Montag, 24. November 2014

Eingewöhnungsphasen

Unser Überraschungsempfang am Frankfurter Flughafen hatte mich mit einem Schlag aus den melancholischen "Ende der Reise"-Gedanken gerissen und in das Hier und Jetzt katapultiert. Wir sind zu Hause und unsere Freunde holen uns ab. Wie schön!

Meine Eingewöhnung verlief in drei Phasen. In der ersten betrachteten wir alles mit großen, staunenden Augen. Vom Flughafen ging es durch den Feierabendverkehr nach Frankfurt. Ich fand es fast beängstigend, wie schnell man auf deutschen Autobahnen fährt und hielt mich unauffällig am Türgriff fest. Ich und vor allem mein Magen mussten sich aber nicht an die Achterbahnfahrt gewöhnen, denn kurz danach standen wir bereits im Stau. Alles blieb ordentlich, kein Gehupe, kein wildes Rumrangieren.

Auch in den folgenden Tagen fiel uns immer wieder auf, wie sauber und ordentlich es ist und wie ruhig und gesittet alles abläuft in Deutschland. Im Park schieben Mütter päarchenweise ihre Kinderwagen oder diskutieren sachlich mit ihrem dreijährigen Nachwuchs, Herrchen gehen Gassi und entsorgen fachgerecht die Hinterlassenschaften ihres Hundes in Plastiktüten. In den Geschäften wird man freundlich und professionell bedient, die Preise stehen an den Waren und sind nicht verhandelbar. Auf den Straßen und selbst in den Wohnvierteln sieht man weitaus mehr Autos als Leute. Kein Geschrei, kein Gehupe, keine rumlungernden Leute (bis auf die vier kiffenden Jugendliche auf der Parkbank, um die die älteren Damen einen großen Bogen machen, die bei mir allenfalls ein Gefühl der Fürsorge auslösen)... . Der Streik der Deutschen Bahn passte natürlich nicht in unser grade ersonnenes Bild des perfekt organisierten Deutschlands. Thorben musste zur Arbeit - wie so oft auf unserer Reise - einen Fernbus nehmen, der auch prompt fast eine Stunde zu spät kam. Das kriegen die Entwicklungsländer besser hin. Und als Thorben unseren Telefonanbieter drei mal anrufen musste und es eineinhalb Wochen dauerte, bis die Störung unseres Festnetzes wieder behoben wurde, kamen uns weitere Zweifel. Meine Bank hat es auch nach vier Anrufen, einer Email und zwei Wochen Zeit nicht geschafft mir einen Pin zu schicken. Was ist nur los? Laufen die Dinge eigentlich doch nicht so rund, wie in unserer verklärten Erinnerung? Jetzt mal ganz im Ernst: Deutschland ist sicher, sauber, verlässlich und effizient. Nach einem knappen Jahr in neun Entwicklungsländern können uns solche Kleinigkeiten wirklich nicht schocken.

Unsere Wohnung kam mir nach unserer Heimkehr nicht nur übertrieben groß, sondern auch luxiorös vor. Das Auspacken der Kisten mit unseren Anziehsachen war zwar noch wie Weihnachten: Ach, der Pulli sieht ja toll aus und die Hose gefällt mir aber gut... . Schnell zog ich meine abgenutzten Reiseklamotten aus und spielte Modenschau. Nach der anfänglichen Begeisterung wurden wir aber rasch genervt. Das ganze schien kein Ende zu nehmen. Wir brachten Kisten um Kisten in unsere Wohnung und fragten uns, was um Himmels willen wir mit diesem ganzen Zeug sollten. In den letzten elf Monaten waren wir mit knapp 30 kg Gepäck und meist weniger als 10 m² ausgekommen. Und auf einmal hatten wir ein Vielfaches an Hausrat und Platz. Ich war erstmal geplättet und empfand unseren Besitz irgendwie als belastend.

In der überlappenden zweiten Phase meiner Eingewöhnung besuchten uns Freunde und wir besuchten unsere Familie. Darauf hatten wir uns sehr gefreut und wir genossen diese Zeit. Richtig gute Gespräche führen mit uns vertrauten Personen. Sich verwöhnen lassen und wieder Kind sein. Nicht ständig eine Situation oder Leute anaysieren und bewerten müssen. Obwohl wir auch unter Freunden und in der Familie nicht ganz davon befreit waren. Denn ich spürte, dass alle versuchten herauszufinden ob/wie wir uns verändert hatten. Das Auffallendste für mich war, wie wenig sich hier verändert hatte. Alle sehen noch genauso aus wie vorher, alle machen noch die gleichen Sachen und haben die gleichen Ansichten. Hier und da eine Veränderung, natürlich. Aber meist nichts Gravierendes. Selbst die Wege in der Stadt fühlen sich noch vertraut an und auch die Mode ist noch die gleiche wie im Vorjahr. Es ist, als sei man nie weg gewesen.

Dann kam die dritte Eingewöhnungsphase, in der ich mich zur Zeit befinde: neuen Handyvertrag aussuchen, Anstreicher auftreiben, Steuererklärung machen, Putzen, Kochen, Waschen, Einkaufen, nach einem Fitnessstudio fahnden, Formulare ausfüllen, Dinge beantragen... . Ich habe eigentlich schon ziemlich viel organisiert. Dabei habe ich die Hälfte meiner Zeit im Internet mit Recherechen, die andere in irgendwelchen Warteschleifen verbracht und zwischendurch diverse Haushaltsmaschinen bedient. Aber so richtig zufrieden bin ich nicht. Ich habe das Gefühl, mehr Zeit damit zu verbringen, mein Leben zu verwalten, zu organisieren und zu optimieren als tatsächlich zu leben. Ich hatte mich darauf gefreut viel Zeit mit meinen Freunden, meiner Familie und meinen Hobbies zu verbringen. Stattdessen verbringe ich die meiste Zeit vorm Computer. Das liegt natürlich daran, dass die Familie weit weg wohnt und die Freunde arbeiten und keine Zeit haben, sage ich mir. Aber eigentlich treibe ich mich selber an. Ich habe das Gefühl keine Zeit zu haben, weil ich ja noch sooo viel organisieren muss, bevor ich wieder arbeite und zehn Stunden meines Tages von der Arbeit aufgefressen werden.

Kaum ist man wieder in seiner vertrauten Umgebung, seiner Komfortzone, schlüpft man in seine alten Gewohnheiten und Marotten wie in seinen alten, bequemen Lieblingspulli. Ich hatte mir vor drei Wochen, auf Sansibar, nicht vorstellen können, wie schnell dieser Prozess geht. Ich hatte mir gewünscht etwas mehr Leichtigkeit und Spontanität in mein Leben bringen zu können. Etwas weniger Bequemlichkeit und mehr Mut. Aber vielleicht schlummern diese Eigenschaften ja noch in mir und kommen zur Entfaltung, nachdem ich mich eine Zeit lang in der vertrauten Heimat eingenistet habe wie eine Raupe in ihren Konkon.


Wie dem auch sei. Jetzt bin ich erstmal krank. Und da gibt es nichts Besseres als zu Hause zu sein.

Samstag, 15. November 2014

Ein Abschied

 WIR SITZEN AM FLUGHAFEN von Sansibar und warten auf unseren Flug nach Deutschland. Es dämmert mir so langsam, dass unsere Reise zu Ende ist, aber so richtig kann ich es nicht fassen. An dem ein oder anderen Tag habe ich mich nach Hause gewünscht, haben uns die Touristenabzocker genervt, oder in fremden Ländern nichts zu verstehen, Transport und Unterkunft zu suchen und in schlechten Betten zu schlafen. Ich freue mich sehr auf meine Familie, meine Freunde, unsere Wohnung, das Ankommen ohne bereits die nächste Station zu planen. Aber mittlerweile wird mir auch bewusst, dass dies nicht nur ein nach Hause kommen ist, sondern auch das Ende unserer Reise. Und das stimmt mich wehmütig. Vorbei die Zeit, in der wir jeden Tag etwas anderes unternehmen, keinen Alltag kennen, keine Hausarbeit machen, keine Routine haben, Zeit haben zu reflektieren über das Erlebte, neue interessante Menschen kennenlernen und großartige Landschaften, Tiere oder Monumente bestaunen. Ein Traum von mir geht zu Ende.

Ich bin mehr als glücklich, meinen Traum gelebt zu haben. In elf Monaten hat sich die Welt für mich verändert. Wenn ich heute an Indien, Myanmar, China, USA, Kuba, Kolumbien, Brasilien, Südafrika und Tansania denke, dann denke ich an vollkommen andere Länder als vor unserer Reise. Jedes dieser Länder hat unglaublich spannende Traditionen, Landschaften, Menschen und Geschichten. Ich habe den Reiz des Exotischen kennengelernt, aber auch dahinter schauen können. Während ich vor der Reise dachte, dass ich weltoffener nach Hause kommen würde, habe ich heute das Gefühl, mehr zu differenzieren. Dinge die für mich in Stein gemeißelt waren, fingen an zu bröckeln. So bin ich nicht mehr der Meinung, dass Demokratie eine absolute Voraussetzung für Entwicklung ist. Das Ein-Parteien-Land China direkt nach der Demokratie Indien zu sehen, hat mir vor Augen geführt, dass die unterdrückerischen Methoden der chinesischen Regierung viele Menschen aus der Armut gehieft haben. Auch über die in Indien übliche arrangierte Hochzeit denke ich nun positiver, jedenfalls wenn es nicht um Minderjährige geht. In Myanmar und Kuba habe ich gelernt kritisch über westliche Embargos nach zu denken, die meiner Meinung  nach mehr den dortigen Menschen als den Regierungen geschadet haben. Während ich die anfänglichen Erfolge des Komunismus in Kuba zu schätzen lernte, konnte ich nicht nur den Verfall der Häuser und Fabriken sondern auch der Moral in diesem sich nicht weiterentwickelnden Staat beobachten. In Kolumbien und Brasilien habe ich wenig von der dort angeblich alltäglichen Gewalt mitbekommen und viel mehr die Herzlichkeit der Menschen gespührt. In Südafrika war ich einerseits beeindruckt von der Infastruktur und der Effizienz des Landes aber auch erschrocken über den immer spürbaren Konflikt zwischen Schwarz und Weiß. In Tansania wurden mir die Grenzen der Entwicklungshilfe und die Allgegenwärtigkeit der Korruption deutlich. Wobei die Korruption das Hauptproblem in sämtlichen von uns besuchten Laendern ist - mit Ausnahme der USA. Nach diesem Jahr habe ich meine rosarote Brille der Toleranz für sämtliche Kulturen abgesetzt. Während ich weiterhin versuchen möchte vorurteilsfrei fremden Menschen und anderen Traditionen gegenüber zu stehen, habe ich mir doch erlaubt einige Dinge nicht hinnehmen zu wollen. Ganz weit oben dabei ist der Umgang mit Frauen, vor allem in Indien aber auch in Tansania. Natürlich lernt man in der Ferne auch sein eigenes Land zu schätzen. Am meisten schätze ich unsere funktionierende Demokratie und unsere nichtbestechlichen Beamten. Es gibt mir das nun zu schätzen gelernte Gefühl, ein mir angetanes Unrecht nicht tolerieren zu müssen.

Aber ich habe auf dieser Reise nicht nur etwas über die Welt sondern auch etwas über mich gelernt. Das ist natürlich sehr persönlich und nicht der rechte Ort hier. Aber ganz grob gesagt, tut mir etwas mehr Gelassenheit und etwas weniger preußische Strenge gut. Außerdem bin ich besser darin geworden, zu merken was ich möchte und was nicht. Es hört sich banal an, ist es aber nicht. Natürlich lernt man auf so einer Reise in der man Tag und Nacht fast 24h zusammen ist, auch ganz schön viel über seine Beziehung. Dazu nur so viel: Wenn man nach so einer intensiven Zeit, in der man mehr als einmal mit den Nerven am Ende war, immer noch zusammen ist, dann ist das ein gutes Zeichen. Neben der persönlichen Weiterentwicklung haben wir auch eine Menge praktische Dinge zu unterschiedlichem Grad gelernt: meditieren, Apnoe-tauchen, Chinesisch, Salsa Tanzen, Yoga, Tai Chi, Kitesurfen, Wellenreiten und ein paar Worte Portugisisch und Kisuaheli. In jedem Fall kommen wir bereichert nach Hause. Und um nichts in der Welt möchte ich diese Erfahrung, diese Weltreise missen wollen. Wenn ich die Reise nocheinmal machen könnte würde ich alles wieder genauso machen. Denn unsere Reise hat meine hohen Erwartungen noch übertroffen.

Barbara






Donnerstag, 6. November 2014

Tansania: Unser Fazit

Unser Start in Tansania war ja recht holprig. Und eigentlich konnte uns nur der bereits
gebuchte und nicht zurückerstattbare Heimflug davon abhalten, nach Äthiopien oder
Israel zu fliegen. Wir haben also fast zwei Monate in Tansania verbracht. Und das war
gut so. Denn wenn man langsam durch Tansania reist und auch die weniger
spektakulären Ecken besucht, lernt man Tansanias wahren Schatz kennen. Die
Herzlichkeit der Tansanianer.




Ich muss zugeben, dass ich anfangs etwas eingeschüchtert war. Denn in Südafrika waren wir doch oft etwas alamiert, wenn eine Gruppe arm aussehender, schwarzer Männer auf uns zu kam. In Johannesburg sollte man noch nicht mal mit seinem Rucksack auf der Straße laufen, weil man sonst ausgeraubt würde. Und da in Tansania alle schwarz sind und fast alle arm aussehen, war ich am Anfang eben ziemlich angespannt, vor allem wenn wir mit unseren Rucksäcken unterwegs waren. Die Menschen im Nordosten fand ich dann auch nicht so super freundlich, was aber wahrscheinlich an unserem schlechten Start lag. Angestellte in Hotels oder Restaurants sind oft mehr als desinteressiert und kommen fast arrogant rüber. Vielleicht ist es ein Erbe des Kommunismus, vielleicht sind sie auch nur vom Tourismus verdrossen. Im Bus starrten viele Leute nur vor sich hin und quetschten sich aneinander vorbei. Einmal war ich besonders schockiert, als eine Frau auf dem Gang eines Busses saß und sich in eine Tüte übergab. Völlig unbeeindruckt davon versuchte sich ein Mann an ihr vorbei zu drängen um dann genau über der armen Frau für mehrere Minuten stehen bzw. stecken zu bleiben. Er verschwendete aber offensichtlich keinen Gedanken daran, wie
schlecht die Frau sich seinetwegen fühlen musste. Und auch sonst kam es keinem so unsensibel vor wie mir.

Insgesamt hatte ich im Nordosten den Eindruck, dass vor allem Frauen nicht sehr respektvoll behandelt werden. Eher wie Gebärmaschinen, die nebenbei auch noch alle andere Arbeit machen. Denn auf den Feldern und auf dem Markt sieht man nur Frauen arbeiten und sie arbeiten sehr hart. Während sie dafür sorgen, dass die Kinder versorgt sind, das Haus in Ordnung ist, das Feld bestellt ist und das Gemüse verkauft wird, versucht der Mann oft das schnelle Geld zu machen. Meist nutzen die Frauen nur primitive Handwerksmittel, während die Männer die Investitionen machen, zum
Beispiel ein Boot, Auto oder Motorrad kaufen. Meist sieht man (junge) Männer zusammen stehen und Gruppen von Frauen und Kindern. Die Geschlechter bleiben meist unter sich. Natürlich ist das sehr verallgemeinert, subjektiv und überspitzt dargestellt. Aber selbst ein Mann, unser Reiseführer in Lushoto, gab zu, dass die Frauen alle Arbeit zu machen haben und die Männer die Chefs sind. Neben aller Pauschalisierung will ich nicht vergessen zu erwähnen, dass wir im Nordosten auch sehr viele nette Menschen und fleißige Männer kennengelernt haben.





Im Westen und Südwesten kamen uns die Tansanianer wesentlich entspannter und freundlicher vor als im Nordosten. Nicht nur zu uns, sondern auch zueinander. Auch hier werden Fremde mit Bruder, Schwester, Mutter, Vater, Großmutter oder Großvater angeredet.  Freunde oder Geschäftspartner stellen sich  als Bruder und Schwester vor. Die Leute reden und lachen im Bus öfter miteinander und auch der Umgang zwischen Frauen und Männern scheint mir mehr auf Augenhöhe. Was aber nichts daran ändert, dass die Aufgaben der Frauen und Männer getrennt sind und sie auch hier unter sich
bleiben. Im ganzen Land fühlen sich die Menschen, trotz kleinerer religiöser Spannungen als Tansanianer und nicht primär als Angehörige ihres Stammes. Ein Erbe der Zwangsumsiedlung während des Kommunismus in den 1960ern. Ein sehr fragwürdiges Mittel, aber letztlich wohl verantwortlich für die in Afrika seltene Stabilität des Landes. Auch das Drängeln im Bus wurde nicht weniger und gehört in diesem Land anscheinend einfach zum guten Ton. Die Menschen hier haben eine wesentlich höhere Toleranzgrenze was körperliche Nähe angeht als wir.



Im Punkto Sicherheit konnte ich meine anfänglichen Ängste schnell überwinden. Zwar war mir in Arusha, Tanga und Moshi bei Dunkelheit auf der Strasse immer noch nicht sehr wohl, und nahmen wir abends nie Wertsachen mit, aber eigentlich fühlten wir uns sicher. Tagsüber hatten wir nie Bedenken. Unsere Rucksäcke wurden auf den Fahrten ständig umgepackt, aber es fehlte nie irgendwas. Und wir hatten das Gefühl den Tansanianern vertrauen zu können. Auch das irgendwie verständliche Überhöhen der Preise für uns Weiße hielt sich abseits der Touristenpfade in erträglichen Grenzen. Die Frauen fragten meist einen so kleinen Aufpreis, dass wir ihn gerne bezahlt haben; die Frauen habe ich sowieso lieber unterstützt. Die Männer hatten aber oft keine Vorstellung davon, ob der 100-fache Preis vielleicht auch noch zu bekommen sei. Weiß man aber den echten Preis und fragt danach, lachen sie oft nur und sind einverstanden. Diese ganzen guten Aussagen treffen nur auf eine Ausnahme: die am Busbahnhof wartenden Schlepper, die wir kaum einmal abschütteln konnten und die oft so lange an uns zerrten und auf uns einredeten bis wir uns gegenseitig ankeiften.

Tanzania ist nicht wirklich auf Backpacker eingerichtet, jedenfalls nicht auf Backpacker mit wenig Zeit. In die meisten Nationalparks kann man bequem einfliegen und dann für schlappe 150-1000$ pro Person und Tag dort verweilen. Offensichtlich setzt die Regierung auf Upmarket-Tourismus mit teilweise utopischen und nicht wettbewerbsfähigen Preisen. Die dafür nötigen hohen Investitionen können nur von der Regierung oder ausländischen Investoren getätigt werden. Was heißt, dass das Geld der Touristen in die Kassen der korrupten Regierung oder ins Ausland fließen, während kleine private inländische Unternehmer kaum etwas vom Kuchen abbekommen. Hostels und Busse mit westlichem Standard gibt es nur in und zwischen Arusha, Moshi und Dar es Salaam. Gute Budget-Hotels findet man aber in allen größeren Städten des Landes, weil es dort inländische Geschäftsleute gibt. In abgelegenen kleineren Orten findet man jedoch häufig entweder nur sehr sehr einfache Unterkünfte für 3 Euro, oder aber die bereits beschriebenen luxuriösen Unterkünfte.
Transporttechnisch kann man statt des Charterflugs auch ein Auto mieten, was aber auch ziemlich teuer ist. Wesentlich günstiger, unbequemer und authentischer kann man mit den überall verkehrenden von Einheimischen genutzten Transportmittel fahren - mit den Minivans, Kleinbussen, Motorrädern, Zügen und Pickups.





Um diese Transportmittel zu benutzen ohne einen Wutanfall zu bekommen, braucht man aber Zeit und eine Eigenschaft, die charakteristisch für die Tansanianer ist: Sie erdulden alles klaglos. Fast würde ich sagen stoisch: Alle Sitze im Kleinbus sind besetzt, aber wir warten noch eine halbe Stunde auf weitere Gäste, die dann noch zwischen einen gequetscht werden. Der Busfahrer oder der Sitznachbar hört seine Lieblingsmusik in Diskolautstärke. Die Polizei verhört vier Businsassen auf dem Revier und lässt derweilen alle anderen 50 Passagiere vier Stunden im Bus in der prallen Sonne sitzen. Der Zug kommt 12 Stunden zu spät, ohne das es sich dabei um höhere
Gewalt handelt und vor allem ohne jegliche Erklärung geschweige denn Entschuldigung. Es beschwert sich nie jemand. Noch nicht mal einen bösen Blick gibt es. Und wir sitzen dazwischen und können nicht an uns halten. Das ein oder andere mal haben wir den Busfahrer gebeten die Musik leiser zu drehen oder den Stecker aus dem plärrenden Fernseher beim Frühstück gezogen. Ansonsten üben wir uns in Gelassenheit. Denn zum Glück haben wir ja Zeit.


Eine andere Eigenschaft der Tansanianer ist ihre Tendenz auch mal Fünfe grade sein zu lassen und nicht vorrausschauend zu reparieren. Tendenz ist wohl untertrieben, eigentlich ist das ein Dauerzustand. Die Wände eines Hauses müssen nun wirklich nicht gaaanz grade sein, der Tisch muss auch nicht nach jedem Essen abgewischt werden, auch der nächste Gast kann das Bettlaken nochmal benutzen. Dazu passend werden Dinge erst repariert, wenn sie gar nicht mehr funktionieren, und dann auch nur notdürftig. Kaum jemand wartet dein Haus oder seine Maschinen, lieber wird neugebaut als renoviert. Worauf die Tansanianer überall im Land aber peinlichst genau achten, ist, dass jeden morgen rund ums Haus gefegt wird. Da gibt es keine Kompromisse.

Alle größeren Projekte in Tanzania, vom Straßenbau im unterentwickelten Westen, Unterwasser-Stromleitungen zwischen Festland und Sansibar, aber auch einfache Wasserleitungen in Dörfern in unmittelbarer Nähe des Kilimanjaro: alles wird durch ausländische Regierungen finanziert. Und auch im Kleineren werden Schulen, Krankenhäuser, Waisenhäuser fast immer von ausländischen Hilfsorganisationen oder Kirchen betrieben. Fast alle der Reisenden die wir getroffen haben, haben hier Freiwilligenarbeit geleistet. Die Menschen hier sind sehr dankbar für diese Hilfe und einer sagte uns, dass er sehr froh sei, wenn er Weiße sehe, weil er wüsste, dass sie helfen würden. Bei all der gutgemeinten Hilfe, die auf einer Einzelfallperspektive bestimmt weiterhilft, bin ich mir nicht sicher ob sie dem Land als Ganzes gut tut. So wurde das von Dänemark einst in den siebziger Jahren installierte Unterwasserstromkabel nicht gewartet, was zu einem viermonatigen Blackout auf der  Touristeninsel Sansibar führte. Statt die Regierung dafür verantwortlich zu machen, wartete man auf ausländische Hilfe. Die auch promt kam: die UN stiftete ein neues Kabel. Ähnlich sieht es mit den Fähren und Zügen aus. Sie werden nicht gewartet, nicht repariert, man nutzt sie so lange bis endlich neue aus dem Ausland kommen. Teilweise ist, glaube ich, auch das Wissen nicht da um diese Dinge zu warten. Anderseits kann es auch sein, dass oft einfach der Wille oder die Notwendigkeit fehlt.

Thorben und ich schwankten während unseres gesamten Aufenthalts zwischen zwei Gemütszuständen. Einerseits ist der Transport anstrengend und unbequem, das Essen jenseits von Sansibar eintönig und geschmacksarm (Reis, Bohnen, Ugali, Spinat, gekochtes Fleisch, keine Gewürze) obwohl es auf dem Markt viel frisches Gemüse gibt und die interessanten Atraktionen sind unsagbar teuer (Nationalparks): wir wollen hier weg. Andererseits hatten wir in kaum einem anderen Land so engen Kontakt mit der Bevölkerung, wurden von Fremden nach Hause eingeladen und strengten sich die Leute so an, unsere minderbemittelten Sprachkenntnisse und Zeichensprache zu verstehen: es ist die Mühe wert!

Sprachkenntnisse sind der Schlüssel zu den Herzen der Tansanianer. Anfangs hatten wir uns damit begnügt ein paar Begrüßungsformeln und die Zahlen bis 10 auswendig zu lernen. Nachdem wir während unserer 12 stündigen Wartezeit am Bahnhof eine Reisende kennenlernten, die bereits kleine Gespräche führen konnte, war mein Ehrgeiz geweckt. Auf der 30 stündigen Zugfahrt lernte ich die halbe Sprachsektion des Reiseführers auswendig und konnte damit bereits Essen bestellen, nach einem Zimmer fragen, Zeitangaben machen, nach einem Bus oder dem Weg fragen, Zahlen und Preise verstehen und ab und zu ein paar Wörter aufschnappen, die zusammen mit unserer Phantasie im touristisch wenig entwickelten Westen und Südwesten schon sehr viel weiterhalfen. Für einen nächsten Tansaniaaufenthalt würde ich auf jeden Fall noch etwas mehr Kisuaheli lernen. Denn es ist nicht schwer und macht den Aufenthalt so viel interessanter. So viele Menschen wollten sich mit uns unterhalten und leider blieb es wegen unserer limitierten Sprachkenntnisse meist nur beim kurzen Austausch von Floskeln, wenn unser Gegenüber kein Englisch sprach.




Am Ende denke ich, dass Tansania definitiv die Mühe wert war. Das Land ist zwar, jedenfalls so wie wir es bereist haben, kein erholsames Urlaubsziel, aber es ist ein sehr sicheres, sehr authentisches Reiseziel. Wenn man auch überall als Mzungu auffällt, wird man nie feindselig angeschaut. Im Gegenteil, meist wird man neugierig bestaunt, manchmal sogar herzlich aufgenommen. Und immer wenn man es am wenigsten erwartet, sorgen die Tansanianer dafür, dass man sich richtig willkommen fühlt. Ganz zu schweigen von der wunderschönen und abwechslungsreichen Natur von Seen zu Bergen, von Steppe zu Strand, von Wüste zu Regenwald und von Schimpansen zu Delfinen. Unsere Favoriten waren ein Abstecher nach Bagamoyo und unsere Tour von Dar-Es-Salaam mit dem Zug nach Mbeya, Tukuyu und Matema, in den gastfreundlichen und entspannten Südwesten des Landes. Aber auch Sansibar hält mit türkisem Wasser und weißen Stränden was es verspricht. Nur am Essen, da müssten sie jedenfalls auf dem Festland wirklich noch arbeiten.

Sonntag, 2. November 2014

Mit Delfinen schwimmen

Auf Sansibar kann man mit Delfinen in ihrer natürlichen Umgebung im Meer schwimmen. Davon rät einem der Reiseführer jedoch ab, weil die armen Delfine mit Motorbooten verfolgt werden, damit die zahlende Kundschaft nur noch ins Wasser springen muss und schon die Tiere sehen kann. Kein geduldiges Warten auf die Delphine ist nötig und Dank der von morgens bis abends vorhandenen Boote muss man nicht lange nach den Tieren suchen. Man fährt einfach dahin, wo bereits zig andere Boote sind. Das hört sich unverantwortlich an und mein Gewissen riet mir von dem Ausflug ab. Aber die Aussicht mit Delphinen schwimmen zu können, sie in freier Wildbahn zu sehen, war für mich dann doch zu verführerisch. Es war Nebensaison und so viele Leute konnten schließlich nicht dort sein.


Als wir in Kizimkazi ankamen, wo die Boote abfahren, war es genauso wie befürchtet. Unfreundliche Geschäftemacher schoben einen aus dem Auto zum Stand mit der Schnorchelausrüstung und von dort zu den Booten. Mir war ganz elend, weil ich mich so auf ein Naturerlebnis gefreut hatte und mir jetzt vorkam wie in einer Abfertigungsanlage. Trotzdem fuhren Thorben und ich mit dem Boot raus. Kurze Zeit später sahen wir acht Motorboote und bekamen das Kommando: "Jump". Hastig zog ich mir die Taucherbrille über und stolperte mehr als ich aus dem Boot sprang. Ich war noch immer irritiert von der bisher noch nicht dagewesenen tanzanianischen Effizienz mit der man zu den Delfinen befördert wurde - ohne jegliches Gespür für ein Naturerlebnis.


Dann bin ich unter Wasser und schwimme ohne große Vorfreude drauf los. Auf einmal sehe ich völlig unverhofft direkt unter mir vier Delfine, die völlig losgelöst umeinander kreisen. Ich bin verzückt und vergesse alles um mich herum. Irgendwann tauchen die Delfine ab und sind erst mal weg. Ich schaue mich um, sehe Thorben und wir werden von unserem Bootsfahrer wieder eingesammelt. Das war wirklich toll. Und was noch besser ist, wir schauen uns nach einer anderen Delfingruppe um und dürfen nochmal ins Wasser. Und nochmal, und nochmal. Mittlerweile springe ich bereits mit Leichtigkeit aus dem Boot und klettere genauso schnell wieder hinein. 


Die Delphine schwimmen teilweise so nah an mir vorbei, dass ich nur die Arme ausstrecken müsste, um sie zu berühren. Aber da ich sicher bin, dass die Tiere das nicht besonders gerne mögen, begnüge ich mich damit, sie anzuschauen und mit ihnen zu schwimmen. Für mich ist es schwer einzuschätzen, aber es scheint mir, dass es den Delfinen wenig aus macht, dass bis zu 10 Menschen um sie herum schwimmen und fast genauso viele Boote um sie kreisen. Sie sind die meiste Zeit mit sich beschäftigt oder tauchen ab, wenn sie keine Lust mehr haben. Alternativ machen sie ein paar kräftige Bewegungen mit ihren Schwanzflossen und sind außer Sichtweite.


Für mich war das Erlebnis die Erfüllung eines Kindheitstraums. Ich bemerkte die Leute um mich herum kaum und war begeistert von den eleganten Tieren. Besonders angetan hatte es mir ein Delfin, der sich von seiner Gruppe entfernt hatte. Er schwamm ganz nah zu mir hin, als ob er erkunden wollte, wer ich denn sei. Langsam schwamm er weiter und ich neben ihm her. Bis die Mitglieder seiner Gruppe von hinten herangeschwommen kamen, den Delphin in die Mitte nahmen und mit ihm wegschwammen. Das Erlebnis war einmalig, einmalig schön. Ich lächelte in meine Taucherbrille und sah ihnen nach.

Trotz meines schlechten Gewissens und in der Hoffnung, dass sich die Delfine von uns nicht zu sehr gestört fühlten, genoss ich das Naturerlebnis. Hautnah mit wilden Delfinen im offenen Meer zu schwimmen.










Montag, 27. Oktober 2014

Wilder Westen und naher Osten


Wir sitzen in Sansibar am Strand. Nicht irgendein Strand, sondern einer der schönsten, die wir auf dieser Reise und überhaupt je gesehen haben. Diese Strandtage hatten wir lange geplant, um uns am Ende der Reise nochmal so richtig zu entspannen und um erholt zu Hause an zu kommen.

Viele werden vielleicht denken, dass wir uns doch jetzt ein ganzes Jahr lang ausgeruht haben, aber das stimmt nicht ganz. Wir hatten zwar mehr Freiheit als je zuvor und konnten "der Nase nach" reisen, aber oft war das Reisen eher spannend als entspannend. Und unsere Tour durch den wilden Westen von Tansania ist ein gutes Beispiel dafür. Es gibt kaum Touristen, die Infrastruktur ist  schlecht, und manchmal fühlt man einfach, dass man dem Kongo näher ist, als den Condor-Flugzeugen. Die Tage dort könnten kaum unterschiedlicher sein zu den Tagen hier auf der Urlaubsinsel Sansibar.

Um direkt mal mit dem Wichtigsten anzufangen, das Essen ist kaum vergleichbar. In vielen kleineren Orten im Westen (und die sind alle klein) muss man Glück haben, um ein Restaurant zu finden. Oft sind sie nicht gekennzeichnet; eigentlich ist es nicht mehr als eine Mama, die auf Anfrage auch für andere kocht. Da man sich kennt, braucht es kein Schild, und dass geöffnet ist erkennt man an dem Wassereimer und der Seife-Flasche vor der Tür. Wenn man fragt, was es denn gibt (auf Suaheli, denn nur wenige dort sprechen englisch) ist die Antwort unweigerlich: "Reis, Ugali, Huhn, Fleisch". Nur morgens nicht, dann lautet die Antwort:"Chapati, Ei, Tee". Nach Gewürzen oder Zubereitung wird nicht groß unterschieden. Ist auch nicht nötig, denn Essen soll vor allem satt machen. Hier auf Sansibar dagegen haben die meisten Restaurants Leute, die Passanten ansprechen, es gibt Speisekarten, auf denen so etwas wie "in Kokosnuss", "Cajun-Style", oder "Mediterran" steht. Es gibt Dachterassen und Strandblick, es ist eine andere Welt.

Ähnlich ist es mit den Unterkünften. Wenn man mal die 500$ Luxuslodges in den Nationalparks weglässt, dann gibt es in den Orten und Städten im Westen wenn überhaupt nur kleine Hotels, die auf lokale Reisende zielen. Wir haben uns davon meist die besseren rausgesucht, und für um die €10 pro Nacht einen ganz ordentlichen Wert bekommen. Gut, das Moskitonetz konnte auch schon mal ein Loch haben, den Vorhang lässt man genau in der Stellung, in der man ihn vorfindet, weil er sonst bestimmt runter fällt und im Bad besteht die Dusche (Warmwasser geht grade heute nicht) aus einem Wasserhahn und einem Eimer am einen Ende des Raumes und einem Abfluss am anderen Ende. Dazwischen das Klo... In Sansibar haben wir dagegen das Budget mal so richtig aufgedreht. Und weil die Saison hier fast vorbei ist, bekommen wir auch hier so richtig was für unser Geld. Klimaanlage, tolles Bad, Frühstück auf der Dachterasse, schnelles Internet und so weiter. Ich habe sogar zum ersten mal im Leben einen Turn-Down-Service erfahren dürfen.

Und um die Kernthemen des Reisenden abzuschließen: ja, auch der Transport ist hier anders. In Kasanga sollte uns um 4:30 morgens ein Motorradtaxi abholen kommen und zum einzigen Bus des Tages bringen. Weil das aber zu spät war fuhren wir ein Stück mit einem Landrover mit der zufällig vorbei kam, bis wir die letzten 200m bis zur Hauptstraße und Bushaltestelle laufen mussten, weil der Weg auch für Allradfahrzeuge unpassierbar war. Hier auf Sansibar war es für die Dame im Hotel eine mittlere Sensation, dass wir von der Hauptstadt Stonetown an den Strand nicht das Hoteltaxi für $50 nehmen wollten, sondern den öffentlichen Nahverkehr für $3,50. Von den Booten auf dem Tanganjikasee haben wir ja bereits berichtet, nach Sansibar brachte uns eine Fähre, die über 50kmh schnell fährt und aussieht, wie ein Rennboot.

So weit geht der Kontrast zwischen unseren Erlebnissen hier auf Sansibar und  denen im Westen, dass wir es sogar an der Musik fest machen können. Mit dem Westen verbinde ich vor allem das laute Geplärre der Bongo-Flava genannten Dudelmusik in Bussen. Viele Busse haben nur einen einzigen Lautsprecher in der Mitte, und der wird dann so aufgedreht, dass der Fahrer und der Schaffner ganz vorne gut hören können. Selbst mit Taschentüchern in den Ohren bzw Barbaras spezialangepassten Ohrenstöpseln waren so manche mehrstündige Busfahrten echte Tests der Nerven. Auch, weil sobald der Bus und damit die Musik in den Pausen mal ausging, garantiert jemand auf dem Nachbarsitz sein Handy rausholt, und darauf etwas leiser, aber dafür mit noch plärrenderem Sound weiter hört. Hier auf Sansibar haben wir bisher leise angenehme Lounge- oder Reggae-Musik beim Cocktail zum Sonnenuntergang gehört, und einmal im Restaurant ein tolles Konzert einer Gruppe gehört, die arabisch klingende Taarab-Musik spielte.

Dass die Musik so arabisch klingt ist im übrigen kein Zufall. Während das Festland erst Mitte des 19. Jahrhunderts unter den Einfluss von europäischen Mächten kam (erst Deutschland, später England), gehörte Sansibar und die direkt gegenüber liegende Suaheli-Küste schon seit Jahrhunderten zu der arabischen Welt und war seit ein paar Generationen Teil des Oman. Bis heute ist das Binnenland in der großen Mehrheit christlich, die Küste und Sansibar dagegen fast ausschließlich muslimisch. Man erkennt das im übrigen nicht nur an den Kirchen und Minaretten, sondern vor allem an den Frauen. In Afrika tragen zwar die meisten Frauen Kopfbedeckung, aber in Stonetown ist auch die Vollverschleierung gang und gäbe. Während am Malawisee oft Frauen oben ohne am Strand die Wäsche, sich selbst und die Kinder waschen ist das hier undenkbar.

Was natürlich bei all dem Annehmlichkeiten ein wenig auf der Strecke bleibt, ist der Kontakt zu Einheimischen. Klar, ganz einfach war es auch im Rest vom Land manchmal nicht. Vor allem die Sprache ist manchmal ein unüberwindliches Hindernis. Aber da viele Tansanianer sehr freundlich und offen sind, hatten wir oft nette Begegnungen - und seien es nur Halbunterhaltungen, die sich auf die Begrüßungen beschränkten. Aber Begrüßungen machen hier ja auch gefühlte 50% der Unterhaltung aus. Wenn man jemanden trifft, dann ist der Standard-Anfang:
- Mambo. (Alles klar?)
   - Poa. (Mir gefällt es)
- Habari? (Nachrichten/ was gibts Neues?)
   - Mzuri. (Gut)
Wenn wir dies halbwegs souverän hinbekamen freuten sich viele so sehr, dass sich oft ein direkter Wortschwall auf Kisuaheli anschloss. Der outete uns zwar schnell, aber immerhin war das Eis gebrochen und der Rest der Begegnung erfolgt mit Händen, Füßen und je ein paar Worten englisch und kisuaheli. Auf Sansibar dagegen dröhnt einem meist schon von 100m Entfernung ein "Jambo" entgegen, was dann auch mit "Jambo" zu beantworten ist. Das ist die vertouristisierte Version eines noch anderen Grußes (Ujambo/Sijambo). Sagt so eigentlich kein Mensch, aber man hat wohl mitbekommen, dass es bei Touristen gut ankommt und selbst für Sprach-Linkshänder einfach genug ist. Der Rest der Unterhaltung erfolgt dann auf englisch, ist meistens ein Verkaufsgespräch und wird lediglich in sehr kurzen Abständen mit den Klischee-Ausdrücken "Pole pole" (langsam/ruhig) oder mit "Hakuna matata" (Kein Problem) gewürzt. Für mich fühlt es sich an, als ob man wie ein Kind behandelt wird.

Apropos Kind... Die Kinder im Westen sind wesentlich weniger am Weiße gewöhnt als auf Sansibar. Einmal stürmte eine ganze Schulklasse auf die Straße, als wir mit dem Fahrrad an ihrer Schule vorbeifuhren, um bei uns abzuschlagen, oft kamen Kinder aus den Häusern gestürmt und riefen ihren Geschwistern oder uns aufgeregt "Wasungu" (Weiße) zu. Manchmal winkten sie auch. Wenn wir aber zufällig nah an ihnen vorbeikamen, verstecken sich manche auch gerne hinter ihrer Mutter. Auf der Fähre fing sogar ein Mädchen bei Barbaras Anblick an zu weinen. Auf Sansibar sind die Kinder weit weniger aufgeregt und scheu, wenn sie uns sehen. Trotzdem rufen sie gerne Mambo und winken uns. Ganz selten fragen sie auch mal nach Geld, Süßigkeiten oder Stiften. Das Verhalten haben sie wohl von den Touristen gelernt.

Und zu guterletzt sollte nicht unerwähnt bleiben, dass natürlich die Preise auf der Insel andere sind. Nicht nur sind sie mindestens doppelt so hoch, sie sind sogar in einer anderen Währung angegeben. Tansania hat natürlich eine eigene Währung, den Shilling (Tsh). Der hat aber den Nachteil, dass er in kleinen Portionen daher kommt. Etwa 2100Tsh sind ein Euro. Eine Bootstour zu den Delfinen kann also schnell mal an die hunderttausend Shilling kosten und das klingt nach richtig viel Geld. Daher wird hier vieles, das an Touristen verkauft wird, lieber in Dollar angegeben. Klingt direkt viel netter - und verwirrt vielleicht den ein oder anderen noch mehr, so dass er am Ende drauf zahlt. Leider sind wir aber recht gut im Kopfrechnen. Jedenfalls besser als die meisten Beachboys hier, und so haben wir oft in Dollar angefangen zu verhandeln, und wenn dann nichts mehr ging, auf Shiling weiter gemacht. Das hat sich eigentlich immer gelohnt.

Nach allen diesen Unterschieden und der ausgeprägten Touristeninfrastruktur findet man aber auch auf Sansibar inmitten der schicken Resorts und gediegenen Hotels noch das tanzanianische Leben. So nehmen wir am Rande von Stone Town wie gewohnt die überfüllten Daladalas und kaufen auf dem Markt ein oder es hilft uns ein Jugendlicher, der grade aus der Moschee kommt, den Weg durch die verwinkelten Gassen zum Hotel zu finden. Auch am Strand sieht man in der Mittagszeit vor allem Frauen durch das Watt waten, um dort Kokosnussschalen zu vergraben und später auszubuddeln (aus den Fasern werden Kordeln geflochten), oder um Würmer zum Angeln zu suchen. Und früh morgens sind die Fischer mit ihren Segelbötchen unterwegs. Im Inselinneren lässt dann auch gar nichts mehr an den Touristenluxus erinnern und man kann das lokale Leben erkunden. Aber dieses eine mal haben wir überhaupt keine Lust dazu und faulenzen lieber am weißen Strand unter den sanft geschwungenen Palmen oder baden im (zu) warmen türkisen Meer.

Freitag, 24. Oktober 2014

Wie die Sardinen auf dem Tanganjikasee

Unsere Fahrt auf der über 100 Jahre alten Fähre MV Liemba ist für viele Nostalgiker ein Traum. Wir haben hier Leute getroffen, die vor 4 Jahren schon hier waren und extra wieder bekommen sind um auf dem Schiff zu fahren. Ganz so motiviert waren wir nicht, aber die Abfahrt (die nur alle 2 Wochen ist) passte gut in unseren Plan. Als letztes größeres Abenteuer, bevor uns die Rumpelbusse nach Hause (bzw nach Dar-Es-Salaam und Sansibar) fahren, fuhren wir also den Tanganjikasee von Norden nach Süden herunter. Wenn man sich eine Afrikakarte anguckt, dann ist der See das lange schmale blaue Ding ziemlich in der Mitte. Und weil Afrika groß ist, dauerte die Fahrt auch mehr als zwei Tage.

Unsere Fahrt war erst die zweite überhaupt nach einer monatelangen Generalüberholung durch deutsche Ingenieure. Und die Fähre sie jetzt auch genau so aus. Als wir eine Stunde vor dem Ablegen auf das Boot kamen und unsere Kabine betraten, war alles sehr schön gediegen. Die Kabinen (der ersten Klasse) sind schick renoviert. Fenster öffnen und schließen, der Wasserhahn tropft nicht und es gibt Gardinen und - besonders selten - Mückengitter ohne jegliche Löcher. Gut, die Glühbirnen der Bettlampen sind weg und der kaputte Ventilator einer Kabine wurde kurzerhand durch den einer anderen Kabine ersetzt. Aber immerhin sind wir ja in Afrika und insgesamt machte das Boot einen tollen ersten Eindruck. Um die Kabinen herum lief ein offener Gang, von dem man den Hafen und die Landschaft beobachten konnte, es gab ok aussehende Toiletten und sogar ein Restaurant.
Die Liemba im Hafen von Kigoma

Soweit der erste Eindruck, bei dem man sich schon ein wenig in Kolonialzeiten zurück versetzt fühlen konnte. Danach wurde es afrikanischer.

Um kurz vor 16:00 (der geplantren Abfahrtszeit) fing ein Strom von Leuten an, das untere Deck des Boots zu füllen. Und zwar mit Menschen, Koffern, Betten, Säcken, 2 Bergen Ananas, etwa 50 Bootsmasten, und überhaupt mindestens doppelt so vielen Dingen und Menschen, wie passen konnten. Abfahrt war zu diesem Zeitpunkt auf "ungefähr um 6" verschoben. Für uns war das Beladen des Bootes interessant anzuschauen. Vom erste-Klasse-Deck hatte man eine schöne Übersicht und wir bewunderten, die Träger, die riesige und schwere Lasten auf das Boot trugen. wir bemitleideten, die Leute, die so unglaublich eng gedrängt standen, während wir es mehr als komfortabel hatten. Da wussten wir aber auch noch nicht, dass wir bald mitten drin sein würden.
Da lacht er noch...

Der Korb ist randvoll mit Ananas. Mindestens 50kg


Ich habe den Spruch gehört, in Afrika sei es vor allem wichtig, dass alles so aussieht als ob. Die Realität hinter der Fassade sei weniger wichtig. Eine Kostprobe dieser Theorie bekamen wir schnell geliefert. Im Hafen sorgte der erste Offizier erst dafür, dass das erste-Klasse-Deck frei blieb. Mit großen Gesten, Gebrüll und hochrotem Kopf verscheuchte er erste jeden, der die Treppe hoch kam. Etwas später gab er die Losung aus, dass Frauen mit kleinen Kindern hoch kommen durften, weil es in den Laderäumen zu heiß und eng für sie sei - andere Passagiere aber nicht. Nachdem wir dann aber abgelegt hatten war er nicht mehr zu sehen, und einer nach dem anderen kletterten immer mehr Leute auf unser Deck hoch. Als wir um 10 Uhr schlafen wollten, war kein einziger Quadratzentimeter Boden mehr frei und wir mussten über schlafende, redende, essende, telefonierende und stillende Leute klettern. Insgesamt war das ganze Boot so eng belegt, dass wir einerseits froh waren, eine eigene Kabine zu haben, andererseits aber die gereizte Atmosphäre insgesamt zu spüren bekamen, weil längst nicht für jeden ein Plätzchen zum schlafen auf dem Boden oder auf irgendwelcher Fracht zu finden war.

Das richtige Spektakel startet aber erst bei den ersten Zwischenstationen. Die allermeisten Orte haben keine Anleger, an denen die MV Liemba festmachen kann, deswegen kommen von den Orten her kleinere und größere Holzboote angefahren, die bei uns festmachen, Ladung und Passagiere übergeben und übernehmen und dann wieder an Land fahren. Wer am Main, an der Nordsee order irgendwo sonst auf der Welt schon einmal gesehen hat, sollte dieses Bild am besten direkt vergessen. Das hier ist Afrika, und hier funktioniert anlegen anders.

Wenn sich die Liemba einem Ort nähert, stoppt sie fast einen Kilometer vom Ufer entfernt und hupt. Für die Boote am Ufer ist das das Startsignal und wir sahen wilde Wettrennen auf uns zu kommen. Wenn die Boote bei uns ankamen waren sie immer mit mindestens 6 jungen Männern als Besatzung, dazu Ladung bis an die Kante und oben drauf Passagieren besetzt. Die Besatzung schreit wie wild rum und gestikuliert. Dazu versucht sie, jemandem auf der Liemba ein Seil zu zu werfen. Ich sage "versucht", weil das nie beim ersten mal klappt. Die Seile sind immer sehr kurz gehalten, und dazu ist die Reling der Liemba 2-3 Meter höher und vom schwankenden Bötchen zielt es sich nicht gut. Wenn dann doch mal ein Seil gefangen und fest gemacht wurde kam meistens ein anderes Boot dazwischen gefahren und rammte das erste wieder weg. Jedes der 5-10 Boote will den besten Platz haben. Und weil jedes Boot mehrere Mann Besatzung hat, brüllen jede Menge Männer minutenlang wild durcheinander.
Eines unserer Zuliefererboote

Säcke voll mit Sardinen

Wenn dann alle so halbwegs angelegt haben, gilt:"Nach dem Chaos ist vor dem Chaos". Es ist nämlich so, dass die Bootsfahrer von den Passagieren bzw den Besitzern der Ladung bezahlt werden. Und weil sie die Ladung vom Hinweg ja schon sicher und abkassiert haben, kümmern sie sich vor allem darum, neue Leute und Ladung auf ihr Boot zu bekommen. Das heißt also, dass Boote in mindestens zwei Reihen liegen und gleichzeitig (!) auf- und abladen. Dabei hat unsere Reling nur eine Öffnung von etwa zwei Metern Breite und die kleinen Boote schwanken gut und gerne 1-2 Meter auf und ab. Für etwa 15-30 Minuten gibt es also einen riesigen Aufruhr, mit Brüllen, Rufen, Gedränge, mit getragener und geworfener Ladung - wobei auch kleinere Kinder durchaus mal an einem Arm über die Reling gereicht werden. Frauen schaffen es nicht die hohe Stufe hoch, weil sie gleichzeitig ihren Koffer auf dem Kopf haben und ein Baby auf dem Rück. Von hinten schieben andere nach, während von oben jemand einen Sack Mehl auf das kleine Boot wirft, der auch prompt zerplatzt.

Um das ganze abzurunden, schwebt oben drüber ein Ladekran, mit dem zum Beispiel 1 Meter dicke und drei Meter lange Säcke mit eingepackten Sardinen gehoben werden. Der Kranführer wird jederzeit von mindestens fünf verschiedenen Männern lautstark dirigiert.

Neben Fisch haben wir auch zwei riesige Haufen Ananas geladen, von denen an jedem Hafen etwas verkauft, bis am Ende kaum noch etwas da war. Dazu kommen Stapelweise Möbel, hunderte Kisten Cola, unzählige verdötschte Pakete mit unbekanntem Inhalt, Wellblech, Holzmasten für kleine Segelboote, zahlreiche Matratzen, Bananenstauden und so weiter. Alles komplett ohne erkennbares System verstaut.

Die Liemba ist für viele der Leute ihr einziger Kontakt zur Außenwelt und der einzige Weg ihre Produkte zu kaufen und zu verkaufen. Damit sind sie also sozusagen Profis. Obwohl ich ehrlich gesagt, noch nie so eine Ansammlung von hoch engagierter und improvisierter Unfähigkeit gesehen habe. Ich würde sagen, mit etwas Plan ginge es doppelt so schnell und halb so gefährlich - irgendwie geht da doch mein Berater-Herz mit mir durch.

Beispielsweise brachte es ein Boot fertig, dass in der Zeit in der die Jungs der Besatzung die Kranhaken an den riesigen Fischsäcken befestigte, sowohl die alten Passagiere ausstiegen, als auch von anderen Besatzungsmitgliedern schon wieder neue Passagiere aufgeladen wurden. Zuerst versuchten sie dann alle Passagiere auf die Kanten des Bootes zu bitten - oder eher zu brüllen und zu fuchteln - bevor sie erkannten, dass das nichts wird. Denn die Passagiere brüllten zurück und bewegten sich nicht. Also legte das Boot ab, fuhr ans Ufer und kam zehn Minuten später ohne Passagiere wieder, um die Ladung zu übergeben.

Unsere zwei Tage auf dem wegen der Überfüllung nicht besonders komfortablen Boot gingen also mit Dösen, Lesen und Beobachten vorbei. Besondere Höhepunkte waren dabei zum Beispiel, die zwei male als sich uns Boote mit schick angezogenen Frauen näherten, die sangen und trommelten. Sie kamen jeweils ein Braut abholen, die im Dorf zur Hochzeit erwartet wurde. Aber trotz aller Faszination waren wir doch sehr froh zu wissen, dass unsere Haltestelle in Kasanga (formerly known as Bismarckburg) die einzige mit einer echten Anlegestelle sein würde.

Anfangs unmerklich, dann aber immer deutlicher leerte sich das Schiff mit jedem Dorf ein wenig. Und das war auch gut so. In der unglaublichen Enge anfangs, hatten wir nämlich deutlich das Gefühl, dass auch die Tansanianer ihre Hakuna-Matata-Lockerheit verloren und viele recht gereizt schienen. Kein Wunder, wenn man es nicht mal schafft, einen Platz zum schlafen zu finden. Die Situation wurde auch dadurch nicht verbessert, dass Tansanianer zwar meistens sehr geduldig sind, aber selten rücksichtsvoll. Immer wieder sahen wir zum Beispiel junge Männer, die sich lautstark über Schlafende hinweg unterhielten oder auch auf ihren Handys Musik hörten.

Wir in der ersten Klasse hatten es besser, da wir eine Kabine hatten und zum Beispiel daher auch nicht dauernd auf unser Gepäck aufpassen mussten. Der für alle sichtbare und spürbare Unterschied zwischen unserem und dem Schlafplatz der Dritten Klasse führte zu Spannungen.  Zum ersten mal auf unserer Reise durch Tanzania wurden wir ab und zu feindseelig angeschaut und fühlten uns in mitten der armen Passagiere unwohl. Tagsüber wussten wir teilweise gar nicht wo wir uns aufhalten sollten, weil alle Sitz- und Stehgelegenheiten überfüllt waren, so zogen wir uns öfters auf das eigentlich der Crew vorbehaltene oberste Deck zurück. Um abends in die Kabine und nachts aufs Klo zu können, stiegen wir über die vor unserer Kabine kampierenden und schlafenden Passagiere. Die auf 20 Leute ausgelegten Toiletten und Duschen der ersten Klasse wurden von mindestens 200 Leuten benutzt und waren somit im Dauereinsatz, zusätzlich wurden dort Kleidung und Babys im Waschbecken gewaschen.

Teilweise kamen uns bei der Enge Bilder in den Kopf von Flüchtlingsbooten, die in Süditalien landen. Dieser Gedanke ist übrigens gar nicht so ganz falsch, denn das Schiff wird immer mal wieder auch dazu genutzt, Flüchtlinge über den See in den Kongo oder nach Burundi zurück zu bringen. Ich will gar nicht dran denken, wie viele Leute dann auf dem Schiff sind.

Als wir in Kasanga ankamen war unser Boot fast leer und es war etwa 17:30 Uhr - geplant war 3:00 morgens. Ein letzter Akt von "typisch afrikanisch" kam uns dann noch ganz gelegen. Kasanga ist der letzte Hafen in Tansania, bevor das Schiff nach Sambia weiterfährt. Daher kommt dort ein Beamter der Immigration an Bord, um unterwegs die Formalitäten der Passagiere zu erledigen. Da dieser Herr aber nach 17:00 nicht mehr arbeitet, blieb das Schiff einfach übernacht im Hafen liegen. Wir konnten also noch einmal auf dem jetzt merkwürdig ruhigen Schiff übernachten, bevor wir am nächsten morgen um 5:00 per Bus über eine abenteuerliche und in der Regenzeit nicht passierbare Piste mit dem Bus zurück nach Mbeya und in die Zivilisation fuhren.

Dienstag, 21. Oktober 2014

Janes Schimpansen

Vor ca. 20 Jahren habe ich einen Film gesehen, in dem eine Forscherin eine Gruppe Schimpansen zunächst beobachtet und schließlich mit ihnen zusammen gelebt hat. Die Forscherin hieß im richtigen Leben Jane Goodall und ich bewunderte sie. Auf dieser Reise hatten wir die Gelegenheit den Nationalpark von Jane Goodall zu besuchen und die Schimpansen genauso nah wie sie zu erleben. Mit dem Unterschied, dass Goodall mit den Schimpansen interagierte und die Schimpansen uns wie Bäume behandelten.

Generell mag ich Affen eigentlich nicht so sehr. In Indien und Malaysia habe ich sie als nervige Biester kennengelernt, die einem alles klauen was man nicht mit eisener Hand festhält, bevorzugt natürlich Essen und Getränke, aber sonst auch gerne Handtaschen. Schimpansen sind aber anders. Sie wirken wesentlich aufgeweckter und zum Teil sehr menschlich.


Am lustigsten zu beobachten war ein zwei Monate altes Affenbaby. Es hatte großen Spaß daran sich an den  Lianen umherzuhangeln, sich mit den Füßen festhaltend über Kopf an ihnen herunter zu baumeln und auf allen anderen Affen herum zu turnen. Die anden ließen es gewähren. Bis auf ein zweijähriges Affenkind, das offensichtlich eifersüchtig war. Gerne biss es das Baby wenn keiner hinsah oder schubste es weg.




Die Affen waren immer in Bewegung. Nach einer 10 minütigen Pause, die das Baby zum rumlaufen und toben nutzte, raften sie sich auf irgendein Komando alle auf und liefen weiter. Dabei saß das Affenbaby wie ein Reiter auf dem Rücken seiner Mutter, zupfte gedankenverloren an den Blättern die links und rechts neben ihm auftauchten, und wenn ihm langweilig wurde und grade eine Liane in Greifweite war, sprang es vom Rücken der Mutter und hing sich an den Ast. Daraufhin blieb die Mutter stehen und ging erst weiter wenn das Baby wieder auf ihr hockte.


Die anderen Affen waren weniger quirlig aber nicht minder menschlich. Ein Affe saß am Wegesrand und wartete auf den Rest der Truppe die noch in den Bäumen Früchte fraßen. Beim Warten sah er Thorben verdächtig ähnlich, laut Thorben. Er hockte dort mit verschränkten Armen und einer etwas krummen Haltung und wartete andächtig. Als die anderen kamen, legte sich ein Affe nur einen Meter von uns entfernt auf den Boden und schaute, sich nach hinten überstreckend und über Kopf, zu uns. Der Opa der Gruppe, ein sechzig jähriger Schimpanse, popelte derweilen abwesend in der Nase und steckte sich das Gefundene in den Mund.


Kurz bevor sich die Gruppe wieder in Bewegung setzte und unsere Zeit vorbei war, kam eine Mutter mit ihrem Baby aus dem Busch. Das Kleine lag schlaff über dem Nacken des Affenweibchens, es war tot. Unser Guide erklärte uns, das Baby sei seit drei Tagen tot und so lange lief sie bereits mit ihm umher.  Ich war wirklich traurig und hatte Mittleid mit der Mutter, die offensichtlich sehr unter dem Tod des Kleinen litt. Der Guide erklärte daraufhin, dass das Baby nicht ihres gewesen sei. Sie habe es von seiner Mutter gestohlen und sei mit ihm getürmt. Da sie das Kleine aber nicht stillen konnte, starb es. Erst danach kehrte sie wieder zur Gruppe zurück. Aus meinem Mitleid wurde Entsetzen. Wie konnte sie nur so etwas tun, und wie hatte die Mutter den Raub und später die Rückkehr der Täterin zulassen können.

Die Schimpansen sehen uns Menschen nicht nur sehr ähnlich sondern benehmen sich auch ähnlich.  In der Tat führen Schimpansen Krieg, nutzen einfaches Werkzeug und Medizinpflanzen. Trotz allem bleiben sie natürlich wilde Tiere. So sind sie zum Beispiel recht gute Jäger. Als wir sie grade im Busch aufgespürt hatten, aßen die Schimpansen grade ein Stück Buschschwein, was sie anscheinend vorher gejagt hatten. Auch die Jungen anderer Affenarten jagen und essen sie. Uns haben sie, wie gesagt, wie Bäume behandelt. Denn Sie sind es gewohnt von Trackern den ganzen Tag gefolgt zu werden und von Forschern beobachtet zu werden. Trotzdem wurden uns ein paar Verhaltensregeln gesagt. Wenn die Affen auf einen zu gehen, soll man immer aus dem Weg gehen und wenn das Alphatier kommt, soll man den Blick senken um ihn nicht zu provozieren. Die Schimpansen, grade das Alphatier, sind richtige Kanten.



Leider darf man nur eine Stunde bei den Affen bleiben. Aber diese Zeit war sehr spannend. Auch sonst ist der Park sehr schön, mit einen Wasserfall, Regenwald, Bergen und einem tollen, einsamen Strand. Wir waren an dem Tag die einzigen Touristen, was wohl an der anstrengenden Anreise liegt. Denn nach Kigoma zukommen ist schon ein wirklicher Akt. Und von Kigoma nach Gombe kommt man nur mit dem Boot. Wir mussten also erst einen Fischer überreden uns dorthin zufahren. Was nicht weiter schwer war. Schwer war vielmehr einen vernünftigen Preis mit ihm auszuhandeln. Auf dem Rückweg nahmen wir eines der berüchtigten Seetaxen. Auf einem etwas größeren Boot sitzten 60 Menschen auf dem Rand und noch einige im Bauch des Boots, zusammen mit jeder Menge Fracht. Das ganze hätte ganz entspannt sein können und die Stops in den diversen Fischerdörfchen sehr interessant, wenn mir nicht total schlecht gewesen wäre. Das Wetter hatte sich nämlich in der Nacht geändert und einigermaßen hohe Wellen auf dem sonst ruhigen See produziert. Während der gesamten Fahrt war ich kreidebleich und schaute angestrengt zum Horizont. Ich fragte mich, wie ich mich wohl über Bord lehnen könnte um mich zu übergeben ohne hinauszufallen. Gottseidank kam es nicht so weit.



Trotz meiner Seekrankheit hat mir der Ausflug zu Janes Schimpansen extrem gut gefallen. Goodall war die erste Forscherin die den Schimpansen Namen gegeben hatte und ihnen Gefühle und Charaktereigenschaften zugesprochen hat. Nachdem wir die Schimpansen gesehen hatten, kann ich Goodall's vermeintliche Vermenschlichung der Schimpansen sehr gut nachvollziehen. Goodall kommt noch bis heute jedes Jahr zweimal zum Park um "ihre" Affen zu besuchen. Es leben noch zwei der Affen mit denen sie in den 60er Jahren zusammengelebt hat. Die beiden Affen erkennen Goodall, wenn sie kommt.