Montag, 25. August 2014

Schwarzweiß denken


Man kann Südafrika sehr unterschiedlich kennenlernen. Entweder man lebt wie die urbanen Besserverdiener, kurz Weiße. Dann lebt man mit jeglichem europäischen Komfort sowie einer günstigen Haushaltshilfe in Kapstadt oder Johannesburg in einem netten Apartmenthaus mit Sicherheitspersonal und hinter Gittern. Man bewegt sich nur im Auto fort und meidet die schlechten/armen Gegenden der Stadt. Die meiste Zeit unterhält man sich vorwiegend mit Weißen. Am Wochenende fährt man mit Familie oder Freunden in einen der vielen Nationalparks wo man die Landschaft genießt, wilde Tiere beobachtet und abends gepflegt mit einem Glas Wein grillt. Das ist das Leben der Expats, der meisten weißen, urbanen Südafrikaner und auch das Programm fast aller Touristen. Und auch wir haben uns dieses Wohlfühlprogramm gegönnt: Lodge im reichen Viertel von Johannesburg mit Zaun drum rum, Mietwagen, Safari, wandern und grillen im Nationalpark... Schöne heile Welt.

Die Weißen auf dem Land sind vor allem Buren, also Nachfahren der mehrheitlich deutschen und holländischen Einwanderer, die  hauptsächlich von der Landwirtschaft lebten und erst Sklavenarbeit und dann billige schwarze Arbeitskräfte nutzten. Auch heute noch sind die Weißen auf dem Land die relativ wohlhabenden Bauern, die gerne unter ihres Gleichen bleiben und nur deswegen relativ viel Kontakt mit Schwarzen haben, weil sie ihre Mitarbeiter sind.

Das Leben der meisten schwarzen Südafrikaner sieht anders aus. Viele leben entweder in Elendsvierteln (townships) am Stadtrand oder in den unterentwickelten Stammesgebieten (homelands).

Die meisten Städte hier haben einen Ortskern aus "normalen" Steinhäusern in denen die Mittel- und Oberschicht lebt. Drumherum befinden sich die Townships, die Armutsviertel. Diese sind zur Zeit der Apartheid (Rassentrennung) entstanden als die weißen Südafrikaner die Schwarzen nicht in ihrer Nähe wohnen haben wollten, aber gleichzeitig nicht auf deren billige Arbeitskraft verzichten wollten.
Mit einer gewissen Vorsicht die wir in den ersten Tagen in einem neuen Land an den Tag legen, hatten wir uns in Johannesburg nur mit einer geführten Radtour in das legendäre - weil Brutstätte der Freiheitsbewegung - Elendsviertel Soweto (South West Township) getraut. Dort haben wir nicht nur viel über die Apartheid gelernt sondern auch gesehen wie die Menschen dort 20 Jahre nach der Apartheid und unter einer "schwarzen" Regierung leben. Teilweise erinnerten uns die Gegenden an die indischen Slums. Wellblechhütten ohne Sanitäranlagen, Müll auf den Straßen und Männer, die ohne Beschäftigung rumhängen. Aber es gibt  mittlerweile auch hier etwas bessere Gegenden mit Steinhäusern und Vorgarten. Immerhin ziehen die etwas Wohlhabenderen nicht weg sondern werten das Viertel auf.

Die Homelands auf der anderen Seite sind ländliche Gebiete, die nie unter Einfluss der Weißen waren. Diese Gebiete wurden in der Apartheid den Xhosa und Zulu zugewiesen und sind extrem unterentwickelt. Diese für uns unerwartete Seite Südafrikas lernten wir bei unserem Besuch in der Bulungula Lodge an der Wild Coast kennen. Schon der Weg dorthin ist abenteuerlich, da er zwei Stunden lang nur über richtig schlechte Schotterpisten führt und man direkt das Gefühl bekommt am Ende der Welt angekommen zu sein. Diese von einer NGO aufgebauten und nun zu 50% in den Händen der dort lebenden Xhosa und zu 100% von ihnen gemanagten Eco-Lodge hat zum Ziel den Besuchern ein authentisches Bild vom dortigem Leben zu geben. Und das gelingt ihnen wirklich gut.

Die Menschen wohnen in einer idyllischen Landschaft in runden Häusern, was mich ziemlich an Schlumpfhausen erinnert hat. Und sie leben dort noch sehr traditionell. Die Familien schlafen zusammen auf dem Boden ihres Rundhauses, das Dach ist aus getrocknetem Gras und die Steine bestehen aus Lehm, Gras und Kuhdung. Bei einer "Frauen-Power" Tour nahm uns eine junge Xhosa-Frau mit zu sich nach Hause. Wir lernten nach und nach alle Familienmitglieder kennen und machten die dort typischen Frauenarbeiten: Wasser holen, Feuerholz sammeln und kochen. Nur das Wäsche waschen im Bach blieb uns erspart. Hier hat sich wirklich nicht viel verändert im letzten Jahrhundert. Obwohl die Lage traumhaft ist und die Menschen zufrieden aussehen, sollte man das einfache Leben nicht romantisieren. Es gibt keine Toiletten, keine Müllsammelstelle und keine Elektrizität. Erst seit einem Jahr gibt es eine Wasserleitung, vorher gab es nur vereinzelt Wasserstellen aus denen Grundwasser hochgepumpt wurde und Flusswasser. Die Bildung ist schlecht. Zur weiterführenden Schule müssen die Kinder drei Stunden mit dem Auto gefahren werden. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, wurde aber zumindest in den letzten drei Jahren dank der Lodge und damit verbundenen Projekten von 74% auf 45% reduziert. Mit Abstand das einzige Moderne was die Leute nutzen sind Handys.

Schwarze und Weiße leben nicht nur sehr unterschiedlich, sie denken auch sehr unterschiedlich. Es war leicht für uns mit weißen Südafrikanern ins Gespräch zukommen da sie sehr offen und freundlich zu uns waren. Irgendwann in einem Gespräch kamen sie meist auf das schlecht funktionierende Land zu sprechen. Die Regierung sei unfähig und das Land ginge den Bach runter weil die Stellen nicht nach Kompetenz besetzt würden sondern nach Hautfarbe. So weit so verständlich. Trotzdem fiel uns grade nach Brasilien auf, wie tief Rassismus im Denken vieler Leute verwurzelt ist. Ein Lodge-Besitzer auf dem Land ergänzte zu der üblichen Tirade noch: "Wir könnten so ein tolles Land sein, wenn jeder das machen würde was ihm liegt. Wenn die Europäer nun mal bessere Manager sind, dann sollten sie eben managen und die Schwarzen sollten machen was sie können, nämlich Musik machen und tanzen." Das war ihm nicht rausgerutscht, das meinte er ernst und sah auch kein Problem mit dieser Äußerung. Auch die Menschenrechtsverletzungen in der Apartheid werden öfters bagatellisiert. So behauptete derselbe Lodgebesitzer, dass es den Schwarzen jetzt gar nicht so viel besser ginge als zur Zeit der Apartheid. Die Schulen seien nicht besser geworden. Einzig die Sperrstunde seien sie losgeworden. Menschenrechte? Kein Thema für ihn. Rassismus unter den Weißen ist kein Tabu, wie auch andere Reisende fest stellen, sondern normal und alltäglich. Es gibt aber natürlich auch Ausnahmen. Zum Beispiel den Farmer Bobby, bei dem wir couchsurfsten. Er spricht Zulu, weil er mit schwarzen Kindern aufgewachsen ist und versteht zumindest ein wenig die afrikanische Seele mitsamt ihren Zauberkräften und Medizinmännern. Aber auch bei ihm ist die Rangordnung von weißem Farmbesitzer und schwarzen Arbeitern klar.

Befeuert werden die Konflikte in der Stadt von Arbeitslosigkeit und auf dem Land von der Angst enteignet zu werden. Denn nach Jahren der wirtschaftlichen Stagnation muss die  Regierungspartei ANC ihr Klientel bei der Stange halten. Dazu hieft sie möglichst viele Anhänger in Posten, und sorgt insgesamt dafür, dass fast nur Schwarze eingestellt werden. Auf dem Land ist es für Weiße zur Zeit nahezu unmöglich, Land zur Bewirtschaftung zu kaufen oder zu pachten, auch Jobs im öffentlichen Sektor sind außer Reichweite. Ein gerne zitiertes Beispiel ist hier der Gebärdendolmetscher von der Beerdigung Nelson Mandelas. Der war zwar linientreuer ANC-Mann konnte aber leider keine Gebärdensprache. Auch im Kleinen kann jeder Weiße hier Geschichten von unfähigen Schwarzen in der Verwaltung sofort aufrufen.

Aber auch dramatischere Maßnahmen werden offen gefordert: die weißen Farmer sollen den Schwarzen "ihr" Land wieder geben. Es geht also die Angst vor der Beschlagnahmung von Land um - weswegen wiederum fast jeder uns in den ersten fünf Minuten eines Gespräches erklärt, dass die heute vorherrschenden Zulu und Xhosa gar nicht die ursprünglichen Bewohner der Gegend seien sondern auch nur die davor ansässigen Jäger-und-Sammler verdrängt hätten.

Die Schwarzen, insbesondere die aus den Townships, haben die Unterdrückung und Erniedrigung der Apartheid keinesfalls vergessen oder vergeben. Sie finden, dass sie nun ein Recht auf einen Anteil am weißen Reichtum haben. Das jedenfalls ist unsere gewagte These aus unseren wenigen Interaktionen mit Schwarzen. Wir fanden es nämlich nicht leicht mit ihnen in Kontakt zu kommen, was vermutlich an unserem Reisestil lag. Außer bei geführten Touren hatten wir nur ein paar mal Kontakt mit Anhaltern, die wir ein Stück mitnahmen.

Ein Mann in unserem Alter, der aus den Stammesgebieten kam und den wir ein Stück mitnahmen als er auf dem Weg zu einer Beerdigung war, berichtete uns, dass viele Schwarze in den Stammesgebieten nun wegen der staatlichen Subventionen kaum noch arbeiten würden. Statt wie früher Gemüse im Garten anzubauen, würden sie heute lieber das Arbeitslosengeld nutzen um das selbe im Geschäft zu kaufen. Arbeit ist in den Stammesgebieten generell rar, denn Infrastruktur ist kaum vorhanden und weder private noch öffentliche Investitionen werden hier getätigt.

In der Tat hängen in Südafrika so viele Menschen am staatlichen Geld Tropf wie kaum sonst wo auf der Welt. Und obwohl ich denke, dass der Staat für soziale Gerechtigkeit in diesem polarisierten Land sorgen sollte, kann diese jüngst geschaffene Abhängigkeit vom Staat nicht der richtige Weg sein. Bobby erzählte uns, dass einige seiner schwarzen Mitarbeiter ihre Tuberkulose-Behandlung nicht abschließen um nicht geheilt zu werden. Denn nur so lange sie krank seien bekämen sie eine Art Tuberkulose-Krankengeld. Die wohl gröbste Fahrlässigkeit der Regierung ist aber die immer noch schlechtere Schulbildung der schwarzen Unterschicht. Obwohl pro Kopf mehr für Bildung ausgegeben wird als in Deutschland. Das Geld, wie so oft, verschwindet durch  Vetternwirtschaft und Korruption.

Uns erscheinen die Fronten zwischen schwarzen und weißen Südafrikanern sehr verhärtet zu sein. Das merkten wir schon daran, dass wir keine schwarzweißen Paare gesehen haben und die Kinder der Weißen sehr blond sind. In keinem anderen Land, dass wir bereist haben definierten sich Menschen so sehr und zuallererst über ihre Hautfarbe, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit gibt es so gut wie nicht. Die einen sind wütend und wollen jetzt mal "dran" sein, die anderen haben Angst und pflegen alte Vorurteile. Und in Kombination mit einer korrupten Regierung und wirtschaftlicher Stagnation, scheint uns Südafrika ein Pulverfass zu sein.

1 Kommentar:

  1. Dankeschön wieder ein klasse und erhellender Bericht. Wie unterschiedlich Länder doch sind...
    Gruß Kristof

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