Dienstag, 10. Dezember 2013

Arrangiert, verlobt, verheiratet

Gestern habe ich eine Werbung für ein Smartphone gesehen, die nur in Indien ausgestrahlt werden kann und einiges über das Land verrät: Ein Mann und eine Frau Mitte Zwanzig sitzen sich gegenüber. Er erzählt ihr, wie erfolgreich er ist. Wie in einem Jobinterview. Die Frau ist offensichtlich nicht interessiert. Sie tippt auf ihrem Smartphone rum, zeigt dem Mann ihre Astrologie-App und sagt: "Our stars do not match". Das zeigt zwei Dinge die ich besonders interessant an Indien finde: das Konzept der arrangierten Hochzeit  und der Glaube an Astrologie.

Ich dachte, dass arrangierte Hochzeiten etwas ist, was es in Indien längst nicht mehr gibt und falls doch, dann eher in abgelegenen, weniger modernen Gegenden. Wir leben hier bei einer Familie der gehobenen Mittelklasse. Sie sind gebildet, haben ihren Sohn und ihre Tochter zu guten Privatschulen geschickt und sehen die indische Gesellschaft durchaus mit kritischen Augen. Sie sind eine moderne Familie, die gleichzeitig tief mit ihren Traditionen verwurzelt ist. Ihre Ehe und die ihrer Kinder wurden arrangiert.

Ich empfand die Idee einer arrangierten Hochzeit als zu tiefst verabscheuenswürdig. Ich stellte mir darunter vor, dass junge Mädchen gegen ihren Willen mit älteren Männern verheiratet werden und ihrem Mann und dessen Familie dann schutzlos ausgeliefert sind, da die Braut nach der Hochzeit zu ihren Schwiegereltern zieht. Ich kann mir auch durchaus vorstellen, dass eine arrangierte Hochzeit auch heute noch in Indien so aussehen kann. In den modernen Familien sieht sie hingegen eher aus wie ein gut geplantes Projekt, in dem die Eltern das Wohl des Kindes im Blick haben.

Jungen und Mädchen dürfen im heutigen Indien zusammen zur Schule gehen  und sogar befreundet sein. Eine Romanze wird jedoch nicht akzeptiert, erklärten mir die Schüler von der Schule an der wir arbeiten. Ich kann mir vorstellen, dass ein Mädchen, das eine Romanze hat, einen schlechten Ruf bekommt und nicht mehr verheiratet werden kann. Unsere Gastmutter erklärt uns, dass die junge Generation verwirrt sei. Einerseits ist das Konzept einer Love  Marriage, wie die Schüler sie nannten, bekannt. Andererseits wüssten die jungen Leute auf Grund mangelnder Erfahrung gar nicht wie man "zusammen kommt". Wenn die Kinder also selber keinen geeigneten Partner finden, überlassen sie die Suche nach dem oder der Richtigen ihren Eltern, bzw ihren Müttern. Mir hat bisher keiner erklärt, was passiert wenn man zwar einen Partner findet, aber aus Sicht der Eltern keinen geeigneten Partner. Ich denke, dass die ein schwerwiegendes Problem in der Familie wäre, welches sogar dazu führen könnte, dass die Eltern nicht mehr mit ihren Kindern sprechen. Meist kommt es aber gar nicht erst soweit, weil die Kinder die Konsequenz fürchten.

Wie finden die Eltern also den perfekten Match? Früher gabe es Kataloge in denen sie ihre Kinder anpriesen und sich den Partner der Kinder aussuchten. Heutzutage gibt es dafür eine Webseite. Und so nutzen viele Mütter das Internet hauptsächlich dafür um den Ehepartner ihrer Kinder zu finden. Die Hauptkriterien dabei sind natürlich der soziale Status (immer noch meist durch die Kaste approximiert), die finanziellen Verhältnisse um den bisherigen Lebensstandard zu sichern, aber eben auch das Horoskop, wie in der Smartphone-Werbung.

Die Vorstellung, dass meine Mutter vor dem Computer sitzt und sich das Profil junger Männer anschaut um sie mit mir zu verkuppeln, finde ich höchst amüsant. Die Kinder dürfen dabei gewisse Kriterien einbringen, jedenfalls in modernen Familien. So wünschte sich die Tochter unserer Gastmutter einen Mann der groß ist, Hunde mag und in Bangalore lebt. Mit dieser Einkaufsliste, und natürlich den eigenen Vorstellungen setzte sich unsere Gastmutter an den Computer. Als sie dann einen geeigneten Kandidaten gefunden hatten, ganz traditionell über das Hörensagen von gemeinsamen Bekannten, durfte sich die Tochter mit ihm treffen um herauszufinden ob sie den Rest ihres Lebens mit ihm verbringen möchte. Dieses erste Treffen ist genau das was in der Smartphonewerbung zu sehen ist. Bei diesem Treffen fragte sie ab ob der Kandidat möchte das seine Zukünftige zu Hause bleibt oder arbeitet ect. Nach verschiedenen Absagen war schließlich der Richtige dabei. Der Auserwählte steht ihr einen eigenen Kopf zu und  schien und auch sonst nett. Normalerweise müsste sie  nun auch die Eltern und die Schwestern empfangen, damit sich diese die Braut anschauen um dann gemeinsam mit dem Kandidaten zu bestimmen ob er der Hochzeit zustimmt. Vor dem Hintergrund, dass die Braut bei der Familie des Bräutigams leben würde, ist das durchaus verständlich. Da das Paar modern ist und zunächst alleine leben wird, war dies jedoch nicht nötig. Das Ehepaar lebt jetzt, glücklich und zufrieden, in Mumbai. Ende gut, alles gut.

Das aus der arrangierten Partnerschaft eine Liebe fürs Leben wird ist wohl ehr die Ausnahme. Ich habe jetzt schon mit zwei Frauen gesprochen, die mir sagten, dass weder sie noch ihre Männer schlechte Personen seien, dass sie aber dennoch gerne Dinge getrennt machen, da sie sehr unterschiedlich sind. Und sie finden das ganz gut so. Insgesamt sehen die Inder eine Ehe weniger romantisch und eher zweckmäßig. Wenn die Zukünftigen von einem ähnlichen Hintergrund stammen, werden sie schon zu einander finden. Natürlich, man wird sich anpassen müssen, aber das ist bei uns nicht anders. Denn selbst wenn man aus Liebe heiratet, so verändert man sich doch über die Jahre und nur wenn man aufeinander zu geht und sich anpasst, kann die Ehe glücklich werden/bleiben.  Auch die Suche nach dem passenden Partner ist bei uns nicht so verschieden wie man zunächst denken könnte. Wir suchen uns einen Partner den wir meist über Bekannte kennenlernen oder den Job. Dadurch wird eigentlich auch ein ähnlicher Hintergrund garantiert. Wenn es so  nicht klappt, nutzen mittlerweile auch bei uns Viele das Internet um jemanden kennenzulernen. Die arrangierte Hochzeit des modernen Indien ist also keine Versklavung der Frau, sondern eher eine  Art speed dating unter Aufsicht der Eltern. In der arrangierten Ehe geht es nicht um die Liebe des Lebens, sondern um eine stabile Partnerschaft. Irgendwie eine ganz interessante Idee.

Barbara

5 Kommentare:

  1. Da kam neulich auch im dt. Fernsehen, wie verklemmt die Inder beim Thema Sex heutzutage sind und wie freizügig sie früher einmal waren (vor der englischen Kolonialisierung, was man an sehr freizügigen Darstellungen an bestimmten Tempeln noch heute sehen könnte). Hängt alles mit der Macht der Eltern über die Kinder zusammen: Da gibt es offiziell keine Männer-Frauen-Geschichten vor der Ehe. Streng katholisch sozusagen, man trifft sich maximal zum Händchenhalten im Park :-) MO

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  2. Ja. Händchenhalten ist schon fast ein Skandal.
    Man muss das aber nicht nur negativ sehen. Die Familie ist hier die absolut wichtigste soziale Einheit und das soziale Netz. Da sind Beziehungen einfach keine Privatsache - immerhin ist das ja die Altersvorsorge ser Eltern.

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  3. wie wichtig sehen sie denn die soziale einheit in ihrer familie?

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    1. Die ist auch wichtig. Allerdings ist bei uns die entscheidende Einheit eher die "Kern"Familie, also Vater/Mutter/Kinder - meist leben auch nur diese zusammen. Alles baut also auf der Paarbeziehung auf, die daher als genau so wichtig gesehen wird, wie die Bande zur größeren Familie.

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