir oft, dass die Zeit für uns bestimmt fliegen muss. Könnte man denken, weil wir ja so viel "Spaß haben", während für die anderen bei der Arbeit jede Minute lang wird. Aber eigentlich ist das Gegenteil der Fall. Wir haben am Strand in Baracoa überlegt, wo wir vor einem, 3 oder 5 Monaten waren. Alle diese Orte und Erlebnisse scheinen schon so lange her zu sein - wir glauben, die Zeit streckt sich. Und so geht es uns fast immer, wenn wir an die Zeit in Indien, Myanmar oder China zurück denken. Das liegt wohl daran, dass wir so unglaublich viel erleben, und daran, dass wir kaum je Routine haben, die, ohne dass man es merkt, einem ein paar Wochen oder Monate weg frisst. Ohne jetzt allzu philosophisch zu werden: Vielleicht sollte man sich weniger Gedanken drum machen, wie alt man noch wird und mehr darum, wie viel man erlebt?!?

Obwohl so viel passiert ist, wissen wir beide noch genau, wann aus unserer Reise ein Weltreise geworden ist, und zwar in Delhi als wir am Flughafen fuer den Flug nach Bangkok eingecheckt haben. Indien war spannend und anstrengend gewesen, wir hatten am Tag davor meinen Vater getroffen, und irgendwie haette es insgesamt gut gepasst, jetzt den Heimflug anzutreten. Dazu kam noch, dass gleichzeitig mit uns auch ein Flug nach Frankfurt eincheckte. Ein komisches Gefuehl, in die andere Richtung weiter zu fliegen. In den USA war es dann zum ersten mal soweit, dass der Heimflug "rechtsrum" gewesen waere statt zurueck ueber Inden und Arabien. Und so koennen wir mittlerweile auch schon ein bisschen dazu sagen, was eine Weltreise so anders macht als eine normale Reise. Dazu habe ich ein paar Beispiele. Der erste Abend in Bangkok, nachdem wir aus Indien kamen, war krass. Wir sind mit Couchsurfing-Bekanntschaften feiern gegangen, und die laute Musik, der Alkohol in der Oeffentlichkeit, die kurzen Roecke und der lockere Umgang zwischen Maennern und Frauen (damit meine ich ganz normale Unterhaltungen) hat uns umgehauen. Ein zweites Beispiel war der erste Abend hier in Bogota. Uns viel auf, dass es statt Propaganda Werbung gab, statt 50er-Chevies neue koreanische Autos und natuerlich - wie Barbara bereits erzaehlt hat - dass uns Passanten in der Preisdiskussion mit dem Taxifahrer unterstuetzten. Beides mal waren diese ersten Abende in einem Land besonders, weil die Laender so unterschiedlich waren. Wir haben gemerkt, dass wir mittlerweile unsere Reiseziele vielmehr miteinander vergleichen als mit Deutschland. Die Weltreise gibt uns als eine viel internationalere Perspektive als eine Reise von Deutschland aus das jemals koennte. Hier ein paar Vergleiche, die vielleicht trivial sind, aber uns immer wieder auffallen.
  • In Mittel- und Suedamerika sind die Leute emotionaler und koerperlicher als in Asien
  • Indien ist viel aermer als China und Kuba
  • Myanmar und Kolumbien haben mehr Meinungsfreiheit als China, von Kuba ganz zu schweigen.
  • Kuba ist das einzige kommunistische Land auf unserer Reise
  • Eine Frau aus der Unterschicht zu sein ist in keinem der von uns bereisten Laender so schlimm wie in Indien.
  • Man kann viel auf die chinesische und kubanische Regierung schimpfen, aber wenn man die Laender mit ihren Nachbarn vergleicht, haben sie einiges richtig gemacht.
Dazu gibt es ein Thema, dass uns in allen Laendern irgendwie verfolgt hat. Nämlich das in einem Land viel von seiner Regierung abhaengt. In Indien haben wir den Wahlkampf der ersten ernsthaften Anti-Korruptions-Partei verfolgt, Myanmar befindet sich im Übergang von Diktatur zu - hoffentlich - Demokratie, Thailand beim Übergang in die andere Richtung, China entwickelt sich rasant, aber eben nur oekonomisch und nicht politisch und in Kuba ist der kalte Krieg noch immer nicht vorbei. Über die einzelnen Länder haben wir ja schon viel geschrieben, aber es bleibt bei uns natürlich auch im Gesamtbild etwas hängen. Für mich am deutlichsten ist, dass Regierungen oder Regierungsformen doch einen riesigen Einfluss auf das Wohlergehen der Völker haben. Bei uns haben ja oft viele eine "ist doch eh egal"-Einstellung zu Politik. Wenn man wirklich schlechte Politik sieht, denkt man anders darueber. Und um das auch mal zu sagen: ich habe den Eindruck, dass unsere Regierungen in Europa die besten der Welt sind. Auch daran können wir mal denken, wenn wir schimpfen... Schimpfen sollten wir aber trotzdem weiter, damit sie auch so gut bleiben. Erstaunlich war für mich zu beobachten, dass die Liebe der Leute für ihre Regierung durch den Magen (oder eher den Geldbeutel geht) und oft mit Meinungsfreiheit nicht viel zu tun hat. In Kuba ärgern sich die Leute mehr darüber, dass es nie Rindfleisch gibt als darüber, dass ihre einzige Informationsquelle die Parteizeitung Granma ist. Und nur wenige Chinesen kümmert ihr verkrüppelten Internet, solange sie Chatten können und solange das Wirtschaftswachstum stimmt.

Auch für uns geht nach Kuba und China eine längere Zeit mit nur eingeschränktem Internet zu Ende - und siehe da, es geht. Aber oft hat uns die Hand zum Handy gezuckt, um mal eben eine Behauptung zu überprüfen oder einen Hintergrund zu etwas grade Erlebten zu suchen. Daher freue ich mich drauf, jetzt wieder aktuelle und unparteiische Informationen zu bekommen, den Nachrichten zu folgen und die Reise einfacher planen zu können. Und wo wir grade bei Sachen sind, die uns fehlen. Manchmal hatten und haben wir schon Heimweh. Wenn mal eine Unterkunft Mist ist, einer von uns krank ist oder wir einfach reizüberflutet sind. Dann wünschen wir uns unsere Familie und Freunde herbei, denen wir das alles erzählen können oder vielleicht einfach unser gemütliches Bett zu Hause. Wir brauchen also wirklich manchmal Urlaub vom Reisen, oder zumindest ein freies Wochenende. Bisher haben wir dann immer eine Pause nehmen können, am Strand, im Café oder im Zimmer und nach kurzer Zeit haben wir wieder Sachen erlebt und Leute kennen gelernt, die uns wieder Reiselust geben.

Eine Sache stellt sich allerdings als schwieriger heraus als geplant, und das ist das "im hier und jetzt Leben". Manchmal haben wir das Gefühl, dass wir unterwegs viel zu viel an morgen denken, den nächsten Bus oder die nächste Unterkunft buchen. Während zu Hause meistens die Tage eh verplant sind, haben wir hier oft die Qual der Wahl. Wir werden also weiter lernen, die Dinge gelassener zu sehen und auf uns zukommen zu lassen. Wir üben uns weiter im Schauen und Zuhören im "Nicht ärgern sondern wundern" und sind gespannt, was die zweite Hälfte der Reise bringen wird.

Zum Abschluss des Posts moechte ich euch aber nochmal den Mund waessrig machen und poste einige Erlebnisse, die uns besonders in Erinnerung geblieben sind, und ein paar unserer Lieblingsfotos. Nach einem knappen halben Jahr auf Reisen, koennen wir eine solche Erfahrung nur jedem ans Herz legen. Es erweitert den Horizont, praegt die Persoenlichkeit und macht einen widerstandsfaehiger.

Einige unserer schoensten Erlebnisse:
  • Unser letzter Tag in Bangalore, mit den Praesentationen unserer Schueler und ihren unglaublich stolzen Gesichtern
  • Der Loewentanz zum chinesischen Neujahr auf der Strasse in Mawlamyine/Myanmar
  • In China an der Tigersprungschlucht eine fast fliessende Unterhaltung mit einer uralten Frau auf chinesisch gefuehrt, die uns immer genau die Sachen gefragt hat, die wir im Unterricht gelernt hatten.
  • Teilnahme am Umzug des 1.Mai in Cienfuegos / Kuba und die Party danach.
  • Uns wieder treffen, nachdem Barbara eine Woche ohne zu reden meditiert hat und ich 25m tief nur mit Luftanhalten getaucht bin.
  • Mit Delphinen in Kuba schwimmen
Fotos:

 



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