Dienstag, 23. September 2014

Das Geschäft mit dem guten Gewissen

Es ist schwierig ein Land im Vorbeifahren oder während einer geführten Tour kennenzulernen. Daher wollten wir wie in Indien eine Zeit für ein soziales Projekt arbeiten. In Arusha, Tanzania, hatte Kirsten Barbara eine Hostel empfohlen die Freiwillige und Projekte zusammenbringt.

Schon bevor es los ging, auf dem Weg vom Flughafen zur Hostel, fielen uns die vielen Schilder für Waisenhäuser, Schulen und andere von Ausländern gesponserten sozialen Einrichtungen auf. Auch die meisten Autos dort waren, wenn es keine Safarijeeps waren, von  Hilfsorganisationen. Die T-Shirts, die von vielen Männern getragen wurden, waren offensichtlich aus der Altkleidersammlung: Aus Deutschland sahen wir zum Beispiel T-Shirts mit Aufdrucken wie "Volksbank Kurpfalz" oder "Deutschland bewegt sich". Aus den USA waren unsere Highlights ein T-Shirt von einem High-School-Cheerleaderteam und von einem Familientreffen von 2012. Auf den ersten Blick erschien uns das etwas sehr viel, man hört und liest ja dass zu viel Hilfe oft irgendwann nur noch Korruption und Nehmermentalität fördert. Ein Eindruck, der sich bald verfestigen sollte.

Unser ungutes Gefühl wurde noch verstärkt als wir uns am Wochenende mit anderen Gästen in der Hostel unterhielten, die teilweise auch als Freiwillige gearbeitet hatten. Wir hörten von einer Schule, in der der Unterricht  ausschließlich von ausländischen Freiwilligen, meist ohne entsprechende Ausbildung und nur für relativ kurze Zeit vor Ort, bestritten wurde. Auch bat oder besser gesagt drängte der Schuldirektor die Freiwilligen am Ende ihres Aufenthalts, etwas zu kaufen oder zu spenden. Die Sachspenden verschwanden danach jedoch regelmäßig und die Vermutung lag nahe wo man sie finden könnte. Auch die Erfahrungen von anderen gingen in die Richtung. Viele Organisationen schienen wenig durchdachte Konzepte zu haben, stattdessen aber genaue Vorstellungen, wieviel materiellen Beitrag Freiwillige liefern sollten.

Wir nahmen uns also vor, uns die Hilfsorganisationen genau anzuschauen, und falls nichts sinnvolles dabei wäre, nicht zu volunteeren. Unser Touristenvisum haben wir daher am Ankunftstag auch noch nicht in ein Volunteer-Visum umgewandelt.

Als erstes gingen wir zum Pippi-Haus (ich glaube Pippi heißt hier etwas anderes als bei uns...). Es ist ein Haus, in dem Mädchen und junge Frauen wohnen, die vorher obdachlos waren. Viele haben Erfahrungen mit Vergewaltigung und Prostitution, einige leben mit ihren kleinen Kindern dort. Der Gründer, Aristide, wohnt auch im Haus und erklärte uns, dass er dieses Projekt gestartet hat, als er in einer anderen Hilfsorganisation arbeitete. Damals sei ihm aufgefallen, dass es meist nur Hilfe für Jungen aber nicht für Mädchen gab. Er gab seinen Job auf und nahm mehr und mehr Mädchen bei sich und seiner Frau zu Hause auf, bis aus der Idee selber eine richtige Hilfsorganisation geworden war. Wir waren überzeugt von der Integrität des Besitzers und bewunderten seine Hingabe. Die Frauen und Mädchen mit ihren schweren Schicksalen erfahren nun Sicherheit und Geborgenheit und erhalten dank der vom Pippi-Haus bezahlten Schule eine zweite Chance. Das Projekt gefiel uns sehr. Vielleicht waren wir etwas voreilig gewesen, als wir der Hilfsindustrie so skeptisch gegenüber gestanden hatten.

In den nächsten eineinhalb Tagen schwankten wir noch ein wenig, ob wir voluntieren wollten. Einerseits konnten wir uns durchaus vorstellen, im Pippi-Haus zu helfen, andererseits fragten wir uns, ob unsere Hilfe dort wirklich gebraucht wurde. Denn laut dem was wir von anderen hörten, ist die Freiwilligenarbeit hier für die meisten Organisationen eher so etwas wie PR. Die Mzungu (suaheli für Weiße) kommen, entwickeln eine Beziehung zu den Leuten und spenden deshalb dann umso lieber. Wenn also die Arbeit selber eher eine Selbstfindung für uns Europäer ist, dann ist es natürlich auch folgerichtig, dass wir dafür zahlen sollen. Viele Freiwillige hier werden über Organisationen verschickt, die mehrere tausend Euro für die Vermittlung verlangen und die Hilfsorganisationen hier vor Ort verlangen oft, dass man zum Antritt auch 100-500$ und einen Koffer voll Sachspenden mitbringt. Auch der Staat will etwas vom "Geschäft mit den Freiwilligen" oder vielleicht doch eher vom "Volunteering-Tourismus" abhaben: das Visum für Freiwillige kostet 200$.
Da uns unsere Zeit zu wertvoll ist, und wir auch nicht dafür zahlen wollten um zu arbeiten, sank unser Interesse. Was uns allerdings den Rest gab, waren die Ratten in unserem Hostel. Sie flitzten nach Einbruch der Dunkelheit zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her, was und ziemlich anekelte.

Wir hatten unsere Entscheidung also bereits getroffen, wollten uns aber trotzdem noch die anderen Projekte anschauen, weil wir in jedem Land, das wir bereisen, später etwas spenden wollen. Also begleiteten wir am Montag morgen zwei Neuseeländerinnen, die unter Führung von einem Hostelangestellten ein paar Schulen anschauen wollten, um eventuell dort zu spenden. In der ersten Schule bekamen wir die Klassen gezeigt. Es war eine Vorschule in der die Kinder Englisch lernen sollten, damit sie in der auf Englisch unterrichteten weiterführenden Schule besser mitkämen- die Grundschule ist jedoch auf Suaheli. Irgendwie fanden wir das Konzept nur semi-überzeugend. Die Schulleiterin erklärte uns noch, wie sehr Hilfe gebraucht würde, da im Moment für vier Klassen nur eine Lehrerin da sei. Wir sahen allerdings drei Lehrerinnen, die auf dem Schulhof saßen und mit ihren Handys beschäftigt waren. Als wir die Klassen (alle im Vorschulalter) anschauten kamen sie dazu und zeigten, wie schön die Kinder Englisch gelernt hätten. Das Wissen war aber doch sehr begrenzt, vor allem weil die Lehrerinnen selber kaum Englisch konnten. Wir dachten bei uns etwas überheblich: Wieder einmal kein tragfähiges Konzept, aber die Mzungu können es ja richten.

Nach etwa 20 min verabschiedeten wir uns wieder und gingen. Wir kamen aber nicht weit, weil uns etwa 100m von der Schule entfernt ein Mann mit Anzug anhielt und sich als Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde auswies. Ohne weitere Erklärung wurden wir aufgefordert, wieder zur Schule zurück zu gehen, wo zwei weitere Beamte dazu trafen. Wir wurden im Büro der Direktorin versammelt, wo wir alle vier wie Verbrecher aufgestellt worden. Die Herren Immigrationsbeamten setzten sich dagegen auf drei der vier Stühle. Ich überlegte kurz, ob es die Dynamik der Situation sehr ändern würde, wenn er sich auch setzen würde, entschied mich dann aber doch gegen das Experiment.

Recht unwirsch wurden wir gefragt, was wir an der Schule machten. Wir erklärten, dass wir sie nur besucht hätten. Als nächstes fragten sie, welche Visa wir hätten. Die beiden Neuseeländerinnen sagten, dass sie ein Volunteer-Visum beantragen wollten. Als sie dann auch noch versicherten, dass sie dem Hostelbesitzer schon die 200$ gegeben hatten, damit er das mache, durften sie gehen. Wir waren nun alleine mit den Beamten.

Wir hielten uns an unsere Wahrheit, das wir Touristen seien und somit auch nur ein Touristenvisum hätten, und waren damit schnell als Hauptziel auserkoren. Uns war klar, dass es bei der ganzen Geschichte nur um Geld ging, und daher konnte ich mir das dann folgende Theater relativ gelassen anschauen - Barbara ging es genau so und wir sagten uns, dass wir uns möglichst viel merken wollten, um einen schönen Blogpost daraus zu machen, wenn wir schon zahlen müssten. Und wir bekamen wirklich etwas geboten. In den Hauptrollen gab es den Bad Cop (der,der uns eingesammelt hatte), den Good Cop und den erstmal noch wenig sagenden aber böse guckenden Boss.

Der Bad Cop eröffnete das Verhör und bellte uns an: "Was macht ihr hier?", "Sieht das wie ein Touristenort aus?", "Ist das Tourismus für euch?", "Wisst ihr nicht, dass ihr zum Arbeiten ein anderes Visum braucht?". Während er sich dann kurz aus Suaheli mit dem Boss besprach, erklärte der Good Cop uns, dass es ja nur um die Sicherheit des Landes ging. Wir sollten Verständnis haben. Ist klar, deswegen haben sie zum Beispiel eine andere Deutsche, die dort wirklich arbeitete nicht mal angesprochen. Er meinte auch, hätte er uns in der Serengeti oder am Kilimandjaro getroffen, wäre es ja kein Problem gewesen. Aber eine Schule, sei doch kein Ort für Touristen. 

Nach etwa 20 Minuten sprach dann der Boss. Dieser Ort sei ja nicht touristisch, und daher müsse er davon ausgehen, dass wir gearbeitet hätten. Wir versuchten es noch einmal mit Logik. Wer Montags morgens um halb 11 eine Schule verlässt nachdem er am Wochenende eingereist ist, der hat dort ja ganz offensichtlich nicht gearbeitet. Es half nichts. Wir würden jetzt zur Hostel fahren, damit er in unseren Pass gucken könne. Ein etwas mulmiges Gefühl hatten wir schon, als wir alleine, ohne die Neuseeländerinnen und den Hostelangestellten, 'abgeführt' wurden und los fuhren. Trotzdem hatte die Situation immer wieder auch etwas skuriles, fast lustiges. Und das lag an der Mischung aus übertriebenem Ernst der Beamten einerseits und jeglichem Fehlen von Professionalität andererseits. Das Auto mit dem fuhren zum Beispiel sah mit seinen plüschigen, zart rosa Sitzkissen auch eher wie das Auto eines Zuhälters aus als wie das eines Offiziellen.

Auf dem Weg zur Hostel wurde dann die Preisverhandlung eröffnet, indem auf einer schlechten Schotterstraße der Boss fragte, ob die Straßen in Deutschland auch so schlecht seien. Als ich sagte, ja manche schon, glaubten sie mir natürlich nicht und betonten noch ein paar mal, wie gut es Deutschland wirtschaftlich gehe. Die beste Antwort darauf lieferte Barbara: "Das liegt daran, dass bei uns die Beamten nicht korrupt sind." Als sie mir das auf deutsch sagte, war es nicht einfach ernst zu bleiben. Überhaupt - deutsch reden - sehr praktisch. Wir konnten im Auto alle Details unserer Version der Ereignisse abgleichen, absprechen, wie viel Bargeld wir noch wo hatten und so weiter. Wie unpraktisch wäre es gewesen, wenn wir englische Muttersprachler wären.

Den letzten Akt der Verhandlungen leiteten die Herren ein, indem sie sich unsere Pässe zeigen ließen. Natürlich war da nichts überraschendes drin zu sehen, wir hatten ja schon gesagt, dass wir ein Touristenvisum hatten. Viel wichtiger war aber, dass sie jetzt unsere Pässe hatten und erst heraus geben würden, wenn wir einen Deal gefunden hatten. Sie wiederholten auch nochmal ihre Preisvorstellung. Eigentlich 600$ pro Person Strafe aber weil sie so nett seien und Verständnis für uns hätten müssten wir nur 200$ pro Person zahlen.

Aber einen Pfeil hatten wir auch noch im Köcher. Während ich mir weiterhin die Argumentation anhörte, schaffte Barbara es, sich ein Handy mit Guthaben auszuleihen (gar nicht so einfach) und die deutsche Botschaft anzurufen. Nachdem sie den Sachverhalt erklärt hatte, sprach der Botschaftsmitarbeiter mit dem Bad Cop. Was genau geredet wurde konnten wir nicht verstehen, weil es auf Suaheli war, aber es gefiel dem Bad Cop nicht. Trotzdem war der Rat des Botschaftmitarbeiters an uns, zu zahlen, denn wir könnten unsere Unschuld auch nicht beweisen.

Danach ging es recht schnell. Die Konfrontation mit einer offiziellen Stelle gefiel den Beamten offensichtlich gar nicht. Sie waren sauer, fragten ob das wirklich nötig gewesen sei und wollten jetzt eher schnell weg. Sie fragten, wieviel Bargeld ich mit mir hätte. Nach Übergabe von 120$ bekamen wir unsere Pässe wieder, versprachen, die Stadt am nächsten Tag zu verlassen und die Herren fuhren.

Das Versprechen, die Stadt zu verlassen hat uns gar nicht weh getan. Neben unserem etwas enttäuschenden Bild von der Freiwilligenarbeit und dem größeren Rattenproblem in der Hostel, war mein Gepäck erst 2 Tage nach mir angekommen und zwischendurch hatte sich noch ein Insektenbiss an meinem Fuß so entzündet, dass der Fuß dick wie nach einem Bänderriss war, aber röter, und ich mir im angeblich besten Krankenhaus des Ortes Antibiotika holen musste. Wir reservierten also einen ganz besonderen Platz in unserer Erinnerung an die Weltreise für Arusha und zogen am nächsten Tag weiter.

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