Samstag, 15. März 2014

Ankommen in Chinas Hinterland

China: das sind überfüllte, etwas schmuddelige Städte, in denen die Bewohner auf den Boden rotzen und man vor Smog kaum bis zum Nachbarn gucken kann. Kunming ist eine 7-Millionen-Stadt in der südwestlichen Provinz Yunnan. Westen heißt in China soviel wie unterentwickelt. Alle wichtigen Wirtschaftszentren liegen an der Ostküste - von Peking über Shanghai und Xiamen bis zum Perlflussdelta mit Guangzhou, Shenzhen und Hongkong. Wir hatten uns Kunming daher auch für den Start nach China ausgesucht, weil gehofft hatten, hier eher etwas vom alten, puren China zu erleben als in Städten wie Shanghai.

Weiter weg von diesem Bild hätte die Realität kaum sein können. Kunming wirkt (bis auf die Schriftzeichen) wie eine westliche Großstadt. Die Straßen sind quasi so gut wie in Deutschland, darauf fahren jede Menge deutsche Autos (alles zwischen Golf-Klasse und S-Klasse, alles ab A4 in der L-Version), ansonsten Japaner und Amis und ein paar chinesische Wagen. Die in China früher sprichwörtlichen Fahrräder gibt es noch, aber das sind nur ein paar junge Leute auf Sporträdern. Dazu surrt eine große Flotte von Elektrorollern herum. Die Strassen sind auch nicht eng, im Gegenteil, an vielen Stellen sind die Straßen eher überbreit, zwischen den Hochhäusern und am Straßenrand ist Platz für Bäume. Da dadurch alles recht weit auseinander liegt und viele Leute in umzäunten Komplexen leben, erinnert mich die Stadt an Amerika. Dazu passt auch, dass es viele Malls gibt, und natürlich von Starbucks über McDonalds bis Walmart viele amerikanische Ketten. Die deutsche Fahne wird durch einen Metro-Markt hochgehalten. Was uns sehr überrascht hat ist, dass es sehr sauber ist. Kaum zu glauben ist der Kontrast zu Indien. Beide werden in unseren Medien als Schwellenländer quasi gleich gehandelt, aber während Indien ein Entwicklungsland ist und manchmal im Chaos zu versinken scheint, wirkt China hier wie ein Land, das wohl bald zum Westen aufgeschlossen haben wird.

Unter all dem westlichen Anschein finden wir aber immer wieder kleine Dinge, die uns darean erinnern, dass wir in China sind, und dass viele Traditionen hier noch sehr lebendig sind. Das fängt an, mit vielen Grüppchen vor allem älterer Leute, die sich morgens und abends auf Parkplätzen, in Parks und einfach auf dem Gehweg treffen, und zu Popmusik oder klassischer chinesischer Musik irgendwas zwischen Gymnastik und Tanz machen. Andere Grüppchen, die man morgens sieht, sind in Reih und Glied stehende Angestellte von Geschäften und Restaurants. Sie werden vom Chef auf den Tag eingeschworen, die Uniform wird kontrolliert und ein bisschen Gymnastik müssen sie auch machen. Ich stelle mir das bei uns vor, die ganze Abteilung steht auf der Hauptstraße und der Chef turnt vor.

Überhaupt bekommen wir schon einiges von der chinesischen Kultur mit. Wir wurden von unseren chinesischen Anfang fünfzig jährigen Gastgebern George und Sophie sehr freundlich aufgenommen, so dass wir uns direkt sehr wohl gefühlt haben. Wir sitzen manchmal Abends noch mit ihnen zusammen und trinken Tee, den Sophie mit gefühlten 100 geübten Handgriffen zubereitet, oder haben eine Lehrstunde Tai Chi von einem von George's Freunden bekommen. Dieser Freund ist auch sonst sehr tief in den chinesischen Traditionen. Neben Kung Fu (wozu hier Tai Chi zählt) macht er auch Kalligrafie und sammelt alte Schwerter.

Wichtig scheint es zu sein, eine Lehrer-Schüler-Beziehung zu etablieren. Es gibt sogar ein eigenes Wort für "als Lehrer anerkennen". Immer, wenn uns jemand etwas zeigt oder wenn wir jemand etwas zeigen oder erklären, sagen uns die jeweiligen Gesprächspartner nach einer Weile: "Du bist der Lehrer oder "Ich bin der Lehrer". Da wir ja viel Zeit in der Sprachschule verbringen, sind wir jetzt auch oft Schüler. Auch sonst fühlen wir uns in China wie kleine Kinder, weil wir nicht lesen können. Keine Buspläne, Preisschilder, Speisekarten, teilweise nicht mal die Beschriftung von Herren- und Damenklo. Nimmt man noch dazu, dass nur sehr wenig Leute hier englisch können, so das fragen auch nicht so einfach ist, dann kann man sich vorstellen, dass wir uns manchmal etwas isoliert oder hilflos fühlen.

Dank unserer langsam einsetzenden Sprachkenntnisse (ok, seeehr langsam einsetzenden, aber das wird ein eigener Post) können wir aber mittlerweile im Restaurant bestellen. Die für Yunnan typischen Reisnudeln, Dumplings (sowas wie Maultaschen, Gruß an alle Schwaben) und manchmal auch Reis, das alles ist nicht so spektakulär im Geschmack wie in Indien oder Thai aber es ist immer sehr sorgfältig und lecker gekocht. Grade auch Sophie, unsere Gast"mutter" kocht sehr lecker - zum Frühstück. Und nachher bringt sie uns Zhōu Yué bei, gebratene Dumplings zu kochen.



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