Freitag, 10. Januar 2014

Barbara-Aka und Thorben-Ana in der Schule

Wenn bisher viele Beiträge über indische Gesellschaft und nur wenige über das Reisen auf diesem Blog standen, dann liegt dass daran, dass Thorben und ich einen Monat an einer durch Spenden finanzierten Schule für unterprivilegierte Kinder in Bangalore (www.parikrmafoundation.org) gearbeitet haben. Diese Zeit war sehr wertvoll für uns und hat uns bereits am Anfang unserer Reise neue Perspektiven eröffnet.

Am meisten hat mich beeindruckt wie sehr sich die Kinder in Parikrma und bei uns zu Hause ähneln. Genau wie in Deutschland sind die Kleinen ganz wissbegierig, können sich aber nicht lange auf etwas konzentrieren, lachen viel und rennen in der Pause rum. Die älteren Schüler finden Hausaufgaben nicht so spannend sondern interessieren sich mehr für ihre Freunde und dafür, was die anderen von ihnen denken. Trotz allen Ähnlichkeiten, die Kinder hier haben ein hartes Leben weil sie aus den ärmsten Familien kommen. Die Eltern sind entweder arbeitlos oder sind Fahrer, Wächter oder Hausmädchen. Die Familien, oft bestehend aus mehr als 6 Personen, leben von weniger als 70 Euro im Monat und wohnen in kleinsten Hütten. Die Schule ist daher für die Kinder eine heile Welt, sie bekommen Essen, Sicherheit und einen geregelten Tagesablauf.

In der Schule haben wir uns von Anfang an wohl gefühlt. Die Kinder haben eine Herzlichkeit und Neugierde, die einen sofort vereinnahmt. Wir haben auch neue Namen bekommen: Die Kinder nennen mich Aka, große Schwester, und Thorben Ana, großer Bruder. Das ist hier zwar relativ üblich, ich finde aber, es ist auch ein guter Ausdruck für den liebevollen, oft familiären Umgang miteinander.

Bei einigen Kindern sind die Eltern nicht in der Lage, ihre Kinder zu versorgen - auf Grund von Armut, Alkoholismus oder anderen. Parikrma hat für diese Kinder eine Wohnung, wo sie schlafen und essen - die sogenannte Hostel. Die Hostel hat 3 Zimmer für 15 Kinder, abends werden Matten als Bett ausgerollt. Maggie, das Mädchen ganz rechts auf dem Foto unten, wohnt in der Hostel. Sie ist sieben Jahre alt sieht aber auf Grund von Mangelernährung aber wesentlich jünger aus. Nach der Schule gehen wir manchmal zur Hostel um mit den Kindern zu spielen oder mit ihnen Hausaufgaben zu machen. Maggie schien immer fröhlich bis ich sie besser kennenlernte. Dann erzählte sie mir, wie sehr sie ihre Mutter vermisse und ihr Lächeln machte einem traurigem Gesicht Platz. Die Kleine hatte schon früh gelernt, dass es fröhliche Kinder einfacher haben und hat ihre Trauer hinter einem Lächeln versteckt.


Die Schule schneidet in den indischen staatlichen Prüfungen regelmäßig besser ab als teure Privatschulen. Diese standardisierten Tests sind wichtig, damit die Leistungen der Schüler nicht durch Vorurteile gegenüber Slum-Kindern entwertet werden. Andererseits sind diese Tests und daher auch der Unterricht in Parikrma sehr auf auswendig lernen und reproduzieren ausgelegt. Sie wissen wie man einen Aufsatz schreibt, jedenfalls theoretisch. Praktisch haben sie es aber noch nie gemacht. Analytisches Denken wird hier nicht gefordert und nicht gefördert. Trotzdem, einigen trauen wir zu an einer deutschen Uni zu bestehen, weil sie Potential haben. Die meisten hätten es aber sehr schwer. Die Ausbildung könnte also mit besserer Organisation und eventuell besser ausgebildeten Lehrern noch effektiver sein. Nichtsdestotrotz, der strukturierte Tagesablauf und das Wissen was die Kinder hier lernen eröffnen ihnen so viel mehr Zukunftsperspektiven als sie ohne diese Schule hätten. Sie lernen für etwas zu arbeiten, zuverlässig zur Schule/Arbeit zu erscheinen und vor allem Selbstwertgefühl.

Die Oberstufenschüler haben das Fach "Life Skills". Thorben und ich durften in einer Stunde mitmachen. In dieser Stunde sollten sie sich aus einer Liste von Werten den für sie wichtigsten Wert heraussuchen. Von den 30 Schülerinnen und Schülern fanden 4 Geld am wichtigsten. Ich glaube in Deutschland hätte das niemand genommen. Hier aber wissen die Kinder, wie es ist kein Geld zu haben und stellen sich vor, dass Geld sämtliche Probleme löst - was in ihrem Fall vielleicht auch stimmt. Zehn antworteten Liebe oder Freundschaft, Werte die 16-Jährige in Deutschland wohl auch gewählt haetten. Freiheit wurde nur einmal gewählt. Dafür wurden verschiedene Werte, die ich unter Leistung zusammenfassen würde (challenge, achievement, working under pressure) mehr als 15 mal gewählt. Ich habe den Eindruck, dass auf den älteren Schülern großer Druck lastet, da ihre Familien jede Menge Hoffnung in sie setzen. Vor allem weil sie ja viel später als andere Kinder in den Slums anfangen zu arbeiten und Geld nach Hause zu bringen. Aber natürlich sind nicht alle Kinder gleich begabt und so haben die Kinder, die nicht recht mitkommen in der Schule grosse Angst den Erwartungen ihrer Familien und sich selber nicht gerecht zu werden.

An unserem ersten Schultag in Parikrma war - nicht überraschend in Indien - nichts für uns vorbereitet und keiner wusste so recht was wir tuen sollten. Da wir schon als Tutor in der Uni gearbeitet haben nutzten wir die "Flexibilität" und schlugen vor, die Oberstufe zu unterrichten. Zu unserem Schreck wurden wir dann alleine und ohne einen Lehrauftrag vor die Klasse gestellt. Zunächst erzählten wir von uns, von Deutschland und von unserer Arbeit. Die Schüler waren sehr interessiert und stellten schlaue Fragen. Besonders beeindruckend fanden sie das Konzept des Arbeitslosengeldes.

Als frisch gebackene Lehrer war unser Unterrichtsplan dann ein argumentatives Essay über ein sozialkritisches Thema schreiben und eine PowerPoint Präsentation halten. Das ganze sollten sie sich in Gruppenarbeit und mithilfe des Internets alleine beibringen. Wir wollten nur ein paar Hilfestellungen geben. Bald merkten wir, dass unsere jeweiligen Lernziele  zu ambitioniert waren. Entweder die Schüler kamen nicht zur Ruhe, die Lehrmaterialien fehlten oder die Schüler kamen einfach nicht mit.

Nach der ersten Neugierde hatten die Jugendlichen dann auch gar keine Lust mit uns zu arbeiten. Sie fanden es sehr komisch, dass wir ihnen nicht genau sagten was sie machen sollten sondern dass sie sich alles selber beibringen sollen. Thorben und ich waren nach dem Unterricht immer total fertig, weil wir nur ermahnen umd motivieren mussten und das Gefühl hatten, dass die Schueler gar nichts lernen.  Ich kann nur sagen: Lehrer sein ist anstrengend!! Wir überlegten deshalb, ob wir nicht doch besser Frontalunterricht machen sollten oder das Unterrichten ganz aufgeben sollten, weil unser Beitrag in der Administration oder bei der Spendenaquise vielleicht doch größer wäre. Die Kinder und wir hielten aber durch.

Insbesondere die Jugendlichen in der Ausbildungsklasse, die von ihren Mitschülern, die zur Uni gehen können, getrennt wurden, weil sie die Klausuren nicht bestanden haben, sind uns ans Herz gewachsen. Uns scheint, dass die Lehrer sie aufgegeben haben. Sie bekommen nur sporadisch Unterricht, bleiben aber in der Schule bis sie 18 Jahre alt sind und einen Job von der Schule vermittelt bekommen.  Jedenfalls trauen sich die Jugendlichen nicht viel zu und versuchen daher teilweise gar nicht erst, irgendetwas Neues zu lernen.

An unseren letzten Tag an der Schule war dann das große Finale, die Schüler hielten ihre Präsentationen. Sogar die Direktorin war da. Sie waren total aufgeregt aber alle machten ihre Sache gut, viele sogar sehr gut. Schwer zu sagen, wer stolzer war: die Schüler selber oder wir. Am Ende haben sich ganz viele herzlich bei uns bedankt. Ich glaube sie haben in der relativ kurzen Zeit wirklich etwas gelernt. Nicht nur zu präsentieren, sondern vor allem sich selbst und ihre Aufgabe ernst zu nehmen und sich etwas zu zu trauen. Wirklich ein tolles Gefühl.

Auch der Abschied von den Kindern im Hostel fiel uns schwer. Maggie war sehr traurig, dass wir nicht mehr wieder kommen und sie wollte uns überreden noch bis zu ihrem Geburtstag Ende Januar zu bleiben. Wir verbrachten den letzten Abend mit Hausaufgaben und damit Walzer und Jive zu lehren und Bollywood dance zu lernen.

Jetzt freuen wir uns auf die große weite Welt und darüber unseren Horizont schon ein großes Stück erweitert zu haben.

4 Kommentare:

  1. Liebe Barbara, lieber Thorben!
    Vielen Dank für die wertvollen Beiträge! Ihr habt nicht nur Euren Horizont erweitert, sondern auch meinen! Herzlichen Dank dafür!

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    1. Vielen Dank, das freut uns und motiviert weiter zu schreiben.

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  2. Liebe Barbara, lieber Thorben!
    Ich war sehr ergriffen über euren Beitrag. Ich wünsche euch noch viele positive Eindrücke und eine schöne glückliche Zeit. Freue mich immer über eure Berichte und lese sie voller Spannung, dann bin euch ganz nah. Herzliche Grüße aus der Heimat :)

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    1. Danke. Die Zeit dort war auch wirklich wahnsinnig interessant und bewegend. Parikrma ist immer an Freiwilligen interessiert - am liebsten ab 2 Monate, aber sonst auch kürzer.

      Wir würden uns übrigens auch freuen, wenn wir wüssten, wer solche netten Kommentare schreibt...

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