Sonntag, 28. September 2014

Ein lohnenswerter Dorfbesuch im Schatten des Kilimanjaros

Nachdem wir beschlossen hatten keine Freiwilligenarbeit zu leisten, brauchten wir einen Plan B. Arusha, im Norden von Tanzania, ist bekannt für seine Safaris in der Serengeti und dem Ngorogoro Krater. Solche Safaris kosten hier mindestens 120 US$ am Tag pro Person und das auch nur wenn man  die super Sparversion nimmt. Die im Lonely Planet aufgelisteten Preise für eine Unterkunft im Serengeti-Nationalpark kosten bis zu 1700 US$ pro Nacht im Doppelzimmer und im Schnitt 500US$. In einem Land in dem das Durchschnittseinkommen bei kaum 100US$ im Monat liegt. Etwas weiter östlich in Moshi, ist die Hauptattraktion der Kilimanjaro. Will man ihn besteigen, muss man pP 1200 - 2000US$ auf den Tisch legen plus den obligatorischen 200US$ "Trinkgeld" für die Träger und Wanderführer.

Gut, dass wir bereits für einen Bruchteil des Gelds Safaris in Südafrika gemacht hatten und den 6088m hohen (und somit fast 200 m höher als der Kilimanjaro) Huayna Potosi in Bolivien bestiegen hatten. Das Problem war nur, dass wir somit bereits zwei der drei Hauptattraktionen von Tanzania auslassen würden. Von Zanzibar, der dritten Hauptattraktion würden wir erst in sieben Wochen nach Hause fliegen. Was sollten wir also mit der verbleibenen Zeit anstellen?

Von Moshis Kilimanjaro fuhren wir ins nur 70km entfernte Dörfchen Usangi, wo wir das Dorfleben sehen und in den Pare-Bergen wandern wollten. Die Fahrt dorthin war eng und holprig. Wir fuhren mit einem etwas größerem Van. In Deutschland hätten hier zwei bis drei Personen in jede Reihe gepasst. In den anderen Ländern die wir bereist haben vier Personen. In Tansania waren es fünf, auf vier Sitzen.

Obwohl das Dorf im Lonely Planet genannt wird, waren wir die einzigen Weißen im ganzen Dorf. Die im Reiseführer aufgeführte Herberge fanden wir aber problemlos und auf einem großen Schild versprach sie "modern rooms and VIP suites" und das im gleichen Gebäude befindliche Restaurant "modern restaurant for fast food". Das ganze sah auf den ersten Blick vielversprechend aus. Auf dem zweiten Blick jedoch eher skurril. Im Restaurant saßen vier Leute, jeder an einem eigenen Tisch, im Halbdunkeln und mit einem Bier in der Hand. Währenddessen versuchte jemand, den Fernseher zu reparieren, der ein dumpfes aber ohrenbetäubendes Dröhnen von sich gab. Als wir eintraten um nach einem Zimmer zu fragen, starrten uns alle an und selbst der Rezeptionist war sichtlich erstaunt uns zu sehen. Wie wir später im Gästebuch sahen, waren wir seit einer Woche die ersten Ausländer. Außer uns schlief niemand im Hotel, aber der Fernseher dröhnte auch ein paar Stunden später immer noch.

Im Reiseführer stand, dass man an der örtlichen Schule nach einem Führer für Wanderungen in die Umgebung fragen sollte. Wir machten uns also auf den Weg. Dabei schauten uns alle Passanten interessiert an und winkten oder grüßten. Einige wirkten auch erst zu schüchtern aber kurz bevor sie an uns vorbei waren sagten sie noch schnell "Good evening". Wir freuten uns jedesmal und erwiderten den Gruß auf Suaheli. Wie zuvor auf der Busfahrt, sahen wir Frauen ihre Ware auf dem Kopf und ihre Kinder auf dem Rücken tragen. Wir sahen auch eine kleine Keramikbrennerei, die hauptsächlich von Kindern aber auch ein paar Frauen betrieben wurde. Vereinzelnt saßen ein Mann oder eine Frau mit ihrer zu Fuß angetriebenen Nähmaschine vor ihrer Hütte. Eine Gruppe von Teenager-Mädchen kam uns mit ihren Hacken zum beackern der Felder entgegen und kicherten laut als Thorben den Gruss eines Mädchen erwiderte. Wir hatten deutlich das Gefühl, dass wir hier einen Ort gefunden hatten, der mit Tourismus noch nicht viel Berührung gehabt hatte.

Am Straßenrand wurde auch Obst und Gemüse angeboten: Tomaten, Gurken, Bananen, Paprika und Mais. Hier sahen wir auch zum ersten mal viel mehr Frauen mit Schleiern und Männer mit muslimischen Gebetskappen als bisher. Insgesamt sah das Dorf, dessen Hauptstrasse noch nicht einmal geteert war, zwar hinterweltlich, aber nicht arm aus. Es gab erstaunlich wenig Müll auf der Straße. Im Gegenteil, wie wir am nächsten Tag feststellten, wird die Straße sogar jeden Tag gefegt. Die Gebäude waren größtenteils aus Steinen mit ein paar Lehmhütten dazwischen. Was vor allem einen guten Eindruck erweckte war die geschäftige Atmosphäre im Dorf. Überall wurde etwas verkauft oder produziert. 

An der Schule angekommen, fragten wir nach dem Direktor. Als dieser irgendwann schick angezogen vor uns stand und mich nur fragend anschaute, als ich ihm erklärte, dass wir gerne wandern möchten, erkannten wir wie seltsam unsere Aussage für ihn klingen musste. Nur weil der Direktor dieser Schule vor fünf Jahren einem LP-Autor einen Guide vermittelt hatte, hieß das noch lange nicht, dass es diesen Direktor noch gab, oder dass er diesen Service für jeden machen würde. Nach einer kurzen Denkpause und mit der Hilfe seiner Assistentin, erhellte sich aber das Gesicht des Direktors und bald darauf stand Herrmann vor uns. Herrmann ist der BWL-Lehrer der Schule, aber weil er jeden Tag 30min zur Schule läuft und Englisch spricht, wurde er zu unserem Wanderführer auserkoren. Kurz hatten wir ein schlechtes Gewissen, weil das wohl bedeuten würde, dass für die Schüler am nächsten Tag der BWL Unterricht ausfallen würde. Aber Herrmann versicherte uns, dass grade Ferien seien und wir verabredeten uns für den nächsten Tag.

Auf dem Rückweg wurden wir noch von einem Mann, der mit uns im selben Van aus Moshi gekommen war, abgefangen und in sein Haus gebeten. Dort saßen wir mit ihm und seinem 16-jährigen Sohn, der uns eine Cola kaufte und ab und zu für seinen Vater Daniel übersetzte. Daniel hatte sich schon ziemlich einen hinter die Binsen gekippt, was ihn sehr redselig aber leider nicht sehr verständlich machte. Er zeigte uns Bilder aus seiner Jugendzeit und ein Bild seiner Mutter. Seine Mutter sah auf dem Bild aus wie eine übelst gelaunte, dicke Mutti. Ich musste scharf nachdenken um etwas positives zu sagen: "Your mother looks like a strong woman". Stolz nickte er.
Danach erzählte uns Daniel noch von den Deutschen und den Engländern, die irgendwann hier waren. Irgenwann schien er uns erklären zu wollen, dass der Holocaust eine gute Sache gewesen wäre, was uns dann ziemlich unangenehm war. Da uns eine Diskussion nicht sehr zielführend erschien, brachten wir ihm dann umständlich bei, dass wir nun gehen müssten.

Bevor wir aber ins Bett gingen, mussten wir noch etwas zu Essen auftreiben. Unser Restaurant hatte auf Grund von zu wenig Nachfrage kein Essen. Aber auch sonst gab es im Dorf, trotz aufwendiger Suche, kein Restaurant und keinen Imbiss. Schließlich kauften wir von einem freundlichen Kioskbesitzer ein Getränk, was wir stilecht vor dem Kiosk tranken. Wir kauften ihm noch etwas Brot ab und aßen es mit der aus Arusha mitgebrachten Marmelade auf unserem Zimmer.

Am nächsten Tag standen wir, typisch Deutsch, mit unserer besten Outdoor-Ausrüstung vor der Schule. Herrmann kam pünktlich und im selben Outfit wie am Vortag: mit Stoffhose, Hemd, Blazer und billigen Lederschuhen. Wir marschierten durchs Dorf und Herrmann wurde fast so oft begrüßt wie wir. Selbst der Pfarrer hielt an um mit ihm einen Plausch zu halten. Wir folgten einem Trampelpfad, der von Dorfbewohnern genutzt wird um Feuerholz zu holen und um zum Markt des Nachbarorts zu gelangen. Ich war überrascht, wie grün es in den Pare-Bergen ist. Überall wurden Bananenbäume kultiviert, auch sonst wurde jede Menge angebaut und oben auf den Berggipfeln gab es einen richtigen Wald, oder das was nach jahrelanger Feuerholzsuche übrig geblieben ist. So hatte ich mir Afrika auf keinen Fall vorgestellt.

Herrmann konnte uns zwar nicht viel über irgendwelche Pflanzen und Tiere erzählen, dafür natürlich um so mehr über das Schulsystem. Wie bereits beschrieben, sind die Grundschulen auf Kisuaheli und die weiterführenden Schulen auf Englisch. Was wir ziemlich unnütz finden, da Herrmann zum Beispiel zwar relativ gut Englisch sprach, aber keineswegs wirklich fließend. Ich kann mir nur zu gut vorstellen, wieviel ein Kind, was kaum Englisch spricht von ihm auf Englisch über BWL lernt: nix. Die Intention ist  natürlich gut, dass die Kinder Englisch lernen sollen, aber ich glaube das geht auf die Kosten des Inhalts sämtlicher anderen Fächer. Und Herrmanns Schule ist noch nicht mal die günstige öffentliche Schule, bei der die Lehrer wahrscheinlich noch schlechter englisch sprechen, sondern eine private Schule. Für die öffentliche Schule müssen die Eltern etwa 100$ im Jahr zahlen, für die private schon 1000$ - fast soviel wie das durchschnittliche pro Kopf Einkommen.

Nachdem Herrmann etwas Vertrauen zu uns gefasst hatte und erfahren hatte, dass wir beide Christen sind, erzählte er uns auch, dass das Zusammenleben zwischen den Christen und den Muslimen zwar friedlich aber nicht ohne Spannungen sei. Er persönlich fand es nicht so gut, dass die Muslime mehrere Frauen haben können und zudem viel zu viele Kinder. Auch die Tatsache, dass es im ganzen Dorf keine Schweine gab, nur weil die Muslime diese nicht mögen, missfiel ihm. Er hatte insgesamt das Gefühl, dass das öffentliche Leben zu viel von den Muslimen dominiert würde. Er erklärte uns, dass die Eltern einer Frau von den Eltern des Manns eine Mitgift erhalten, wenn diese sich vermählen. Dieser Brauch gefiel ihm ganz und gar nicht. Es sei als verkaufe man seine Tochter. Und diese könnte dann nicht mehr zurück nach Hause kommen, wenn sie von ihrem Mann nicht gut behandelt würde.

Generell fand er, dass auch zu viele junge Männer nur rumhängen würden und stehlen würden statt zu arbeiten. Obwohl dies etwas abgenommen habe seitdem es die Motorräder gibt. Die jungen Männer würden jetzt oft als Motorboys arbeiten. Wenn jemand etwas Geld übrig hat, kauft er sich ein Motorrad und heuert einen Motorboy an. Dieser muss dann jeden Abend einen Teil des eingenommenen Geldes abgeben. Manchmal erinnerten mich seine Ansichten verdächtig an deutsche Stammtische, aber sie waren auch sehr interessant.

Als wir wieder im Dorf ankamen, war grade Markt und wir guckten uns mit Herrmann dort um. Es gab Obst, Gemüse, Stoffe, getrocknete Fische, fritierte Bananen oder Teigtaschen, ganz billige Flipflops, 2nd-Hand Schuhe und Klamotten. Das ganze wurde meist von Frauen feilgeboten und eingekauft. Da hier alle Frauen Röcke tragen, wollte ich mir einen Rock kaufen um nicht unsittlich zu wirken. Weit und breit gab es aber keine Röcke. Das einzige was ich fand, waren die typischen Sackkleider die vornehmlich von kräftigen afrikanischen Mamas getragen werden. Herrmann fragte für mich überall und kam zu dem Schluss, dass ich mir den Rock wohl nähen lassen musste. Er stellte mich seiner Schneiderin vor, die mir einen Stoff und einen Schnitt vorschlug, die mir gut gefielen. Ich fragte Sie, ob Thorben ein Foto von uns machen dürfe und sie nickte schüchtern. Am Ende fragte sie Herrmann, ob ich ihm das Foto emailen könnte. Als wir von ihrem Stand weggingen, kamen auch direkt ein halbes Dutzend Frauen um neugierig mit ihr zu quatschen, wahrscheinlich über uns. Wir kauften noch ein paar frittierte Bananen von einer Mama mit mobiler Kochstelle.

"Mama" ist übrigens der gängige Name für alle Frauen mittleren Alters. Falls sie einen Sohn haben, werden sie nach ihm genannt, sonst nach der ältesten Tochter, z.B. würde Thorbens Mutter "Mama Thorben" und meine "Mama Angela" heißen. Falls man die Frau nicht näher kenn sagt man einfach nur: "Gib mir zwei Bananen, Mama!". Das ist sehr respektvoll gemeint. (Zu mir haben auch schon ein paar mal Leute Mama gesagt und einen bösen Blick dafür kassiert. Jüngere Frauen werden Schwerster genannt.) Herrmann drückte einem Kind auch noch ein paar Münzen in die Hand, was dann loslief um uns Getränke zu kaufen. Er kam, was in Deutschland wohl kaum denkbar ist, mit den Getränken und dem Wechselgeld wieder. Etwas, was in Afrika normal ist, wie wir schon öfters mitbekommen haben. Kinder werden von allen Erwachsenen des Dorfs mit kleinen Botendiensten beauftragt, unentgeldlich natürlich.

Bevor wir uns von Herrmann verabschiedeten, fragten wir ihn noch nach einem Restaurant für das Abendessen. Er runzelte die Stirn, und brachte uns in ein kleines Häuschen in dem mehrere Bänke und Tische aufgestellt waren. Dort wechselte er einige Worte mit der Mama des Hauses. Die guckte wenig glücklich, und sagte ab und zu etwas. Auf unsere Nachfrage, erklärte Herrmann, dass die Mama eigentlich nur Mittags kocht und nun überlegt ob sie nur für uns am Abend kochen wolle. Da sie offensichtlich keine Lust hatte, lehnten wir dankend ab, dann eben doch wieder Toastbrot... . Aber Herrmann hatte noch einen Plan B. Etwas weiter vom Markt entfernt, kannte er eine Mama die für die Motorboys kocht. Diese Mama war dann auch recht glücklich über unseren Besuch und wir vereinbarten, dass wir abends zum Essen wieder kommen würden.

Das Essen war kulinarisch, wie bisher immer in Tanzania, nicht sehr ausgereift. Aber es war trotzdem spannend dort zu sein. Die Mama kochte in ihrer Lehmhütte auf der offenen Holzkohlestelle. Die Wände waren mit Zeitungspapier tapeziert und verrußt. Wir waren offensichtlich die Hauptattraktion an diesem Abend, und die Schwester der Mama setzte sich zu uns und versuchte sich mit uns auf Kisuaheli zu unterhalten. Als das nicht so gut klappte, versuchte sie uns ein paar Wörter beizubringen, was ganz lustig war. Wir aßen Ugali, was es hier fast immer gibt. Ugali besteht aus Mais, sieht so ähnlich aus wie Kartoffelbrei, ist aber viel fester und hat überhaupt keinen Geschmack, macht aber für wenig Geld sehr satt. Es dient dazu die Soße aufzusaugen. Dazu gab es Spinat und getrockneten und in Tomatensoße gekochten Fisch. Der ganze Fisch war ganz schön schwer zu essen mit dem Löffel den wir bekommen hatten. Die Tanzanianer essen eigentlich, zumindest hier in der Gegend, mit den Händen. Was wir dann auch taten, weil wir sonst den Fisch nicht hätten von den Gräten trennen koennen.

Am Abend fiel ich erschöpft ins Bett, obwohl es erst 21 Uhr war. So viele neue Eindrücke und soviel Aufmerksamkeit von allen Seiten machen müde. Auch wenn wir die spektakulärsten Highlights von Tansania bisher ausgelassen haben, hatte ich den Eindruck einen sehr interessanten Teil Tansanias kennengelernt zu haben. Und das ganz ohne ein Vermögen auszugeben. Denn wenn man nicht in einen Nationalpark geht oder auf den Kilimanjaro möchte, dann ist Tanzania recht günstig. Die 70km Fahrt nach Usangi kostet zum Beispiel 2 Euro pro Person (dafür dauert es dann aber auch 6h), eine frittierte Banane kostet 7 Cent, unser Abendessen hat 1,50 Euro gekostet, mein maßgeschneiderter und todschicker Rock kostete 7,50 Euro inkl. gutem Trinkgeld und Herrmann hat 30 Euro von uns beiden bekommen.

Die Pare-Berge sind auf jeden Fall einen Besuch wert!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen