Unser Start in Tansania war ja recht holprig. Und eigentlich konnte uns nur der bereits
gebuchte und nicht zurückerstattbare Heimflug davon abhalten, nach Äthiopien oder
Israel zu fliegen. Wir haben also fast zwei Monate in Tansania verbracht. Und das war
gut so. Denn wenn man langsam durch Tansania reist und auch die weniger
spektakulären Ecken besucht, lernt man Tansanias wahren Schatz kennen. Die
Herzlichkeit der Tansanianer.
Ich muss zugeben, dass ich anfangs etwas eingeschüchtert war. Denn in Südafrika waren wir doch oft etwas alamiert, wenn eine Gruppe arm aussehender, schwarzer Männer auf uns zu kam. In Johannesburg sollte man noch nicht mal mit seinem Rucksack auf der Straße laufen, weil man sonst ausgeraubt würde. Und da in Tansania alle schwarz sind und fast alle arm aussehen, war ich am Anfang eben ziemlich angespannt, vor allem wenn wir mit unseren Rucksäcken unterwegs waren. Die Menschen im Nordosten fand ich dann auch nicht so super freundlich, was aber wahrscheinlich an unserem
schlechten Start lag. Angestellte in Hotels oder Restaurants sind oft mehr als desinteressiert und kommen fast arrogant rüber. Vielleicht ist es ein Erbe des Kommunismus, vielleicht sind sie auch nur vom Tourismus verdrossen. Im Bus starrten viele Leute nur vor sich hin und quetschten sich aneinander vorbei. Einmal war ich besonders schockiert, als eine Frau auf dem Gang eines Busses saß und sich in eine Tüte übergab. Völlig unbeeindruckt davon versuchte sich ein Mann an ihr vorbei zu drängen um dann genau über der armen Frau für mehrere Minuten stehen bzw. stecken zu bleiben. Er verschwendete aber offensichtlich keinen Gedanken daran, wie
schlecht die Frau sich seinetwegen fühlen musste. Und auch sonst kam es keinem so unsensibel vor wie mir.
Insgesamt hatte ich im Nordosten den Eindruck, dass vor allem Frauen nicht sehr respektvoll behandelt werden. Eher wie Gebärmaschinen, die nebenbei auch noch alle andere Arbeit machen. Denn auf den Feldern und auf dem Markt sieht man nur Frauen arbeiten und sie arbeiten sehr hart. Während sie dafür sorgen, dass die Kinder versorgt sind, das Haus in Ordnung ist, das Feld bestellt ist und das Gemüse verkauft wird, versucht der Mann oft das schnelle Geld zu machen. Meist nutzen die Frauen nur primitive Handwerksmittel, während die Männer die Investitionen machen, zum
Beispiel ein Boot, Auto oder Motorrad kaufen. Meist sieht man (junge) Männer zusammen stehen und Gruppen von Frauen und Kindern. Die Geschlechter bleiben meist unter sich. Natürlich ist das sehr verallgemeinert, subjektiv und überspitzt dargestellt. Aber selbst ein Mann, unser Reiseführer in Lushoto, gab zu, dass die Frauen alle Arbeit zu machen haben und die Männer die Chefs sind. Neben aller Pauschalisierung will ich nicht vergessen zu erwähnen, dass wir im Nordosten auch sehr viele nette Menschen und fleißige Männer kennengelernt haben.
Im Westen und Südwesten kamen uns die Tansanianer wesentlich entspannter und freundlicher vor als im Nordosten. Nicht nur zu uns, sondern auch zueinander. Auch hier werden Fremde mit Bruder, Schwester, Mutter, Vater, Großmutter oder Großvater angeredet. Freunde oder Geschäftspartner stellen sich als Bruder und Schwester vor. Die Leute reden und lachen im Bus öfter miteinander und auch der Umgang zwischen Frauen und Männern scheint mir mehr auf Augenhöhe. Was aber nichts daran ändert, dass die Aufgaben der Frauen und Männer getrennt sind und sie auch hier unter sich
bleiben. Im ganzen Land fühlen sich die Menschen, trotz kleinerer religiöser Spannungen als Tansanianer und nicht primär als Angehörige ihres Stammes. Ein Erbe der Zwangsumsiedlung während des Kommunismus in den 1960ern. Ein sehr fragwürdiges Mittel, aber letztlich wohl verantwortlich für die in Afrika seltene Stabilität des Landes. Auch das Drängeln im Bus wurde nicht weniger und gehört in diesem Land anscheinend einfach zum guten Ton. Die Menschen hier haben eine wesentlich höhere Toleranzgrenze was körperliche Nähe angeht als wir.
Im Punkto Sicherheit konnte ich meine anfänglichen Ängste schnell überwinden. Zwar war mir in Arusha, Tanga und Moshi bei Dunkelheit auf der Strasse immer noch nicht sehr wohl, und nahmen wir abends nie Wertsachen mit, aber eigentlich fühlten wir uns sicher. Tagsüber hatten wir nie Bedenken. Unsere Rucksäcke wurden auf den Fahrten ständig umgepackt, aber es fehlte nie irgendwas. Und wir hatten das Gefühl den Tansanianern vertrauen zu können. Auch das irgendwie verständliche Überhöhen der Preise für uns Weiße hielt sich abseits der Touristenpfade in erträglichen Grenzen. Die Frauen fragten meist einen so kleinen Aufpreis, dass wir ihn gerne bezahlt haben; die Frauen habe ich sowieso lieber unterstützt. Die Männer hatten aber oft keine Vorstellung davon, ob der 100-fache Preis vielleicht auch noch zu bekommen sei. Weiß man aber den echten Preis und fragt danach, lachen sie oft nur und sind einverstanden. Diese ganzen guten Aussagen treffen nur auf eine Ausnahme: die am Busbahnhof wartenden Schlepper, die wir kaum einmal abschütteln konnten und die oft so lange an uns zerrten und auf uns einredeten bis wir uns gegenseitig ankeiften.
Tanzania ist nicht wirklich auf Backpacker eingerichtet, jedenfalls nicht auf Backpacker mit wenig Zeit. In die meisten Nationalparks kann man bequem einfliegen und dann für schlappe 150-1000$ pro Person und Tag dort verweilen. Offensichtlich setzt die Regierung auf Upmarket-Tourismus mit teilweise utopischen und nicht wettbewerbsfähigen Preisen. Die dafür nötigen hohen Investitionen können nur von der Regierung oder ausländischen Investoren getätigt werden. Was heißt, dass das Geld der Touristen in die Kassen der korrupten Regierung oder ins Ausland fließen, während kleine private inländische Unternehmer kaum etwas vom Kuchen abbekommen. Hostels und Busse mit westlichem Standard gibt es nur in und zwischen Arusha, Moshi und Dar es Salaam. Gute Budget-Hotels findet man aber in allen größeren Städten des Landes, weil es dort inländische Geschäftsleute gibt. In abgelegenen kleineren Orten findet man jedoch häufig entweder nur sehr sehr einfache Unterkünfte für 3 Euro, oder aber die bereits beschriebenen luxuriösen Unterkünfte.
Transporttechnisch kann man statt des Charterflugs auch ein Auto mieten, was aber auch ziemlich teuer ist. Wesentlich günstiger, unbequemer und authentischer kann man mit den überall verkehrenden von Einheimischen genutzten Transportmittel fahren - mit den Minivans, Kleinbussen, Motorrädern, Zügen und Pickups.
Um diese Transportmittel zu benutzen ohne einen Wutanfall zu bekommen, braucht man aber Zeit und eine Eigenschaft, die charakteristisch für die Tansanianer ist: Sie erdulden alles klaglos. Fast würde ich sagen stoisch: Alle Sitze im Kleinbus sind besetzt, aber wir warten noch eine halbe Stunde auf weitere Gäste, die dann noch zwischen einen gequetscht werden. Der Busfahrer oder der Sitznachbar hört seine Lieblingsmusik in Diskolautstärke. Die Polizei verhört vier Businsassen auf dem Revier und lässt derweilen alle anderen 50 Passagiere vier Stunden im Bus in der prallen Sonne sitzen. Der Zug kommt 12 Stunden zu spät, ohne das es sich dabei um höhere
Gewalt handelt und vor allem ohne jegliche Erklärung geschweige denn Entschuldigung. Es beschwert sich nie jemand. Noch nicht mal einen bösen Blick gibt es. Und wir sitzen dazwischen und können nicht an uns halten. Das ein oder andere mal haben wir den Busfahrer gebeten die Musik leiser zu drehen oder den Stecker aus dem plärrenden Fernseher beim Frühstück gezogen. Ansonsten üben wir uns in Gelassenheit. Denn zum Glück haben wir ja Zeit.
Eine andere Eigenschaft der Tansanianer ist ihre Tendenz auch mal Fünfe grade sein zu lassen und nicht vorrausschauend zu reparieren. Tendenz ist wohl untertrieben, eigentlich ist das ein Dauerzustand. Die Wände eines Hauses müssen nun wirklich nicht gaaanz grade sein, der Tisch muss auch nicht nach jedem Essen abgewischt werden, auch der nächste Gast kann das Bettlaken nochmal benutzen. Dazu passend werden Dinge erst repariert, wenn sie gar nicht mehr funktionieren, und dann auch nur notdürftig. Kaum jemand wartet dein Haus oder seine Maschinen, lieber wird neugebaut als renoviert. Worauf die Tansanianer überall im Land aber peinlichst genau achten, ist, dass jeden morgen rund ums Haus gefegt wird. Da gibt es keine Kompromisse.
Alle größeren Projekte in Tanzania, vom Straßenbau im unterentwickelten Westen, Unterwasser-Stromleitungen zwischen Festland und Sansibar, aber auch einfache Wasserleitungen in Dörfern in unmittelbarer Nähe des Kilimanjaro: alles wird durch ausländische Regierungen finanziert. Und auch im Kleineren werden Schulen, Krankenhäuser, Waisenhäuser fast immer von ausländischen Hilfsorganisationen oder Kirchen betrieben. Fast alle der Reisenden die wir getroffen haben, haben hier Freiwilligenarbeit geleistet. Die Menschen hier sind sehr dankbar für diese Hilfe und einer sagte uns, dass er sehr froh sei, wenn er Weiße sehe, weil er wüsste, dass sie helfen würden. Bei all der gutgemeinten Hilfe, die auf einer Einzelfallperspektive bestimmt weiterhilft, bin ich mir nicht sicher ob sie dem Land als Ganzes gut tut. So wurde das von Dänemark einst in den siebziger Jahren installierte Unterwasserstromkabel nicht gewartet, was zu einem viermonatigen Blackout auf der Touristeninsel Sansibar führte. Statt die Regierung dafür verantwortlich zu machen, wartete man auf ausländische Hilfe. Die auch promt kam: die UN stiftete ein neues Kabel. Ähnlich sieht es mit den Fähren und Zügen aus. Sie werden nicht gewartet, nicht repariert, man nutzt sie so lange bis endlich neue aus dem Ausland kommen. Teilweise ist, glaube ich, auch das Wissen nicht da um diese Dinge zu warten. Anderseits kann es auch sein, dass oft einfach der Wille oder die Notwendigkeit fehlt.
Thorben und ich schwankten während unseres gesamten Aufenthalts zwischen zwei Gemütszuständen. Einerseits ist der Transport anstrengend und unbequem, das Essen jenseits von Sansibar eintönig und geschmacksarm (Reis, Bohnen, Ugali, Spinat, gekochtes Fleisch, keine Gewürze) obwohl es auf dem Markt viel frisches Gemüse gibt und die interessanten Atraktionen sind unsagbar teuer (Nationalparks): wir wollen hier weg. Andererseits hatten wir in kaum einem anderen Land so engen Kontakt mit der Bevölkerung, wurden von Fremden nach Hause eingeladen und strengten sich die Leute so an, unsere minderbemittelten Sprachkenntnisse und Zeichensprache zu verstehen: es ist die Mühe wert!
Sprachkenntnisse sind der Schlüssel zu den Herzen der Tansanianer. Anfangs hatten wir uns damit begnügt ein paar Begrüßungsformeln und die Zahlen bis 10 auswendig zu lernen. Nachdem wir während unserer 12 stündigen Wartezeit am Bahnhof eine Reisende kennenlernten, die bereits kleine Gespräche führen konnte, war mein Ehrgeiz geweckt. Auf der 30 stündigen Zugfahrt lernte ich die halbe Sprachsektion des Reiseführers auswendig und konnte damit bereits Essen bestellen, nach einem Zimmer fragen, Zeitangaben machen, nach einem Bus oder dem Weg fragen, Zahlen und Preise verstehen und ab und zu ein paar Wörter aufschnappen, die zusammen mit unserer Phantasie im touristisch wenig entwickelten Westen und Südwesten schon sehr viel weiterhalfen. Für einen nächsten Tansaniaaufenthalt würde ich auf jeden Fall noch etwas mehr Kisuaheli lernen. Denn es ist nicht schwer und macht den Aufenthalt so viel interessanter. So viele Menschen wollten sich mit uns unterhalten und leider blieb es wegen unserer limitierten Sprachkenntnisse meist nur beim kurzen Austausch von Floskeln, wenn unser Gegenüber kein Englisch sprach.
Am Ende denke ich, dass Tansania definitiv die Mühe wert war. Das Land ist zwar, jedenfalls so wie wir es bereist haben, kein erholsames Urlaubsziel, aber es ist ein sehr sicheres, sehr authentisches Reiseziel. Wenn man auch überall als Mzungu auffällt, wird man nie feindselig angeschaut. Im Gegenteil, meist wird man neugierig bestaunt, manchmal sogar herzlich aufgenommen. Und immer wenn man es am wenigsten erwartet, sorgen die Tansanianer dafür, dass man sich richtig willkommen fühlt. Ganz zu schweigen von der wunderschönen und abwechslungsreichen Natur von Seen zu Bergen, von Steppe zu Strand, von Wüste zu Regenwald und von Schimpansen zu Delfinen. Unsere Favoriten waren ein Abstecher nach Bagamoyo und unsere Tour von Dar-Es-Salaam mit dem Zug nach Mbeya, Tukuyu und Matema, in den gastfreundlichen und entspannten Südwesten des Landes. Aber auch Sansibar hält mit türkisem Wasser und weißen Stränden was es verspricht. Nur am Essen, da müssten sie jedenfalls auf dem Festland wirklich noch arbeiten.