Samstag, 18. Oktober 2014

Öffentliche Verkehrsmittel auf afrikanisch

Während ich den ersten Teil dieses Textes schreibe, sitze ich in unserem Erste-Klasse-Abteil des Tazara-Expresses von Dar-Es-Salaam nach Mbeya. Die Zuglinie wurde in den 60ern von chinesischen Ingenieuren und Arbeitern gebaut und wenig später muss auch die letzte Wartung stattgefunden haben. Die Fahrt mit diesem Zug ist ein ganz spezielles Erlebnis und der Begriff Express eher frei interpretiert.

Das Erlebnis fängt mit dem Ticketkauf an. Man kann die Tickets nur am Bahnhof selber kaufen, und dieser Bahnhof ist der skurrilste den ich kenne. Das Gebäude ist riesig - neben ihm ist der Frankfurter Hauptbahnhof eher bescheiden. Während aber in Frankfurt zu jedem Zeitpunkt zig Züge abfahren, fahren von den 4 Gleisen des Tazara-Bahnhofes genau zwei Züge - pro Woche. Und der Tag, an dem wir die Tickets kaufen ist kein Zug-Tag, also ist der Bahnhof annähernd verlassen. Aber irgendwie passt diese Leere zum kommunistischen Baustil.

Zwei Tage später kommen wir wieder. Unsere Zug soll um halb elf morgens abfahren, unsere Tickets nennen aber eine Reporting Time vom 8:30. Wir hatten schon beschlossen, dass das übertrieben war und kamen um 10:00 an, nur um zu hören, dass die Abfahrt gegen halb 11 sei - aber abends.

In Afrika werden Verspätungen und nicht funktionierende Dinge meistens stoisch aufgenommen. Man zuckt die Achseln, sagt "This is Africa" und hält es eben aus. Weder Kunden noch Mitarbeiter kommen auf die Idee, dass man durch Sich-Beeilen oder durch Wartung oder Reparaturen etwas daran ändern könnte. Und so fährt der Zug um etwa 15:00 ein und wird dann bis abends in aller Ruhe von 2 (!) Mitarbeitern entladen.

Als wir dann spät abends endlich in den Zug dürfen, passt der Eindruck dazu. Das Abteil ist prima, es ist fast identisch mit dem, das wir in Indien hatten. Nur funktionieren, im Gegensatz zum indischen Zug, die Leselämpchen nicht. Und der Ventilator, und das Rollo. Immerhin gehen die Tür und das Fenster auf und zu - zu mindest wenn man weiß wie und genug Gewalt anwendet. Da es spät ist schlafen wir recht schnell, und schaffen es sogar trotz unglaublicher Sprünge, Schlenker und Ruckler des Zuges, dabei nicht aus den Betten zu fallen.



Man könnte sich natürlich fragen, warum wir das tun. Aber die Bahnfahrt an sich ist es wert. Der Zug fährt maximal 50-60km/h, wir haben das Fenster offen und zwischen Lesen und Dösen lassen wir die Landschaft langsam an uns vorüber ziehen. Direkt morgens mit Sonnenaufgang fahren wir durch einen Nationalpark und auch später sehen wir Felder, Wälder, Berge und manchmal kleine Dörfer. Das alles ist viel entspannter als mit anderen Verkehrsmitteln, und viele Leute draußen bleiben stehen, um dem Zug und vor allem uns Mzungus am Fenster zu winken.


Eine willkommene Abwechslung zum einschläfernden Rattern des Zuges sind die Bahnhöfe und von denen gibt es viele. Etwa alle halbe Stunde bremst die Lok, was bei uns am Ende des Zuges ein paar Sekunden später zu einem heftigen Ruck führt wenn wir auf die vor uns fahrenden Waggons auffahren. Dann halten wir in einem von vielen Dörfern, die meistens nur von der Bahnlinie leben. Es werden Waren ein- und ausgeladen und das ganze Dorf steht am Bahnsteig. Die Frauen des Dorfes laufen am Zug entlang und verkaufen Essen und Getränke. Es gibt getrockneten Fisch, gebratenes Huhn, Tomaten, frittierte Teigbällchen, Cassava und vor allem die beiden Grundnahrungsmittel Tansanias: Bananen und Soda. Insgesamt ist so eine Bahnreise ein sehr entspannter Reisetag, aber trotzdem ein interessanter.



Und das ist mehr als wir sonst über unsere Reiseoptionen sagen können. Denn die Attraktivität des Zuges hat auch so einiges mit den vorhandenen Alternativen zu tun. Das sind nämlich die verschiedenen Formen von Straßentransport, und die leiden natürlich immer unter den schlechten Straßen hier. Man kommt zwar fast immer von A nach B, und das zu manchmal unglaublich niedrigen Preisen (im Bus oft 1€ pro Fahrtstunde), aber es gibt so ein paar Angewohnheiten, die das Reisen unnötig unbequem machen.

Fangen wir mit den Bussen ab. Die großen Reisebusse gibt es nur auf ein paar Hauptstrecken, der Rest wird mit verschiedensten Modellen zwischen 9-Sitzer-PKWs (genannt Dalla-Dalla) und mittelgroßen Bussen (genannt Coaster), die auf etwa 30 Leute ausgelegt sind bedient. Alle diese Fahrzeuge haben zwei Dinge gemeinsam.

Erstens, sie sind nicht ursprünglich nach Afrika verkauft worden, sondern Second-Hand hier gelandet. Nach einem Arbeitsleben in einem reichen Land (und bei manchen wahrscheinlich weiteren Leben in Russland und/oder Indien und/oder irgendwo anders) werden sie dort ausgemustert und nach Afrika gebracht. Besonders viele Busse kommen aus Japan und Hong Kong, die wie Tansania Linksverkehr haben. Man erkennt das meist daran, dass die Außenbeschriftung und Warnhinweise auf japanisch oder auf chinesisch und englisch sind. Umbauten für Afrika gibt es so gut wie keine. Eine Klimaanlage zum Beispiel hatte bisher noch kein Bus, dafür werden manchmal die Lüftungsdüsen entfernt, damit die Löcher als Haltegriffe dienen können.

Haltegriffe sind notwendig, weil zweitens die Fahrzeuge immer - wirklich immer - überladen werden. Ein größerer PKW, in dessen Papieren in Deutschland etwas von 7 Sitzen stände (2-3-2 pro Reihe) fährt hier meistens in 4-4-4-Besetzung. Das sieht vor allem in der ersten Reihe recht lustig aus. 2 Leute auf dem Beifahrersitz, dazu der Fahrer und einer, der da sitzt, wo Handbremse und Gangschaltung sind. Das System funktioniert nur mit Automatik-Schaltung. Die Coaster, die 3 Sitze pro Reihe haben, fahren üblicherweise mit 5 Leuten pro Reihe. Leider hat die Überladung nicht nur den Effekt, dass der Platz proportional enger wird (jeder zweite muss sich nach vorne lehnen, sonst passen keine 5 Schultern nebeneinander), sondern man sitzt natürlich auch immer zwischen zwei Sitzen oder auf einer Kante. Wenn man dann noch mit einrechnet, dass eine Busfahrt für viele Leute hier entweder eine große Reise ist oder der Weg vom/zum Markt, und daher jeder Gepäck dabei hat, dass irgendwo vorne beim Fahrer gestapelt wird, kann man sich vorstellen, dass es etwas eng wird. Ach ja, bei der Zählung der Passagiere pro Sitzplatz werden Kinder unter etwa 8 Jahren natürlich nicht mitgezählt. Die können ja entweder auf dem Schoß oder noch irgendwo dazwischen sitzen. Und am Ende passen auch noch jede Menge Leute ohne Sitzplatz rein.

Ein anderes interessantes Thema sind Abfahrtszeiten. Wenn man fragt, fahren Busse immer "jetzt sofort" ab. In Wirklichkeit kann man sich aber sicher sein, dass der Bus genau dann abfährt, wenn der oben beschriebene Füllstand erreicht ist. Man kann sich also oft aussuchen, ob man in einen Bus steigt, der noch leer ist - dann kann man sich Plätze aussuchen, wartet aber noch 5-60min oder man quetscht sich in ein schon volles Fahrzeug, und fährt fast direkt los. Da ich über 1,90 groß bin und daher in Bussen nicht stehen kann (ja, Stehplätze gibt auch noch, wenn gleich nur 1,75m hoch und oft mit Platz für nur einen Fuß) und mich ungerne als fünfter in eine Reihe quetschen lasse, wählen wir oft die Warteoption. Dadurch kommen wir meist in den besonderen Genuss von dem, was wir den rituellen Abfahrtstanz nennen.

Der Tanz kommt in Schwung, wenn die regulären Sitzplätze voll sind. Wichtigster Akteur dabei ist der Co-Fahrer. Jeder Bus hat einen Co-Fahrer, der unterwegs den Fahrpreis einsammelt, Leuten Plätze zuweist, immer noch ein Eckchen für das Gepäck findet und überhaupt allen zeigt, dass der Bus sein Revier ist, in dem er der King ist. Wenn man noch am Busbahnhof steht, weiß man nicht genau, wer der zuständige Co-Fahrer ist, weil mindestens drei junge Männer mit diesen Aufgaben beschäftigt sind. Etwa alle zwei Minuten werden diese drei Männer ganz aufgeregt, fangen an rum zu brüllen, dass der Bus jetzt los fährt, schlagen 2mal gegen den Bus (das ist bei kurzen Haltestellen das Zeichen an den Fahrer für "Ok, wir können weiter") und springen in den Bus. Das Ergebnis ist, dass der ein oder andere Fahrgast noch hektisch in den Bus springt. Daraufhin entspannen sich die Co-Fahrer wieder, grinsen und machen erstmal noch Pause.

Das System kennen die meisten Fahrgäste natürlich und daher gibt es Stufe zwei des Tanzes. Diese sieht im Prinzip so aus wie Stufe eins, nur dass es zusätzlich noch einen Fahrer gibt, der wild rumhupt und den Bus anfährt. Dieser Fahrer muss nicht notwendigerweise der endgültige Busfahrer sein, denn er muss ja nur ein bis zwei Meter weit fahren bis wieder jemand die Nerven verliert und einsteigt. Danach lässt er den Motor an, steigt aus und macht Pause. Nach unseren empirischen Studien muss Stufe zwei mindestens 3mal aufgeführt werden bevor der Tanz zum Finale - der Abfahrt - kommen kann.

Für den Erfolg von Stufe zwei ist es eigentlich wichtig, dass sie von der Abfahrt schwer zu unterscheiden ist. Das geübte Auge erkennt aber ein paar wichtige Unterschiede. Zuerstmal ist bei der echten Abfahrt der Fahrer deutlich entspannter - klar, die Abfahrt erfolgt ja auch erst, wenn genug Leute eingestiegen sind. Warum also noch Stress machen? Außerdem wird kein sich selbst respektierender Co-Fahrer jemals beim Anfahren schon im Bus sein. Nein, alle drei bis fünf Co-Fahrer sind just in dem Moment in der Nähe der Tür aber eben draußen. Wenn der Bus dann los fährt, geben sie noch mal alles in Sachen brüllen, klopfen, winken und laufen neben dem Bus her. Erst nach mindestens 10m springen dann alle Co-Fahrer in den fahrenden Bus. Mich erinnert die große coole Geste mit der das geschieht immer an Ticket-Einsammler auf Kirmes-Karusselen. Am Ende des Busbahnhofs wird der Bus dann noch einmal etwas langsamer, damit alle bis auf den einen zuständigen Co-Fahrer wieder abspringen können, und die Reise kann los gehen.

Etwas genauer nach Plan läuft es höchstens bei Langstreckenbussen. Die haben zwar auch 5 Plätze, wo man normalerweise vier hat (oder in Südamerika drei), aber immerhin hat jeder einen Sitz und der Bus fährt grob zur offiziellen Abfahrtszeit ab. Bisher hatten wir auch trotz des teilweise abenteuerlichen Zustands von Bussen und Straßen nicht mehr als eine Reifenpanne zu verzeichnen. Dafür aber eine Verzögerung aus einem ganz anderen und unerwarteten Grund.

Unser Bus von Mpanda am Katavi-Nationalpark nach Kigoma am Tanganjikasee fuhr fast pünktlich ab - kam aber nur etwa einen Kilometer weit. Dann bog er auf den Hof des Polizeipräsidiums und blieb stehen. Mehrere Polizisten stiegen ein und erklärten (unsere Nachbarin über setzte für uns), dass sie jemanden suchten, der etwas verbotenes mit habe. Ich dachte natürlich an Drogen, aber es ging um etwas ganz anderes. Die Polizisten identifizierten recht schnell anhand der T-Shirts drei Männer, die sie nach draußen brachten. Nicht ohne allerdings zu sagen, dass sie den im Bus wartenden Neugierigen mitteilen würden, was sie finden würden. Und 10min später kamen sie auch tatsächlich zurück und zeigten ein Sack, in den unten große Stücke Elfenbein eingenäht waren. Später wurden in weiteren Taschen der Männer noch mehrere Stücke gefunden. Insgesamt Stoßzähne von mehreren Metern Länge und nach Polizeiangaben 20 000 € wert. Im Ausland jedoch wesentlich mehr, denken wir.


Da danach alles "afrikanisch schnell" also elend langsam weiter ging, Leute interviewt werden mussten und sich keiner mehr für den Bus verantwortlich fühlte, blieben wir stehen. Da wir in der Reihe genau hinter den Tätern saßen, sollten wir eigentlich auch verhört werden. Auf Grund von  Kommunikationsproblemen nahmen sie davon jedoch Abstand, wie und unsere Sitznachbarin erklärte. Stattdessen wurde nur unser Gepäck durchsucht. Das alles zog sich in der brütenden Hitze über den ganzen Nachmittag hin. Die Tansanianer nahmen es gewohnt stoisch hin. Bis wir dann um 5Uhr fahren durften. Allerdings entschied dann das Busunternehmen, dass es zu gefährlich sei, nachts zu fahren und die neue Abfahrt wurde auf den nächsten Morgen verschoben. In diesem Fall hatte das ganze für uns übrigens noch ein Happy End, weil wir an dem unerwarteten Abend in Mpanda eine nette Lodge fanden und vor allem im Internetcafé Anderson kennen lernten, der uns das beste Restaurant der Stadt zeigte und uns danach zu sich nach Hause einlud und seiner ganzen Familie vorstellte. Ein unverhofft schöner Abend.

Und um die Transportwege halbwegs zu vervollständigen, fehlt noch das Boot (Flugzeuge zählen nicht, die sind überall gleich und langweilig). Und welch besseren Tag gäbe es, als heute darüber zu schreiben. Seit dem Anfang dieses Posts sind nämlich etwa 2 Wochen vergangen und wir haben einen Wassertag hinter uns. Morgens früh um sechs sind wir mit dem See-Taxi auf dem Tanjika-See vom Gombe-Nationalpark (der mit den Schimpansen) zurück nach Kigoma gefahren. Und See-Taxi ist eine sehr beschönigende Beschreibung. See-Taxis sind nämlich große Nussschalen, die bei allen Fischerdörfern am Ufer vorbei fahren, jeweils ein paar Meter vom Strand anhalten und dann bis zur Schmerzgrenze mit Fisch, Menschen und anderen Waren vollgeladen werden. Auf so einem Taxi durften wir also heute morgen mit etwa 100 anderen Passagieren drei Stunden lang in der Sonne schmoren.



Aber das eigentliche Highlight des Tages ist unsere Fahrt, mit dem ältesten Gefährt unserer gesamten Weltreise - der Fähre MV Liemba. Die wurde 1910 in Deutschland gebaut, in Teilen bis nach Kigoma transportiert und 1914 in Betrieb genommen. Seitdem fährt sie den See hoch und runter mit Ausnahme von den Paar Jahren, als sie auf dem Seeboden lag, weil die Deutschen sie lieber versenkt hatten als sie den Engländern zu übergeben. Aber die Fahrt auf dieser Berühmtheit bietet soviel zu erzählen, dass ich jetzt erstmal weiter beobachte und daraus einen eigenen Post mache.

1 Kommentar:

  1. in dem Spielfilm mit Humphrey Bogart und Katerine Hepburn hat die graf Goetze ( Liemba ) die African Queen versenkt.

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