Samstag, 5. April 2014

Der allmächtige chinesische Staat

Vieles in China hängt am Staat. Die Kommunistische Partei führt China wie ein großes Unternehmen. Dabei wird meist auf das Wohl der Mehrheit geschaut während Minderheiten zurückstecken müssen. Um es ökonomisch auszudrücken: die Partei agiert wie der optimale Zentralplaner ohne pareto-optimal zu sein. Die Regierung hat es geschafft hunderte Millionen Menschen aus der Armut zu holen und das durchschnittliche pro-Kopf auf ein Level wie in Thailand zu steigrern. Sie hat also einiges richtig gemacht. Wir schwanken also zwischen Bewunderung der Ergebnisse und Ablehnung der Methoden. Einige Beispiele.

Ein besonderes Beispiel für die Mischung aus Effizienz und Rücksichtslosigkeit ist der Umgang mit Minderheiten. Man siedelt Chinesen in den Regionen mit großen Minderheiten an, und bringt sie in die einflussreichen Positionen. Dann werden die Minderheiten freundlich integriert, nur müssen sie dafür Han-Chinesen werden und ihre eigene Identität aufgeben. Viele halten dieses Vorgehen dann sogar für großzügig.  Als wir zum Beispiel unsere Chinesischlehrerin Orchid auf mögliche Probleme zwischen Minderheiten und Han-Chinesen ansprachen, meinte sie, dass es früher einige Probleme gegeben habe, aber dass sich die Regierung nun sehr um die Minderheiten bemühe und diese deswegen zufrieden seien. Die Regierung würde Lehrer schicken, die den Minderheiten Mandarin beibringe und dafür sorge, dass sie sich anständig anziehen, da traditionelle Kleidung in der Schule nicht erlaubt sei.  Wir haben das Gefühl, dass ethnische Minderheiten als lustige, unmündige, etwas dumme Kinder wahrgenommen werden. Man gibt sich interessiert und ist stolz auf das kulturelle Erbe der Minderheiten. In der Nähe von Kunming gibt es ein Minderheitendorf, eine Art Phantasialand in dem die verschiedenen Minderheiten irgendwelche Shows vorführen. Das Hobby unserer Gastmutter Sofie in Kunming ist Minderheitentanz. Nachdem den Minderheiten Jahrzehnte lang ihre Kultur, ihre Traditionen und ihre Sprache ausgetrieben wurde, werden diese für die Touristen zur Schau gestellt. Chinesische Touristen mit riesigen Kameras stellen sich 50cm vor alte Frauen in einer Polyester-Tracht um ein Foto von ihnen zu  machen, als seien sie Affen im Zoo. Die meisten "Minderheiten" kleiden sich aber eh nicht mehr traditionell, sie tanzen auch nicht mehr ihre traditionellen Tänze sondern sind aufgegangen in der Han-Kultur. Im Gegenzug sorgt die chinesische Regierung mit Entwicklungsplänen, Infrastruktur und Tourismus dafür, dass das Einkommen in der Region steigt. Irgendwie muss man ein großes Land, mit einer sehr heterogenen Bevölkerung wohl zusammenhalten. Das Gemeinwohl steht wie immer über dem Wille von Minderheiten. Und um das Ganze in Perspektive zu stellen: In Amerika und Australien wurde wohl schlechter mit der Urbevölkerung umgegangen, und in deutschen Zoos gab es auch mal echte Neger zu bestaunen. Dass die chinesische Strategie aber auch ihre Probleme hat, zeigt sich vor allem in Tibet und Xinjiang. Terroristen aus Xinjang hatten drei Tage bevor wir nach Kunming geflogen sind dort im Bahnhof über 20 Menschen mit Messern getötet.

Weitaus positiver finden wir die Rolle des Staats in der Städteplanung. Nicht nur die Städte an der Ostküste sind heute modern, sondern auch das Hinterland, wie in Kunming und Guilin. Natürlich stehen nicht überall Luxushäuser, aber wir haben auch keine Slums wie in Indien gesehen. Im Gegensatz zu den "organisch" (sprich chaotisch) wachsenden Städten von Indien werden chinesische Großstädte geplant angelegt. Kunming zum Beispiel ist mittlerweile eine 7-Millionen-Stadt. Die Wohnungspreise sind in die Höhe geschossen und die Straßen sind nicht für die Menge Verkehr ausgerichtet. Als Antwort darauf siedelte die Regierung ihre Verwaltungsgebäude und eine Universität in ein 40km entferntes Neu-Kunming um. Dort gibt es 6-spurige Straßen, eine Metro, viele bereits verkaufte Wohnungen und noch kaum Menschen. Aber das wird sich sicher bald ändern. Die rasant gewachsenden und zentralistisch geplanten Städte bieten vielen Menschen eine zufriedenstellenden Lebensstandard, aber oft wird Altes zugunsten von Neuem abgerissen und die Städte haben keine Altstadt und somit keine Seele.

In den Dörfern wird ähnlich zentralistisch durchregiert. Laut unserem amerikanischen Wanderführer Adam, der seit 6 Jahren in China lebt, plant die Regierung nun viele kleine Dörfer "abzuschaffen". Das macht sie indem sie den Bewohnern ein Angebot macht, dass sie nicht ablehnen können. Einerseits bekommen sie in der Stadt eine Wohnung angeboten, andererseits werden im Dorf die Schule und Müllabfuhr geschlossen und Wasser und Strom abgestellt. Auf diese effiziente aber auch harte Methode sollen in den nächsten Jahren 200 Millionen Menschen urbanisiert werden.

Auch beim Tourismus, überlässt die Regierung nichts dem Zufall. Und damit meinen wir noch gar nicht mal die vielen Tourgruppen, die man überall sieht. In der Provinz Guangxi zum Beispiel, wurde zunächst Guilin als Touristenziel mit herrlichen Karstbergen am Li Fluss vermarktet. Guilin ist heute eine relativ grosse und hässliche Stadt von der aus man die Berge kaum noch sehen kann. Daraufhin wurde vor 20 Jahren Yangshuo als Touristenziel auserkoren. Auch Yangshuo ist mittlerweile von einem Fischerdorf zu einer mittelgrossen Stadt gewachsen und das Einkommen und die Immobilienpreise dort und in der Umgebung haben sich gesteigert. Nun wird ein Fischerdorf zwischen Yangshuo und Guilin zum nächsten Touristenziel aufgebaut. So verteilt sich das Geld der Touristen an mehreren Stellen in Guangxi. Hut ab.

Ein anderes Thema ist der Umweltschutz und da hat China ein ganz schlechtes Image.  Luft- und Wasserverschmutzung sind mit dem China-Bild eng verbunden. Umso erstaunter waren wir, als wir mitbekamen, dass es so etwas wie Waldschutz gibt. Auf einer Wanderung in der Nähe von Dali erklärte uns Adam, dass es viele Auflagen gibt, um den Wald zu schützen. Zum Beispiel dürfen Bauern die Zweige, die sie als Ranken für ihre Bohnen nutzen, nicht mehr überall abschneiden. Er versicherte uns, dass dies überall im Land der Fall sei. Uns kam zwar der Verdacht, dass der Naturschutz immer dann im Vordergrund steht, wenn grade keine großen wirtschaftlichen Interessen dagegenstehen, aber es ist immer hin ein Anfang.

Selbst in der Familienplanung redet die Regierung bekanntlich ein Wörtchen mit. Unsere Generation ist die der Einzelkinder in China. Sechs Erwachsene: Vater, Mutter, zwei Großväter und zwei Großmütter, kommen auf ein Kind. Kein Wunder, dass dieses dann ganz besonders verhätschelt wird, was den Einzelkindern den Spitznahmen "kleine Kaiser" eingehandelt hat. Genau wie in Indien ist hier der Sohn für seine Eltern im Alter alleine verantwortlich und erbt auch alles alleine. Daher wollen die Eltern einen Sohn und, weil sie ja nur ein Kind bekommen dürfen, werden viele weibliche Föten abgetrieben. Aus diesem Grund wird den Eltern, offiziell, das Geschlecht ihres Babys vor der Geburt nicht mitgeteilt. Dennoch gibt es in China momentan einen akuten Frauenmangel. Das hat zur Folge, dass Männer mittlerweile beträchtliche Summen für eine Frau zahlen müssen, sowie ein Haus, ein Auto und einen guten Job vorweisen müssen. Die Mutter von Orchid, unserer Chinesischlehrerin, hat in der Vergangenheit mehrere Ehen arrangiert indem sie wohlhabende Männer an Frauen aus ärmeren Regionen vermittelt hat. Sie hat auch Orchid bereits gefragt, wieviel ihr Freund denn für sie bezahlen würde. Auch ihr Bruder hat bereits die Erfahrung gemacht, dass ihn Frauen erstmal auf seine finanzielle Situation ansprechen bevor sie sich überhaupt mit ihm Treffen wollen.

Der allgegenwärtige Staat hat unter den Chinesen die Einstellung gefördert, dass sie sich für ihr Schicksal nicht selber verantwortlich fühlen. "Da kann man nichts machen", ist ein Satz den unser Studienfreund Alex und sein Mitbewohner häufig hören und der sie wahnsinnig macht. Die beiden leben seit über 3 Jahren in Peking. Sie regen sich darüber auf, wenn sich ihre wohlsituierten Freunde über die Kälte beschweren, weil die Zentralheizung noch nicht angeschaltet ist, anstatt einen Radiator zu benutzen. Die Menschen in China verlassen sich sehr auf ihre Regierung, was diese natürlich durch ihren Allmachtsanspruch gefördert hat.

Obwohl wir die Mittel zum Zweck weiterhin kritisch sehen, hat sich unser Bild von der chinesischen Regierung zum positiven verändert. Wir sehen wieviel sie in kurzer Zeit erreicht hat und welch große Verantwortung sie trägt. Mit Blick auf Indien wagen wir es sogar zu sagen - und das hätten wir vor unserer Reise niemals gedacht - dass es Sinn machen kann in einem Land zunächst die Bildungsrate zu erhöhen und erst danach demokratisch zu werden. Wir sind uns sicher, dass das chinesische Volk in Zukunft nach mehr Mitspracherecht verlangen wird und sind gespannt wie der chinesische Weg zu mehr Demokratie aussehen wird... chinesisch harmonisch oder unchinesisch rebellisch.

Barbara

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