Freitag, 24. Oktober 2014

Wie die Sardinen auf dem Tanganjikasee

Unsere Fahrt auf der über 100 Jahre alten Fähre MV Liemba ist für viele Nostalgiker ein Traum. Wir haben hier Leute getroffen, die vor 4 Jahren schon hier waren und extra wieder bekommen sind um auf dem Schiff zu fahren. Ganz so motiviert waren wir nicht, aber die Abfahrt (die nur alle 2 Wochen ist) passte gut in unseren Plan. Als letztes größeres Abenteuer, bevor uns die Rumpelbusse nach Hause (bzw nach Dar-Es-Salaam und Sansibar) fahren, fuhren wir also den Tanganjikasee von Norden nach Süden herunter. Wenn man sich eine Afrikakarte anguckt, dann ist der See das lange schmale blaue Ding ziemlich in der Mitte. Und weil Afrika groß ist, dauerte die Fahrt auch mehr als zwei Tage.

Unsere Fahrt war erst die zweite überhaupt nach einer monatelangen Generalüberholung durch deutsche Ingenieure. Und die Fähre sie jetzt auch genau so aus. Als wir eine Stunde vor dem Ablegen auf das Boot kamen und unsere Kabine betraten, war alles sehr schön gediegen. Die Kabinen (der ersten Klasse) sind schick renoviert. Fenster öffnen und schließen, der Wasserhahn tropft nicht und es gibt Gardinen und - besonders selten - Mückengitter ohne jegliche Löcher. Gut, die Glühbirnen der Bettlampen sind weg und der kaputte Ventilator einer Kabine wurde kurzerhand durch den einer anderen Kabine ersetzt. Aber immerhin sind wir ja in Afrika und insgesamt machte das Boot einen tollen ersten Eindruck. Um die Kabinen herum lief ein offener Gang, von dem man den Hafen und die Landschaft beobachten konnte, es gab ok aussehende Toiletten und sogar ein Restaurant.
Die Liemba im Hafen von Kigoma

Soweit der erste Eindruck, bei dem man sich schon ein wenig in Kolonialzeiten zurück versetzt fühlen konnte. Danach wurde es afrikanischer.

Um kurz vor 16:00 (der geplantren Abfahrtszeit) fing ein Strom von Leuten an, das untere Deck des Boots zu füllen. Und zwar mit Menschen, Koffern, Betten, Säcken, 2 Bergen Ananas, etwa 50 Bootsmasten, und überhaupt mindestens doppelt so vielen Dingen und Menschen, wie passen konnten. Abfahrt war zu diesem Zeitpunkt auf "ungefähr um 6" verschoben. Für uns war das Beladen des Bootes interessant anzuschauen. Vom erste-Klasse-Deck hatte man eine schöne Übersicht und wir bewunderten, die Träger, die riesige und schwere Lasten auf das Boot trugen. wir bemitleideten, die Leute, die so unglaublich eng gedrängt standen, während wir es mehr als komfortabel hatten. Da wussten wir aber auch noch nicht, dass wir bald mitten drin sein würden.
Da lacht er noch...

Der Korb ist randvoll mit Ananas. Mindestens 50kg


Ich habe den Spruch gehört, in Afrika sei es vor allem wichtig, dass alles so aussieht als ob. Die Realität hinter der Fassade sei weniger wichtig. Eine Kostprobe dieser Theorie bekamen wir schnell geliefert. Im Hafen sorgte der erste Offizier erst dafür, dass das erste-Klasse-Deck frei blieb. Mit großen Gesten, Gebrüll und hochrotem Kopf verscheuchte er erste jeden, der die Treppe hoch kam. Etwas später gab er die Losung aus, dass Frauen mit kleinen Kindern hoch kommen durften, weil es in den Laderäumen zu heiß und eng für sie sei - andere Passagiere aber nicht. Nachdem wir dann aber abgelegt hatten war er nicht mehr zu sehen, und einer nach dem anderen kletterten immer mehr Leute auf unser Deck hoch. Als wir um 10 Uhr schlafen wollten, war kein einziger Quadratzentimeter Boden mehr frei und wir mussten über schlafende, redende, essende, telefonierende und stillende Leute klettern. Insgesamt war das ganze Boot so eng belegt, dass wir einerseits froh waren, eine eigene Kabine zu haben, andererseits aber die gereizte Atmosphäre insgesamt zu spüren bekamen, weil längst nicht für jeden ein Plätzchen zum schlafen auf dem Boden oder auf irgendwelcher Fracht zu finden war.

Das richtige Spektakel startet aber erst bei den ersten Zwischenstationen. Die allermeisten Orte haben keine Anleger, an denen die MV Liemba festmachen kann, deswegen kommen von den Orten her kleinere und größere Holzboote angefahren, die bei uns festmachen, Ladung und Passagiere übergeben und übernehmen und dann wieder an Land fahren. Wer am Main, an der Nordsee order irgendwo sonst auf der Welt schon einmal gesehen hat, sollte dieses Bild am besten direkt vergessen. Das hier ist Afrika, und hier funktioniert anlegen anders.

Wenn sich die Liemba einem Ort nähert, stoppt sie fast einen Kilometer vom Ufer entfernt und hupt. Für die Boote am Ufer ist das das Startsignal und wir sahen wilde Wettrennen auf uns zu kommen. Wenn die Boote bei uns ankamen waren sie immer mit mindestens 6 jungen Männern als Besatzung, dazu Ladung bis an die Kante und oben drauf Passagieren besetzt. Die Besatzung schreit wie wild rum und gestikuliert. Dazu versucht sie, jemandem auf der Liemba ein Seil zu zu werfen. Ich sage "versucht", weil das nie beim ersten mal klappt. Die Seile sind immer sehr kurz gehalten, und dazu ist die Reling der Liemba 2-3 Meter höher und vom schwankenden Bötchen zielt es sich nicht gut. Wenn dann doch mal ein Seil gefangen und fest gemacht wurde kam meistens ein anderes Boot dazwischen gefahren und rammte das erste wieder weg. Jedes der 5-10 Boote will den besten Platz haben. Und weil jedes Boot mehrere Mann Besatzung hat, brüllen jede Menge Männer minutenlang wild durcheinander.
Eines unserer Zuliefererboote

Säcke voll mit Sardinen

Wenn dann alle so halbwegs angelegt haben, gilt:"Nach dem Chaos ist vor dem Chaos". Es ist nämlich so, dass die Bootsfahrer von den Passagieren bzw den Besitzern der Ladung bezahlt werden. Und weil sie die Ladung vom Hinweg ja schon sicher und abkassiert haben, kümmern sie sich vor allem darum, neue Leute und Ladung auf ihr Boot zu bekommen. Das heißt also, dass Boote in mindestens zwei Reihen liegen und gleichzeitig (!) auf- und abladen. Dabei hat unsere Reling nur eine Öffnung von etwa zwei Metern Breite und die kleinen Boote schwanken gut und gerne 1-2 Meter auf und ab. Für etwa 15-30 Minuten gibt es also einen riesigen Aufruhr, mit Brüllen, Rufen, Gedränge, mit getragener und geworfener Ladung - wobei auch kleinere Kinder durchaus mal an einem Arm über die Reling gereicht werden. Frauen schaffen es nicht die hohe Stufe hoch, weil sie gleichzeitig ihren Koffer auf dem Kopf haben und ein Baby auf dem Rück. Von hinten schieben andere nach, während von oben jemand einen Sack Mehl auf das kleine Boot wirft, der auch prompt zerplatzt.

Um das ganze abzurunden, schwebt oben drüber ein Ladekran, mit dem zum Beispiel 1 Meter dicke und drei Meter lange Säcke mit eingepackten Sardinen gehoben werden. Der Kranführer wird jederzeit von mindestens fünf verschiedenen Männern lautstark dirigiert.

Neben Fisch haben wir auch zwei riesige Haufen Ananas geladen, von denen an jedem Hafen etwas verkauft, bis am Ende kaum noch etwas da war. Dazu kommen Stapelweise Möbel, hunderte Kisten Cola, unzählige verdötschte Pakete mit unbekanntem Inhalt, Wellblech, Holzmasten für kleine Segelboote, zahlreiche Matratzen, Bananenstauden und so weiter. Alles komplett ohne erkennbares System verstaut.

Die Liemba ist für viele der Leute ihr einziger Kontakt zur Außenwelt und der einzige Weg ihre Produkte zu kaufen und zu verkaufen. Damit sind sie also sozusagen Profis. Obwohl ich ehrlich gesagt, noch nie so eine Ansammlung von hoch engagierter und improvisierter Unfähigkeit gesehen habe. Ich würde sagen, mit etwas Plan ginge es doppelt so schnell und halb so gefährlich - irgendwie geht da doch mein Berater-Herz mit mir durch.

Beispielsweise brachte es ein Boot fertig, dass in der Zeit in der die Jungs der Besatzung die Kranhaken an den riesigen Fischsäcken befestigte, sowohl die alten Passagiere ausstiegen, als auch von anderen Besatzungsmitgliedern schon wieder neue Passagiere aufgeladen wurden. Zuerst versuchten sie dann alle Passagiere auf die Kanten des Bootes zu bitten - oder eher zu brüllen und zu fuchteln - bevor sie erkannten, dass das nichts wird. Denn die Passagiere brüllten zurück und bewegten sich nicht. Also legte das Boot ab, fuhr ans Ufer und kam zehn Minuten später ohne Passagiere wieder, um die Ladung zu übergeben.

Unsere zwei Tage auf dem wegen der Überfüllung nicht besonders komfortablen Boot gingen also mit Dösen, Lesen und Beobachten vorbei. Besondere Höhepunkte waren dabei zum Beispiel, die zwei male als sich uns Boote mit schick angezogenen Frauen näherten, die sangen und trommelten. Sie kamen jeweils ein Braut abholen, die im Dorf zur Hochzeit erwartet wurde. Aber trotz aller Faszination waren wir doch sehr froh zu wissen, dass unsere Haltestelle in Kasanga (formerly known as Bismarckburg) die einzige mit einer echten Anlegestelle sein würde.

Anfangs unmerklich, dann aber immer deutlicher leerte sich das Schiff mit jedem Dorf ein wenig. Und das war auch gut so. In der unglaublichen Enge anfangs, hatten wir nämlich deutlich das Gefühl, dass auch die Tansanianer ihre Hakuna-Matata-Lockerheit verloren und viele recht gereizt schienen. Kein Wunder, wenn man es nicht mal schafft, einen Platz zum schlafen zu finden. Die Situation wurde auch dadurch nicht verbessert, dass Tansanianer zwar meistens sehr geduldig sind, aber selten rücksichtsvoll. Immer wieder sahen wir zum Beispiel junge Männer, die sich lautstark über Schlafende hinweg unterhielten oder auch auf ihren Handys Musik hörten.

Wir in der ersten Klasse hatten es besser, da wir eine Kabine hatten und zum Beispiel daher auch nicht dauernd auf unser Gepäck aufpassen mussten. Der für alle sichtbare und spürbare Unterschied zwischen unserem und dem Schlafplatz der Dritten Klasse führte zu Spannungen.  Zum ersten mal auf unserer Reise durch Tanzania wurden wir ab und zu feindseelig angeschaut und fühlten uns in mitten der armen Passagiere unwohl. Tagsüber wussten wir teilweise gar nicht wo wir uns aufhalten sollten, weil alle Sitz- und Stehgelegenheiten überfüllt waren, so zogen wir uns öfters auf das eigentlich der Crew vorbehaltene oberste Deck zurück. Um abends in die Kabine und nachts aufs Klo zu können, stiegen wir über die vor unserer Kabine kampierenden und schlafenden Passagiere. Die auf 20 Leute ausgelegten Toiletten und Duschen der ersten Klasse wurden von mindestens 200 Leuten benutzt und waren somit im Dauereinsatz, zusätzlich wurden dort Kleidung und Babys im Waschbecken gewaschen.

Teilweise kamen uns bei der Enge Bilder in den Kopf von Flüchtlingsbooten, die in Süditalien landen. Dieser Gedanke ist übrigens gar nicht so ganz falsch, denn das Schiff wird immer mal wieder auch dazu genutzt, Flüchtlinge über den See in den Kongo oder nach Burundi zurück zu bringen. Ich will gar nicht dran denken, wie viele Leute dann auf dem Schiff sind.

Als wir in Kasanga ankamen war unser Boot fast leer und es war etwa 17:30 Uhr - geplant war 3:00 morgens. Ein letzter Akt von "typisch afrikanisch" kam uns dann noch ganz gelegen. Kasanga ist der letzte Hafen in Tansania, bevor das Schiff nach Sambia weiterfährt. Daher kommt dort ein Beamter der Immigration an Bord, um unterwegs die Formalitäten der Passagiere zu erledigen. Da dieser Herr aber nach 17:00 nicht mehr arbeitet, blieb das Schiff einfach übernacht im Hafen liegen. Wir konnten also noch einmal auf dem jetzt merkwürdig ruhigen Schiff übernachten, bevor wir am nächsten morgen um 5:00 per Bus über eine abenteuerliche und in der Regenzeit nicht passierbare Piste mit dem Bus zurück nach Mbeya und in die Zivilisation fuhren.

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