Dienstag, 19. August 2014

Urbane Gewalt?

Wenn ich an Brasilien denke, denke ich an Sonne, Strand, Palmen, Samba und fröhliche Menschen. Aber bereits vor unserer Reise und auch während unserer Reise bekamen wir oft zu hören: "Passt bloß auf in Brasilien, dort ist es gefährlich. Jeder hat eine Waffe und ein Menschenleben ist kaum etwas wert." Nicht nur Freunde sondern auch die Medien zeichneten ein furchteinflößendes Bild von Brasilien.

Jetzt möchte ich dem gerne voll und ganz wiedersprechen, denn das Land hat uns nur seine allerbesten Seite gezeigt. Leute, die selber noch nie in dem Land waren haben meist völlig übertriebene Sorgen und die Medien spitzen ihre Reportagen bekanntlich gerne zu. Aber natürlich haben sie auch nicht unrecht. Das erste Indiz für ein hohes Gewaltpotenzial in Brasilien waren die eigens zum Schutz der WM Fans angerückten Polizisten. Die haben wir zwar auch in deutschen Fußballstadien, aber nicht mit automatischen Gewehren und sogar Panzern. Nein, das war ein ganz anderes Kaliber. Das zweite was uns auffiel war, dass alle die wir kennenlernten in bewachten Hochhäusern oder umzäunten kleinen Wohnblocks mit identischen Einfamilienhäuschen wohnten. Selbst nicht so schicke Häuser waren stets gesichert. In Brasiliens Mittel- und Oberschicht geht die  Angst um.

Perpetua, unsere Gastgeberin in Fortaleza, eine der Städte mit den höchsten Mordraten in Brasilien, war ein besonders extremes Beispiel dafür und wir fanden sie schon übertrieben verängstigt. Sie erzählte uns von zwei mexikanischen Mädels, die bei ihr zu Besuch gewesen waren, denen sie ein Taxi gerufen hatte und die vor dem Haus auf das Taxi gewartet hatten. Punkt. Das ist alles. Thorben und ich warteten vergebens auf die noch kommende Geschichte. Sie fand es einfach unglaublich gefährlich auf dem Bürgersteig auf ein Taxi zu warten. Die beiden hätten innerhalb des umzäunten Geländes warten sollen. Sie hätte gedacht, dass man so was doch wissen müsse, wenn man aus Mexiko Stadt kommt. Thorben und ich waren etwas perplex, waren wir doch zuvor zu Fuß durch die Straßen geschlendert. Ich hatte sogar alleine draußen auf Thorben gewartet während er schnell die Einkaufstüten ins Haus gebracht hatte. Perpetua selbst fährt überall nur mit dem Auto hin und trägt nur Modeschmuck, als Vorsichtsmassnahme. Nachts geht sie gar nicht raus, weil man selbst im Auto nicht sicher sei. So saßen wir an einem Nachmittag mit ihr am Strand, es war rammelvoll. Um 17:00 sagte sie, dass wir jetzt gehen müssten, weil es gleich dunkel werde. Gleichzeitig kam direkt neben uns noch eine Familie mit kleinen Kindern an. Leute machten Selfies mit iPhones oder schliefen im Sand.

Perpetua ist sicher extrem vorsichtig, aber eine gewisse Vorsicht ist den meisten Brasilianern zur zweiten Natur geworden. Nächtliche Kreuzungen an kaum befahrenen Straßen waren allen unseren Bekannten ein Graus. Dort machten sie immer ihr verdunkelten Fenster hoch und suchten routiniert die Straßenränder nach potentiellen Räubern ab. Ein Jeepfahrer, der uns zur Wüste gefahren hatte, berichtete, dass ihm vor nicht ganz so langer Zeit sein teurer Jeep, seine Einkommensquelle, geraubt wurde. Die Räuber standen einfach an einer Kreuzung,  und als er um 11 Uhr mittags dort anhielt, richteten sie die Pistole auf ihn, zwangen ihn zum Aussteigen und fuhren mit dem Auto davon. Wenn einem auch selten direkt das Auto geklaut wird, so erbeuten die Diebe öfters mal eine Handtasche. Entweder durch Bedrohung oder durch das Einschlagen des Beifahrerfensters. Wiederstand sollte man aber nie leisten, rät die Polizei und auch unsere Freunde. Einfach alles hergeben.

Auch meine Freundin Marina fuhr lieber das kurze Stück zwischen unserem Hotel und einem Restaurant mit dem Auto. Die Gegend sei zwar gut, aber nachts sollte man lieber kein Risiko eingehen. Sie uns ihr Bruder haben sogar gepanzerte Wagen. Das war unser letztes Indiz für ein hohes Gewaltpotential. Jetzt wollte ich wissen wie es denn mit der tatsächlichen Gewalt aussieht und fragte Marina ob ihnen denn schon mal etwas zugestoßen sei. Gottseidank nicht. Selbst Perpetua musste bei dieser Frage lange nachdenken bis sie sich schliesslich daran erinnerte, dass sie einmal vor über 10 Jahren mit einer unter dem Puli versteckten Waffe - echt oder auch nicht - bedroht wurde. Der Dieb hätte aber nur Kleingeld erbeutet. Eine Freundin von Perpetua wurde am Stadtstrand einmal bestohlen von einem Mob Kindern, wie man es aus den deutschen Medien kennt. Ohrringe und eine Sonnenbrille hatten sie ihr gestohlen. Auch das war vor zehn Jahren. So richtig wilde Geschichten, konnte eigentlich keiner, bis auf den armen Jeepfahrer,
berichten und meist waren die Vorfälle bereits verjährt. Die ständige unterschwellige Angst vor Überfällen und Einbrüchen schmälert die Lebensqualität jedoch erheblich.

Letztlich muss auch ich gestehen, dass ich das Problem, mit der Absicht den Leser dazu zu bringen bis zum Schluss zu lesen, etwas übertrieben dargestellt habe. Denn diese Gewalt, oder die Angst vor der Gewalt, beschränkt sich hauptsächlich auf die großen Städte im Nordosten (Fortaleza, Recife). In kleineren Städtchen und vor allem an Touristenorten merkt man davon gar nichts. So konnten wir in Itacare oder Ilha Grande ohne Bedenken nachts noch rumlaufen. Auch fast überall in Rio de Janeiro und Sao Paulo konnte man sich frei bewegen, wobei wir nichts zur Sicherheit in den Favelas sagen können, weil wir nicht dort waren. Die Leute nutzen die Metro und die Busse, es gibt Ausgehviertel, Flaniermeilen, große Parks, Märkte und Stadtstrände. Wohnungen haben zwar auch in den Städten im Süden meist einen Zaun und einen Pförtner, aber man lebt durchaus auch draußen - mit ein wenig gesundem Menschenverstand halt. Und so würde ich gerne damit abschließen, dass eigentlich alles gar nicht so schlimm ist. Das Problem beschränkt sich auf wenige Städte, und die Gewalt scheint mehr in der Angst der Personen als in der Realität stattzufinden. Nutzt man seinen natürlichen Menschenverstand und läuft nachts nicht in obskuren Ecken rum, dann passiert einem auch nichts.

Nun ja, zumindest passiert einem dann nichts schlimmes. Denn an unserm vorletzten Tag in Sao Paulo wurde uns die Lektion erteilt, dass man auch trotz umsichtigen Verhaltens beraubt werden kann. Thorben sah, auf einer belebten Strasse und am hellichten Tag, wie vier Männer einen anderen Mann in einen Hauseingang schoben, dort seine Taschen durchsuchten und leerten und blitzschnell wieder verschwanden. Das ganze dauerte nur wenige Sekunden und Thorben verstand erst was geschehen war, als er ein Messer in der Hand einer der Männer sah. Ich hatte nur den Tumult bemerkt, aber nicht wirklich verstanden was vor sich ging.

Das Gewaltpotential in brasilianischen Städten lässt sich nicht leugnen. Als Tourist sollte man sich dort also an die üblichen Vorsichtsmaßnahmen halten und vor allem nichts Wertvolles mit sich tragen, dann ist der Schaden auch begrenzt, wenn man bestohlen wird. Außerhalb der besagten Städte ist das Land sehr sicher. Man sollte sich in Brasilien auf gar keinen Fall vor lauter Angst einsperren oder gar Brasilien als ganzes meiden. Die Zeiten in denen man um sein Leben fürchten musste sind vorbei, bzw. scheinen nur noch in den Köpfen zu existieren. Brasilien hat so viel zu bieten und man sollte es sich nicht entgehen lassen!

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