Montag, 24. November 2014

Eingewöhnungsphasen

Unser Überraschungsempfang am Frankfurter Flughafen hatte mich mit einem Schlag aus den melancholischen "Ende der Reise"-Gedanken gerissen und in das Hier und Jetzt katapultiert. Wir sind zu Hause und unsere Freunde holen uns ab. Wie schön!

Meine Eingewöhnung verlief in drei Phasen. In der ersten betrachteten wir alles mit großen, staunenden Augen. Vom Flughafen ging es durch den Feierabendverkehr nach Frankfurt. Ich fand es fast beängstigend, wie schnell man auf deutschen Autobahnen fährt und hielt mich unauffällig am Türgriff fest. Ich und vor allem mein Magen mussten sich aber nicht an die Achterbahnfahrt gewöhnen, denn kurz danach standen wir bereits im Stau. Alles blieb ordentlich, kein Gehupe, kein wildes Rumrangieren.

Auch in den folgenden Tagen fiel uns immer wieder auf, wie sauber und ordentlich es ist und wie ruhig und gesittet alles abläuft in Deutschland. Im Park schieben Mütter päarchenweise ihre Kinderwagen oder diskutieren sachlich mit ihrem dreijährigen Nachwuchs, Herrchen gehen Gassi und entsorgen fachgerecht die Hinterlassenschaften ihres Hundes in Plastiktüten. In den Geschäften wird man freundlich und professionell bedient, die Preise stehen an den Waren und sind nicht verhandelbar. Auf den Straßen und selbst in den Wohnvierteln sieht man weitaus mehr Autos als Leute. Kein Geschrei, kein Gehupe, keine rumlungernden Leute (bis auf die vier kiffenden Jugendliche auf der Parkbank, um die die älteren Damen einen großen Bogen machen, die bei mir allenfalls ein Gefühl der Fürsorge auslösen)... . Der Streik der Deutschen Bahn passte natürlich nicht in unser grade ersonnenes Bild des perfekt organisierten Deutschlands. Thorben musste zur Arbeit - wie so oft auf unserer Reise - einen Fernbus nehmen, der auch prompt fast eine Stunde zu spät kam. Das kriegen die Entwicklungsländer besser hin. Und als Thorben unseren Telefonanbieter drei mal anrufen musste und es eineinhalb Wochen dauerte, bis die Störung unseres Festnetzes wieder behoben wurde, kamen uns weitere Zweifel. Meine Bank hat es auch nach vier Anrufen, einer Email und zwei Wochen Zeit nicht geschafft mir einen Pin zu schicken. Was ist nur los? Laufen die Dinge eigentlich doch nicht so rund, wie in unserer verklärten Erinnerung? Jetzt mal ganz im Ernst: Deutschland ist sicher, sauber, verlässlich und effizient. Nach einem knappen Jahr in neun Entwicklungsländern können uns solche Kleinigkeiten wirklich nicht schocken.

Unsere Wohnung kam mir nach unserer Heimkehr nicht nur übertrieben groß, sondern auch luxiorös vor. Das Auspacken der Kisten mit unseren Anziehsachen war zwar noch wie Weihnachten: Ach, der Pulli sieht ja toll aus und die Hose gefällt mir aber gut... . Schnell zog ich meine abgenutzten Reiseklamotten aus und spielte Modenschau. Nach der anfänglichen Begeisterung wurden wir aber rasch genervt. Das ganze schien kein Ende zu nehmen. Wir brachten Kisten um Kisten in unsere Wohnung und fragten uns, was um Himmels willen wir mit diesem ganzen Zeug sollten. In den letzten elf Monaten waren wir mit knapp 30 kg Gepäck und meist weniger als 10 m² ausgekommen. Und auf einmal hatten wir ein Vielfaches an Hausrat und Platz. Ich war erstmal geplättet und empfand unseren Besitz irgendwie als belastend.

In der überlappenden zweiten Phase meiner Eingewöhnung besuchten uns Freunde und wir besuchten unsere Familie. Darauf hatten wir uns sehr gefreut und wir genossen diese Zeit. Richtig gute Gespräche führen mit uns vertrauten Personen. Sich verwöhnen lassen und wieder Kind sein. Nicht ständig eine Situation oder Leute anaysieren und bewerten müssen. Obwohl wir auch unter Freunden und in der Familie nicht ganz davon befreit waren. Denn ich spürte, dass alle versuchten herauszufinden ob/wie wir uns verändert hatten. Das Auffallendste für mich war, wie wenig sich hier verändert hatte. Alle sehen noch genauso aus wie vorher, alle machen noch die gleichen Sachen und haben die gleichen Ansichten. Hier und da eine Veränderung, natürlich. Aber meist nichts Gravierendes. Selbst die Wege in der Stadt fühlen sich noch vertraut an und auch die Mode ist noch die gleiche wie im Vorjahr. Es ist, als sei man nie weg gewesen.

Dann kam die dritte Eingewöhnungsphase, in der ich mich zur Zeit befinde: neuen Handyvertrag aussuchen, Anstreicher auftreiben, Steuererklärung machen, Putzen, Kochen, Waschen, Einkaufen, nach einem Fitnessstudio fahnden, Formulare ausfüllen, Dinge beantragen... . Ich habe eigentlich schon ziemlich viel organisiert. Dabei habe ich die Hälfte meiner Zeit im Internet mit Recherechen, die andere in irgendwelchen Warteschleifen verbracht und zwischendurch diverse Haushaltsmaschinen bedient. Aber so richtig zufrieden bin ich nicht. Ich habe das Gefühl, mehr Zeit damit zu verbringen, mein Leben zu verwalten, zu organisieren und zu optimieren als tatsächlich zu leben. Ich hatte mich darauf gefreut viel Zeit mit meinen Freunden, meiner Familie und meinen Hobbies zu verbringen. Stattdessen verbringe ich die meiste Zeit vorm Computer. Das liegt natürlich daran, dass die Familie weit weg wohnt und die Freunde arbeiten und keine Zeit haben, sage ich mir. Aber eigentlich treibe ich mich selber an. Ich habe das Gefühl keine Zeit zu haben, weil ich ja noch sooo viel organisieren muss, bevor ich wieder arbeite und zehn Stunden meines Tages von der Arbeit aufgefressen werden.

Kaum ist man wieder in seiner vertrauten Umgebung, seiner Komfortzone, schlüpft man in seine alten Gewohnheiten und Marotten wie in seinen alten, bequemen Lieblingspulli. Ich hatte mir vor drei Wochen, auf Sansibar, nicht vorstellen können, wie schnell dieser Prozess geht. Ich hatte mir gewünscht etwas mehr Leichtigkeit und Spontanität in mein Leben bringen zu können. Etwas weniger Bequemlichkeit und mehr Mut. Aber vielleicht schlummern diese Eigenschaften ja noch in mir und kommen zur Entfaltung, nachdem ich mich eine Zeit lang in der vertrauten Heimat eingenistet habe wie eine Raupe in ihren Konkon.


Wie dem auch sei. Jetzt bin ich erstmal krank. Und da gibt es nichts Besseres als zu Hause zu sein.

1 Kommentar:

  1. Wir sind sehr glücklich, dass ihr wieder zu Hause seid. Sigrid

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