Montag, 31. März 2014

Vom unromantischen Dorfleben in Chinas idyllischen Karstbergen

Wir hatten uns vorgenommen etwas vom richtigen Leben in Guanxi zu sehen. Und das hat auch ganz gut geklappt, nur eben nicht ganz so wie wir uns das vorgestellt hatten.

Gelandet sind wir in Guilin, der schönsten Stadt Chinas... laut Eigenwerbung und laut eines Zitats von einem amerikanischen Präsidenten. Wir schauten uns um. Auf den ersten Blick sah es weniger entwickelt aus als Kunming und es regnete. Auf den zweiten Blick wurde es auch nicht besser. Weil hier Touristen hin kommen, hat man sich die Mühe gemacht Parks und mit Stacheldraht zu umzäunen und den Blick auf besonders schöne Berge mit eigens angepflanzen Bambus zu versperren, damit man auch ja die (jeweils!) 5-10 Euro Eintritt zahlt. Stattdessen ließen wir uns für 5€ eine Stunde lang massieren. Die beste Massage die wir bisher hatten, ich bin jetzt Fan von Chinesischen Massagen.

Mit dem lokalen Bus statt mit der Li River Cruise holperten wir nach Yangshuo. Hier gibt es die wunderschöne Karst- und Flusslandschaft die wir im Westen als typisch chinesisch bezeichnen würden. Dort wollten wir mit dem Rad durch die Gegend fahren, abseits der Touripfade. Unser Chinesisch ausprobieren und dort schlafen wo wir abends ankommen.

Unser Chinesisch konnten wir auch sehr gut anwenden, meist relativ kurz um nach dem Weg zu fragen. Dabei zeigte sich bald, dass es zwar sehr freundliche, aber eben auch sehr unfreundliche Leute gibt. Ich würde sagen, letztere überwiegen, jedenfalls Ausländern gegenüber. Uns kommt es so vor, als kämen Chinesen untereinander relativ schnell ins Gespräch. Bei uns haben die meisten wahrscheinlich Angst, dass sie Englisch sprechen müssen, was sie nur sehr ungern tun. Uns wurde gesagt, dass zumindest alle Leute ab unserer Generation in der Schule Englisch gelernt haben. Allerdings lernen sie hier nur für Tests, lernen aber nicht wirklich Englisch zu sprechen. Wie dem auch sei, es gab freundliche Menschen. Oft ältere Frauen die Chinesisch mit uns redeten und dabei geduldig alles für uns mehrfach wiederholten.

Am ersten Tag verfuhren wir uns super oft, weil unsere Karte nicht nach Maßstab gemacht war. Das war aber nicht weiter schlimm, schliesslich hatten wir kein bestimmtes Ziel. Irgendwann ging uns aber auf, dass die kleinen Dörfchen keine Gasthäuser hatten, und das die Wege zwischen den Dörfern ziemlich hügelig und weit waren. Also drehten wir um und fuhren an einer Stelle an den See an der ich zuvor Bambusboote gesehen hatte, die in der Gegend überall Touristen rumkutschieren. Dort wollten wir uns wieder etwas mehr in die Tourigegend fahren lassen um die Wahrscheinlichkeit auf ein Hotel zu vergrössern, es fing nämlich schon an dunkel zu werden und unsere Beine waren müde. Am Ufer angekommen sahen wir Boote und Flösse, aber niemanden darauf. Wir sagten einer Frau die am Fluss Wäsche wusch in unserem besten Chinesisch: "Wir wollen nach Luigong." Sie zuckte mit den Schultern und wusch weiter. Wir sagten: "Boot... mit dem Boot." Ein kurzer Blick zu uns gefolgt von: "Gibt es nicht", und dann weiter waschen. Diese Frau wollte sich wirklich nicht mit uns unterhalten.

Wir fuhren wieder ein Stück zurück wo wir eine Gruppe von sechs Männern und Frauen sahen die Karten spielten. Sie guckten uns interessiert an, bis sie merkten, dass wir auf sie zu kamen. Daraufhin guckten sie wieder angestrengt in ihre Karten und spielten weiter. Gleiche Frage, gleiches Prozedere. "Gibts nicht" oder "weiss ich nicht" sind die Standartantworten hier um Leute loszuwerden. Wir fuhren also den gleichen Weg zurück, den wir gekommen waren. Auf der anderen Flussseite gab es dann wieder hilfsbereite Menschen, die uns den richtigen Weg wiesen und uns auch mit dem Floß ein Stück fuhren. Am Abend kamen wir dann in einer kleinen Stadt an. Diese war aber so trostlos und hässlich und die Zimmer im Hotel stanken so nach Schimmel und Zigaretten, dass wir uns wieder aufs Fahrrad setzten und noch im Dunkeln 8 km bis ins touristische Yangshou fuhren um wieder in unser Hostel von der Vornacht zurück zu kehren. Soweit unser erster Versuch etwas vom ausgetretenen Weg abzukommen.

Unerschrocken oder unverbesserlich wie wir sind starteten wir am nächsten Morgen einen zweiten Versuch. Wir fuhren eine kleine Straße entlang, die weder auf der Tourikarte noch auf Googlemaps zu finden war und sich durch die Karsthügel und am Fluss entlang schlängelte. Wir genossen die Aussicht, grüßten die Leute, die sogar öfters mal mit "Hellooo" zurück grüßten. Wie am Tag zuvor sahen wir Orangenhaine, Wasserbüffel bei der Arbeit und Mütter die ihre Kinder rumtrugen.

Als wir auf dem Weg anhielten um ein Foto von einem Büffel zu machen, sprach mich ein alter Mann, der auf seinen Kiosk zeigte. Wir setzten uns in den Kiosk und tranken Wasser und kauften Erdnüsse. Wir fanden es total nett dort und knipsten ein Foto mit dem stolzen Kioskbesitzer und seiner Frau. Dieser fragte uns ob wir schon gegessen hatten. Hatten wir nicht und wir hatten Hunger. Daraufhin fuhr er weg. Wir waren uns nicht sicher, ob wir ihn richtig verstanden hatten. Vielleicht hatte er gesagt, dass er nun essen gehe? Wir wollten uns wieder auf den Weg machen, merkten aber, dass die drei Damen die im Kiosk nicht wollten, dass wir gehen. Als der Mann wieder kam hielt er stolz ein Huhn in der Hand. Er machte deutliche Gesten, dass er es nun schlachten wolle, damit wir es essen könnten.

Thorben und ich berieten uns. Thorben hatte Bedenken, dass das Huhn wohl ziemlich teuer werden könnte, denn der Alte hatte schon Geschäftssinn gezeigt als er doppelt so viel fürs Wasser genommen hatte als wir bisher bezahlt hatten und vor allem würde es ewig lange dauern bis das Huhn fertig wäre. Ich fand es total süß, dass der Alte das Huhn extra besorgt hatte und fand es spannend am Dorfleben teilzuhaben. Aber ich hatte auch Bedenken und zwar wegen der Hygiene. So bedeuteten wir dem Alten, dass wir lieber weiterfahren würden, was er uns ein wenig übel nahm.

Nach 4 km fiel uns dann auf, dass wir die Kamera nicht mehr hatten. Hatten wir sie liegen gelassen oder wurde sie sogar im Hühnertumult geklaut? Wir fuhren zurück zum Kiosk. Thorben kam zuerst an und wurde vom Alten und seiner Frau ignoriert. Thorben machte Zeichensprache, was so viel wie Kamera heißen sollte. Die beiden verstanden ihn nicht. Als ich kam, nutzen wir unser Handy zum übersetzen. Sie wussten von nichts. Daraufhin rief ich in unserem Hostel an und erklärte unserer Gastwirtin die Lage und bat sie mit dem Alten zu reden. Dieser wollte das Telefon aber nicht nehmen. Er tat so als würde er nicht wissen, was er mit dem Handy machen solle. Mir kam der Verdacht, dass er etwas mit dem Verschwinden unserer Kamera zu tun hatte. Ich hielt ihm das Telefon ans Ohr und unsere Gastwirtin sprach mit ihm und erklärte wie wichtig die Kamera für uns sei.

Nach etwas hin und her, fragte ich den Alten wo die Polizei sei. Das verstand er natürlich wieder nicht. Als der Alte merkte, dass wir keine Anstalten machten zu gehen, wurde er nervös. Thorben bekam schon ein schlechtes Gewissen, weil der Alte sich bestimmt Sorgen machte in etwas verwickelt zu werden wofür er nichts konnte. Als unsere Gastwirtin ihm am Telefon sagte, dass sie die Polizei verständigt habe, stapfte er davon. Als er wieder kam zeigte er mir sein Geld im Portemonnaie. Wollte er jetzt Geld haben, dafür, dass er mir meine Kamera gibt? Nein, Thorben meinte der Alte hätte bestimmt Angst, dass er bei der Polizei nun bestimmt eine Strafe oder Schmiergeld bezahlen müsse. Ich sagte dem Alten, ich würde 200Y, 24euro, zahlen. Keine Reaktion. Vielleicht hatte Thorben Recht.

Doch der Alte blieb hartnäckig und zeigte immer wieder auf eine Zahl die er aufgeschrieben hatte: 1000. Ich war mir sicher, dass er das Geld von uns für die Kamera haben wollte. Wir fragten auf Chinesisch: "Wir geben dir 1000Y?" Der Alte strahlte und nickte beherzt. Wir guckten uns an. Der hat ja echt Nerven. Die Polizei kommt und er will, dass wir ihm Geld geben? Offensichtlich hat er uns die Kamera nicht wieder geben wollen, das heißt er hat sie gestohlen, und das gab er grade zu. Wir sagten ihm, dass wir keine 1000Y hätten, was auch stimmte. Nach etwas grübeln, kam er zurück und schrieb 800 auf. Bevor ich einem Dieb auch noch Geld gebe, soll er die Kamera wegschmeißen! Wir sagten ihm, dass wir ihn nicht verstehen würden und warteten auf die Polizei. Als diese kam, zusammen mit unserer Gastwirtin, die mitgekommen war um zu übersetzten, erzählten wir ihnen, dass der Kioskbesitzer wisse wo die Kamera ist, weil er Geld dafür von uns haben wollte. Nach einem langen Gespräch mit der Polizei stampfte der Alte wieder weg und kam mit der Kamera wieder.

So weit so gut. Was ich nicht erwartet hatte war, dass die Polizei meinte, ich solle ihm jetzt seinen Finderlohn von 10% geben, also 200Y bzw. 24 euro. Spinnen die? Wiederwillig gab ich ihm 100. Der Alte wurde böse und die Polizei meinte ich solle mehr geben. Darauf sagte ich, dass mir die Kamera gestohlen wurde und ich nicht einsehe einem Dieb Geld zu geben. Die Polizei sah das anders. Ich hätte die Kamera vergessen. Ein anderer Dorfbewohner hätte sie mitgenommen. Und der Alte sei der Gute, der dafür gesorgt habe, dass er die Kamera wieder rausrücke. Zähneknirchend gab ich nochmal 50Y. Irgendwie hatte ich das Machtverhältnis zwischen chinesischer Polizei und Dorfbewohnern anders eingeschätzt. Ich hätte gedacht, dass sie richtig Angst vor der Polizei haben und dass sie nicht auch noch so dreist wären nach Geld zu fragen.

Nach diesen Ausflügen ins echte China radelten wir etwas ernüchtert zurück in die idyllische Touriwelt. Nachdem wir unseren Schrecken verdaut hatten besuchten wir abends eine Show vom Regisseur der Eröffnung der Pekinger olympischen Spiele. Wir wurden mit einem Büschen vorm Hotel abgeholt und eine Frau mit Fähnchen brachte uns bis zu unseren Sitzplätzen. Dort konnten wir zusammen mit 5000 anderen Zuschauern aus sicherem Abstand den total verklärten und romantisierten Alltag der Minderheiten am Li Fluss anschauen. Die Show war eine beeindruckende Komposition aus Musik, Farben und Choreografie mit 500 Darstellern vor spektakulärer Kulisse. Danach wurden wir und unsere Kamera wieder sicher im Hotel abgeliefert. Pauschaltourismus kann so schön sein ;)

Barbara

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