Montag, 27. Oktober 2014

Wilder Westen und naher Osten


Wir sitzen in Sansibar am Strand. Nicht irgendein Strand, sondern einer der schönsten, die wir auf dieser Reise und überhaupt je gesehen haben. Diese Strandtage hatten wir lange geplant, um uns am Ende der Reise nochmal so richtig zu entspannen und um erholt zu Hause an zu kommen.

Viele werden vielleicht denken, dass wir uns doch jetzt ein ganzes Jahr lang ausgeruht haben, aber das stimmt nicht ganz. Wir hatten zwar mehr Freiheit als je zuvor und konnten "der Nase nach" reisen, aber oft war das Reisen eher spannend als entspannend. Und unsere Tour durch den wilden Westen von Tansania ist ein gutes Beispiel dafür. Es gibt kaum Touristen, die Infrastruktur ist  schlecht, und manchmal fühlt man einfach, dass man dem Kongo näher ist, als den Condor-Flugzeugen. Die Tage dort könnten kaum unterschiedlicher sein zu den Tagen hier auf der Urlaubsinsel Sansibar.

Um direkt mal mit dem Wichtigsten anzufangen, das Essen ist kaum vergleichbar. In vielen kleineren Orten im Westen (und die sind alle klein) muss man Glück haben, um ein Restaurant zu finden. Oft sind sie nicht gekennzeichnet; eigentlich ist es nicht mehr als eine Mama, die auf Anfrage auch für andere kocht. Da man sich kennt, braucht es kein Schild, und dass geöffnet ist erkennt man an dem Wassereimer und der Seife-Flasche vor der Tür. Wenn man fragt, was es denn gibt (auf Suaheli, denn nur wenige dort sprechen englisch) ist die Antwort unweigerlich: "Reis, Ugali, Huhn, Fleisch". Nur morgens nicht, dann lautet die Antwort:"Chapati, Ei, Tee". Nach Gewürzen oder Zubereitung wird nicht groß unterschieden. Ist auch nicht nötig, denn Essen soll vor allem satt machen. Hier auf Sansibar dagegen haben die meisten Restaurants Leute, die Passanten ansprechen, es gibt Speisekarten, auf denen so etwas wie "in Kokosnuss", "Cajun-Style", oder "Mediterran" steht. Es gibt Dachterassen und Strandblick, es ist eine andere Welt.

Ähnlich ist es mit den Unterkünften. Wenn man mal die 500$ Luxuslodges in den Nationalparks weglässt, dann gibt es in den Orten und Städten im Westen wenn überhaupt nur kleine Hotels, die auf lokale Reisende zielen. Wir haben uns davon meist die besseren rausgesucht, und für um die €10 pro Nacht einen ganz ordentlichen Wert bekommen. Gut, das Moskitonetz konnte auch schon mal ein Loch haben, den Vorhang lässt man genau in der Stellung, in der man ihn vorfindet, weil er sonst bestimmt runter fällt und im Bad besteht die Dusche (Warmwasser geht grade heute nicht) aus einem Wasserhahn und einem Eimer am einen Ende des Raumes und einem Abfluss am anderen Ende. Dazwischen das Klo... In Sansibar haben wir dagegen das Budget mal so richtig aufgedreht. Und weil die Saison hier fast vorbei ist, bekommen wir auch hier so richtig was für unser Geld. Klimaanlage, tolles Bad, Frühstück auf der Dachterasse, schnelles Internet und so weiter. Ich habe sogar zum ersten mal im Leben einen Turn-Down-Service erfahren dürfen.

Und um die Kernthemen des Reisenden abzuschließen: ja, auch der Transport ist hier anders. In Kasanga sollte uns um 4:30 morgens ein Motorradtaxi abholen kommen und zum einzigen Bus des Tages bringen. Weil das aber zu spät war fuhren wir ein Stück mit einem Landrover mit der zufällig vorbei kam, bis wir die letzten 200m bis zur Hauptstraße und Bushaltestelle laufen mussten, weil der Weg auch für Allradfahrzeuge unpassierbar war. Hier auf Sansibar war es für die Dame im Hotel eine mittlere Sensation, dass wir von der Hauptstadt Stonetown an den Strand nicht das Hoteltaxi für $50 nehmen wollten, sondern den öffentlichen Nahverkehr für $3,50. Von den Booten auf dem Tanganjikasee haben wir ja bereits berichtet, nach Sansibar brachte uns eine Fähre, die über 50kmh schnell fährt und aussieht, wie ein Rennboot.

So weit geht der Kontrast zwischen unseren Erlebnissen hier auf Sansibar und  denen im Westen, dass wir es sogar an der Musik fest machen können. Mit dem Westen verbinde ich vor allem das laute Geplärre der Bongo-Flava genannten Dudelmusik in Bussen. Viele Busse haben nur einen einzigen Lautsprecher in der Mitte, und der wird dann so aufgedreht, dass der Fahrer und der Schaffner ganz vorne gut hören können. Selbst mit Taschentüchern in den Ohren bzw Barbaras spezialangepassten Ohrenstöpseln waren so manche mehrstündige Busfahrten echte Tests der Nerven. Auch, weil sobald der Bus und damit die Musik in den Pausen mal ausging, garantiert jemand auf dem Nachbarsitz sein Handy rausholt, und darauf etwas leiser, aber dafür mit noch plärrenderem Sound weiter hört. Hier auf Sansibar haben wir bisher leise angenehme Lounge- oder Reggae-Musik beim Cocktail zum Sonnenuntergang gehört, und einmal im Restaurant ein tolles Konzert einer Gruppe gehört, die arabisch klingende Taarab-Musik spielte.

Dass die Musik so arabisch klingt ist im übrigen kein Zufall. Während das Festland erst Mitte des 19. Jahrhunderts unter den Einfluss von europäischen Mächten kam (erst Deutschland, später England), gehörte Sansibar und die direkt gegenüber liegende Suaheli-Küste schon seit Jahrhunderten zu der arabischen Welt und war seit ein paar Generationen Teil des Oman. Bis heute ist das Binnenland in der großen Mehrheit christlich, die Küste und Sansibar dagegen fast ausschließlich muslimisch. Man erkennt das im übrigen nicht nur an den Kirchen und Minaretten, sondern vor allem an den Frauen. In Afrika tragen zwar die meisten Frauen Kopfbedeckung, aber in Stonetown ist auch die Vollverschleierung gang und gäbe. Während am Malawisee oft Frauen oben ohne am Strand die Wäsche, sich selbst und die Kinder waschen ist das hier undenkbar.

Was natürlich bei all dem Annehmlichkeiten ein wenig auf der Strecke bleibt, ist der Kontakt zu Einheimischen. Klar, ganz einfach war es auch im Rest vom Land manchmal nicht. Vor allem die Sprache ist manchmal ein unüberwindliches Hindernis. Aber da viele Tansanianer sehr freundlich und offen sind, hatten wir oft nette Begegnungen - und seien es nur Halbunterhaltungen, die sich auf die Begrüßungen beschränkten. Aber Begrüßungen machen hier ja auch gefühlte 50% der Unterhaltung aus. Wenn man jemanden trifft, dann ist der Standard-Anfang:
- Mambo. (Alles klar?)
   - Poa. (Mir gefällt es)
- Habari? (Nachrichten/ was gibts Neues?)
   - Mzuri. (Gut)
Wenn wir dies halbwegs souverän hinbekamen freuten sich viele so sehr, dass sich oft ein direkter Wortschwall auf Kisuaheli anschloss. Der outete uns zwar schnell, aber immerhin war das Eis gebrochen und der Rest der Begegnung erfolgt mit Händen, Füßen und je ein paar Worten englisch und kisuaheli. Auf Sansibar dagegen dröhnt einem meist schon von 100m Entfernung ein "Jambo" entgegen, was dann auch mit "Jambo" zu beantworten ist. Das ist die vertouristisierte Version eines noch anderen Grußes (Ujambo/Sijambo). Sagt so eigentlich kein Mensch, aber man hat wohl mitbekommen, dass es bei Touristen gut ankommt und selbst für Sprach-Linkshänder einfach genug ist. Der Rest der Unterhaltung erfolgt dann auf englisch, ist meistens ein Verkaufsgespräch und wird lediglich in sehr kurzen Abständen mit den Klischee-Ausdrücken "Pole pole" (langsam/ruhig) oder mit "Hakuna matata" (Kein Problem) gewürzt. Für mich fühlt es sich an, als ob man wie ein Kind behandelt wird.

Apropos Kind... Die Kinder im Westen sind wesentlich weniger am Weiße gewöhnt als auf Sansibar. Einmal stürmte eine ganze Schulklasse auf die Straße, als wir mit dem Fahrrad an ihrer Schule vorbeifuhren, um bei uns abzuschlagen, oft kamen Kinder aus den Häusern gestürmt und riefen ihren Geschwistern oder uns aufgeregt "Wasungu" (Weiße) zu. Manchmal winkten sie auch. Wenn wir aber zufällig nah an ihnen vorbeikamen, verstecken sich manche auch gerne hinter ihrer Mutter. Auf der Fähre fing sogar ein Mädchen bei Barbaras Anblick an zu weinen. Auf Sansibar sind die Kinder weit weniger aufgeregt und scheu, wenn sie uns sehen. Trotzdem rufen sie gerne Mambo und winken uns. Ganz selten fragen sie auch mal nach Geld, Süßigkeiten oder Stiften. Das Verhalten haben sie wohl von den Touristen gelernt.

Und zu guterletzt sollte nicht unerwähnt bleiben, dass natürlich die Preise auf der Insel andere sind. Nicht nur sind sie mindestens doppelt so hoch, sie sind sogar in einer anderen Währung angegeben. Tansania hat natürlich eine eigene Währung, den Shilling (Tsh). Der hat aber den Nachteil, dass er in kleinen Portionen daher kommt. Etwa 2100Tsh sind ein Euro. Eine Bootstour zu den Delfinen kann also schnell mal an die hunderttausend Shilling kosten und das klingt nach richtig viel Geld. Daher wird hier vieles, das an Touristen verkauft wird, lieber in Dollar angegeben. Klingt direkt viel netter - und verwirrt vielleicht den ein oder anderen noch mehr, so dass er am Ende drauf zahlt. Leider sind wir aber recht gut im Kopfrechnen. Jedenfalls besser als die meisten Beachboys hier, und so haben wir oft in Dollar angefangen zu verhandeln, und wenn dann nichts mehr ging, auf Shiling weiter gemacht. Das hat sich eigentlich immer gelohnt.

Nach allen diesen Unterschieden und der ausgeprägten Touristeninfrastruktur findet man aber auch auf Sansibar inmitten der schicken Resorts und gediegenen Hotels noch das tanzanianische Leben. So nehmen wir am Rande von Stone Town wie gewohnt die überfüllten Daladalas und kaufen auf dem Markt ein oder es hilft uns ein Jugendlicher, der grade aus der Moschee kommt, den Weg durch die verwinkelten Gassen zum Hotel zu finden. Auch am Strand sieht man in der Mittagszeit vor allem Frauen durch das Watt waten, um dort Kokosnussschalen zu vergraben und später auszubuddeln (aus den Fasern werden Kordeln geflochten), oder um Würmer zum Angeln zu suchen. Und früh morgens sind die Fischer mit ihren Segelbötchen unterwegs. Im Inselinneren lässt dann auch gar nichts mehr an den Touristenluxus erinnern und man kann das lokale Leben erkunden. Aber dieses eine mal haben wir überhaupt keine Lust dazu und faulenzen lieber am weißen Strand unter den sanft geschwungenen Palmen oder baden im (zu) warmen türkisen Meer.

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